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Max Beckmann und Mathilde „Quappi“ Kaulbach – eine Liebesgeschichte

Mathilde von Kaulbach, die Quappi genannt wurde, war Max Beckmanns zweite Frau. Minna, die erste, gab auf seinen Wunsch hin die Malerei auf und wurde Sängerin. Quappi gab auf seinen Wunsch hin das Singen und Geigespielen auf und wurde sein bevorzugtes Modell. Das Verhältnis der beiden ist abzulesen in Beckmanns Bildern und Briefen. Es ist offensichtlich kein schlechtes gewesen. Marli Feldvoß hat die Spuren gelesen.
Was wir über „Becki und Quappi“ wissen, wie ihre Wiener Freundin die beiden lautmalerisch zusammenbrachte, ist so gut wie alles durch Max Beckmann überliefert. Erhalten sind seine zahlreichen Porträts und Doppelbildnisse, sein Konvolut an Liebesbriefen, die noch lange, bis nach Quappis Tod 1986, vor fremden Blicken gehütet wurden. Weil er wollte, dass ihre Seelen allein blieben, weil er mit ihr allein bleiben wollte. „Quappi haben. Quappi haben.“ Wie ein unvernünftiges Kind drängelt der Vierzigjährige sich briefeschreibend, verseschmiedend, an ihre jungen Mädchenbrüste. Plappert, sinniert und philosophiert in der Verkleidung des handzahmen Tigers Tix oder Tigretto morgens wie abends per Einschreiben – oder Expresszustellung aus seinem Bohème-Domizil über den Dächern von Frankfurt, Schweizer Str.3. Für Quappi, die angebetete Adressatin aus der renommierten Münchner Malerfamilie, war Beckmann ganz einfach der Mann ihres Lebens, der ihr schon im Traum begegnet war. Coup de foudre. Schicksalstreffer. Die wunderbarsten Liebesbriefe füllen die monatelange „Latenzzeit“ vor der Hochzeit am 1. September 1925 – für Beckmann gleichermaßen mit wütiger Schaffenskraft wie mit fiebriger Wohnungssuche ausgefüllt. Erst im Sommer 1926 kann die günstig zu Arbeitsplatz Atelier und Städel gelegene Vierzimmerwohnung in der Steinhausenstr. 7 auf dem Mühlberg bezogen werden.
Die einundzwanzigjährige Quappi wird für den von dunklen Kräften bedrohten, der Negation zugeneigten, sich schaffend verzehrenden Künstler mit dem energischen Kinn und dem kantigen Gesicht zum zweiten Frühling. Wie Zuckerwatte tropft es aus den schmalen Lippen mit den verdrossenen Mundwinkeln. „Mein liebes Kind, meine süße kleine Frau, mein liebes Herzchen, meine Eskimofrau, meine süße Tänzerin, meine Cynthia mit den schönen Augen, wie gefrorene graue Saphire – die er sehr sehr raffiniert anziehen wird. Von oben bis...unten. O la la. Große, pomphafte Seelentöne und verpudert sein. – Mein Gott was werde ich für schöne Porträts von Dir machen.“

Das ganz neue Werk, das er ihr zu Füßen legen wird, seine fruchtbarste Schaffensperiode, beginnt mit den beiden Doppelporträts mit Zirkusmotiven aus dem Wendejahr 1925. Eine Pierette mit Quappis Zügen dominiert das „Fastnachtsbild“. Die geschnürten Tänzerinnenbeine sittsam übergeschlagen, den Fächer übers tiefe Dekolleté gestreckt, unberührt von den Kunststücken der direkt hinter ihr im gleichen Sessel sitzenden Figur mit gespreizten Beinen und phallisch anmutender Kopfvermummung, die tölpelhaft und unzweideutig obszön dem Eros huldigt. Beckmann persönlich? Die Rückenansicht des angelehnten Cellos scheint darauf hinzuweisen, was der zur Symbiose drängende Beckmann immer wieder formuliert – den Verzicht der Sängerin und Violinistin Quappi auf den eigenen Ruhm. „Und dann wollen wir zwei zusammen gewachsenen Menschen, wir Zwillinge, Fleisch an Fleisch, Seele an Seele fest aneinandergewachsen schöne Musik machen. Ich durch Dich und Du durch mich.“ Totale Harmonie signalisiert das „Doppelbildnis Karneval“. Die Zirkusreiterin und ihr Pierrot treten gemeinsam ins Rampenlicht der Manege. Mit gleicher Handbewegung und eingestimmten Farben, in Beckmanns Lieblingstönen Violett und Tabaksbraun, die sein Trikot mit ihrem kecken Dreispitz zur Einheit binden. Dieses „Brautbild“ macht die beiden zu Hauptdarstellern des großen Welttheaters, das sie in den nächsten Jahren bespielen werden. Erst auf dem Amsterdamer „Doppelbildnis“ von 1941 – nach vier Jahren Exil – treten sie wieder gemeinsam, als ordentliches Bürgerpaar verkleidet, auf. Erst dann darf Quappi ihre Beschützerhand auf seine Schulter legen.

Die fünfzig Quappi-Porträts und zahllosen Selbstbildnisse Beckmanns lesen sich wie das Tagebuch einer Beziehung auf den Schwingen des Weltgeschehens, die sich nur zu Frankfurter Zeiten, im souveränen „Selbstbildnis“ Beckmanns von 1927 und dem „Bildnis Quappi auf Rosa und Violett“ von 1931 im absoluten Gleichgewicht befand. In getrennten Bildern, aber bei gleicher Haltung und Hintergrund – bei ihm tabaksbraun, bei ihr rosa-violett – wird Quappi zur Frau an seiner Seite, zur Muse und Partnerin, mit der Max Beckmann sich ein Leben lang auf Phantasiereise begeben wird. „Auf goldenen Fischen schwimmen wir in den Hafen ferner Träume.“ So wie er es seiner Cynthia mit dem Gedicht „Frankfurter Hof“ im Mai 1925 einmal versprochen hatte.
Es war freilich auch in Frankfurt, wo sich ihre Träume in Alpträume verwandelten. Zwei Monate nach der Machtergreifung, im April 1933, wurde Beckmann, entarteter Künstler und Judenknecht, von seinem Lehrauftrag an der Städelschule entbunden. 1937 waren die Frankfurter Zirkusbilder in die Münchner Ausstellung für „Entartete Kunst“ abkommandiert. Wenige Tage darauf verließen Becki und Quappi ihre Heimat und gingen ins holländische Exil – für immer.
Erstveröffentlichung: Hadwiga Fertsch-Röver & Birgit Spielmann (Hrsg.), „Wo die Liebe hinfällt“, Paare und Passionen in Hessen, Marburg 2001, S 105 – 108
Beckmann-Ausstellung im Städel 3.12.–15.3.2026
Erstellungsdatum: 02.12.2025