Mit der Bemerkung „Der Bundestag ist kein Zirkuszelt“ sprach sich Bundeskanzler Merz kürzlich gegen das Hissen der Regenbogenflagge aus. Die breite Kritik an seiner Äußerung ist mehr als berechtigt. Queere Menschen werden immer häufiger angefeindet. „Um die errungenen Freiheiten zu verteidigen, müssen wir ihren Feinden Grenzen setzen“, stellten zwei Veteranen der Bewegung im Gespräch mit Doris Stickler klar.
Gewalttätige Attacken gegen queere Menschen nehmen hierzulande in einem erschreckenden Ausmaß zu. Auf die steigenden Übergriffe hat die Ampelregierung 2022 mit dem „Aktionsplan Queer leben“ reagiert, der unter anderem die strafrechtlichen Sanktionen bei Angriffen auf nichtheterosexuelle Menschen verschärft. In Frankfurt richtete das Amt für multikulturelle Angelegenheiten (AmkA) eine eigene „Koordinierungsstelle für lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* und queere (LSBTIQ) Themen“ ein, die mit Vereinen, Beratungsstellen sowie der Polizei kooperiert.
Für Bürgermeisterin und Diversitätsdezernentin Nargess Eskandari-Grünberg besteht kein Zweifel, dass „die queere Community zur Stadt gehört“. Anlässlich der seit 1992 jährlich durch die Straßen der Mainmetropole ziehenden Christopher Street Day (CSD)-Parade stellte sie im vergangenen Jahr klar: „Ich freue mich, dass immer mehr städtische Mitarbeitende an der Demonstration mitwirken. Damit machen wir deutlich, dass Politik und Verwaltung Seite an Seite mit der Community für Freiheit, Akzeptanz und gegen Diskriminierung und Gewalt eintreten. Wir werden den CSD weiter unterstützen.“
Dass allen Liberalisierungen zum Trotz nach wie vor abstruse Vorurteile existieren und sich die Übergriffe selbst im weltoffenen Frankfurt bedenklich mehren bereitet Hans-Peter Hoogen und Michael Holy Sorgen. „Aus Angst verzichten immer mehr queere Menschen auf Händchen halten oder Küsse in öffentlichen Räumen. Durch die gebotene Vorsicht fühlen sich die Leute zunehmend in ihrem Selbstverständnis angegriffen.“ Sie begrüßen daher sehr, dass die Polizeibehörde eigens einen schwulen Polizisten und eine lesbische Polizistin bestellte die im Regenbogenviertel Präsenz zeigen und Ansprechparter:in sind.
In der Stadt, in der schätzungsweise über 80.000 Menschen der LSBTIQ-Community angehören, haben sich glücklicherweise längst Freiheitsräume etabliert. Die sind nicht zuletzt den beiden Mitsiebzigern zu verdanken, die sich seit Jahrzehnten für die Akzeptanz gleichgeschlechtlich Liebender und das selbstverständliche Miteinander unterschiedlicher Orientierungen engagieren. Michael Holy war mehre Jahre externer Berater der Hessischen Landesregierung in Sachen Gleichstellung Homosexueller und leitet seit 15 Jahren das Café Karussell.
In dem offenen Treff erhalten schwule Männern über 60 zweimal im Monat nicht nur Kaffee und Kuchen sondern auch Beratung und Unterstützung, hören Vorträge und schauen Filme zu bestimmten Themen an. Die anschließenden Diskussionen und der damit verbundene Gedankenaustausch sind seiner Erfahrung nach wichtig für das Gefühl weiterhin am Leben teilzunehmen. Zumal sich die Älteren in jungen Jahren verstecken und verbiegen mussten, da Homosexualität bis Ende der 1960er strafrechtlich verfolgt worden ist. Endgültig abgeschafft wurde der Paragraf 175 sogar erst 1994.
Hans-Peter Hoogen trug dazu bei, die Diskriminierung von pflegebedürftigen homosexuellen Menschen bundesweit ins Blickfeld zu rücken. Das 1996 von ihm mit Freunden gegründete Schwulen Forum "40 plus" agierte als Kooperationspartner, als der Frankfurter Verband in zwei seiner Pflegeeinrichtungen Anfang der 2000er-Jahre mit dem Regenbogenschlüssel ein sichtbares Symbol der Akzeptanz queerer Menschen setzte. Der inzwischen 77-Jährige unterstützte zudem die Errichtung des AIDS-Memorials an der Peterskirche und rief mit Freunden die Initiativgruppe Mahnmal Homosexuellenverfolgung (IMH) ins Leben. Finanziell gefördert von der Stadt wurde 1994 zwischen Schäfergasse und Alter Gasse der „Frankfurter Engel“ der Bildhauerin Rosemarie Trockel aufgestellt – das hierzulande erste Mahnmal seiner Art. Im Jahr darauf wurde der Platz in „Klaus-Mann-Platz“ umbenannt.
Für seinen langjährigen Einsatz zeichnete das Ministerium für Wissenschaft, Forschung, Kunst und Kultur Hans-Peter Hoogen 2005 mit dem Hessischen Verdienstorden am Bande aus. Mit „50 Jahren Schwulenbewegung auf dem Buckel“ ist der studierte Rechtswissenschaftler noch immer ungebrochen aktiv. Sein langjähriger Mitstreiter Michael Holy ebenfalls. Die beiden kennen sich seit den 1970er Jahren in denen gleichgeschlechtlich Liebende einen Freiheitsschub erlebten. Dafür habe vor allem Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ gesorgt. Er sei eine Initialzündung für die Schwulen- und Lesbenbewegung gewesen, erinnert sich Michael Holy. Die Frauenbewegung habe ebenfalls maßgeblich zur Aufbruchsstimmung beigetragen.
„Damals war alles neu, es gab zum ersten Mal Clubs oder Gruppen für Schwule und Lesben. Dort habe man sich regelmäßig getroffen und über gesellschaftliche und persönliche Emanzipation diskutiert. Vieles gibt es bis heute, doch mit dem großen Freiheitsgefühl der 1970er-Jahre lässt sich die Gegenwart nicht vergleichen“, bedauert er. Zumal die aktuelle politische Entwicklung den studierten Theaterwissenschaftler und Pädagogen eher Schlimmes befürchten lässt. „Wenn die Rechten an Macht gewinnen besteht die große Gefahr, dass uns die Erfolge der LSBTIQ-Bewegung unterm Hintern weggezogen werden. Um die errungenen Freiheiten zu verteidigen, müssen wir die freiheitliche Demokratie verteidigen und ihren Feinden Grenzen setzen“, bringt er die gegenwärtige Lage auf den Punkt. Eine Einschätzung, der Hans-Peter Hoogen nur zustimmen kann.
Mit dem Ziel queeres Leben und die Belange von LSBTIQ*-Personen in Frankfurt sichtbarer zu machen, brachte die Stabsstelle Antidiskriminierung im Diversitätsdezernat und die Koordinierungsstelle LSBTIQ* im Amt für multikulturelle Angelegenheiten (AmkA) vor zwei Jahren den „Pride Month“ an den Start. Vereine und Initiativen können sich mit Veranstaltungen und Aktionen daran beteiligen und erhalten Mittel. Gefördert wurden bisher Projekte, die sich mit der Situation von mehrfachdiskriminierten Gruppen, Trans*-Personen und Regenbogenfamilien befassen oder aktiv der Queerfeindlichkeit begegnen. Der Abschluss des „Pride Month“ fällt stets mit dem Christopher-Street-Day zusammen.
Der Christopher Street Day geht auf die polizeiliche Willkür zurück, der homosexuelle und andere sexuelle Minderheiten massiv ausgesetzt waren. Um diese grundlosen Gewaltakte publik zu machen, protestierten sie 1969 tagelang in der New Yorker Christopher Street und bahnten damit jener politischen Parade den Weg, die heute in zahlreichen Städten der Welt ein jährlich wiederkehrendes Ereignis ist. In Frankfurt am Main gibt es den von der Stadt unterstützten Protestmarsch seit 1992. Bislang wurde die Parade von einer mehrtägigen Feier rund um die Konstabler Wache mit einer Infostraße, dem Basar der Vielfalt und einer Bühne umrahmt, auf der Politik, Communitys und Kultur zusammen kommen. Da wegen des großen Zuspruchs die räumlichen Kapazitäten bei weitem nicht mehr reichten, findet das dreitägige Straßenfest ab diesem Jahr am Mainufer zwischen Eisernem Steg und der Untermainbrücke statt. Der neue Standort erlaubt nun auch einen Familienbereich mit Spielmobil, historischem Riesenrad und einer Mal- und Bastelstation.
Mit der Devise „Nie wieder still – Frankfurt ist #laut“ wird der CSD in diesem Jahr vom 17. bis 20 Juli gefeiert. Nach der Rede von Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg wird das süddeutsche queere Chorfestival sowie die Chöre „DonnaCapella“, „Liederliche Lesben“ und „Die Mainsirenen“ ihn unter dem Titel „Schreiline“ eröffnen. Die große Parade zieht am Samstag den 19. Juli nach der um 11.30 Uhr angesetzten Kundgebung auf dem Römerberg durch die Innenstadt.
Siehe Kulturtipp
Erstellungsdatum: 18.07.2025