MENU
Das Arbeits- und Sammlerleben des Verlegers Lothar Schirmer

Genaugenommen ist Sammler kein Beruf, sondern eine Leidenschaft, oft eine Besessenheit. Bei Kunstsammlern tritt noch eine Mischung aus interessegeleitetem ästhetischen Begehren und Wert-Schätzung hinzu. Aber, wie die Bekenntnisse des Kunstbuch-Verlegers Lothar Schirmer nahelegen, sind Kenntnis und Genuss nicht die einzigen Kriterien, um von bedeutenden Werken fasziniert zu sein. Martin Lüdke hat sich von zwei Büchern des Verlegers aufklären und unterhalten lassen.
Eine imposante Gestalt, gewichtig, in mehrfacher Hinsicht. Man sieht ihm die Freude am Leben durchaus an. Nur kann er auch auf ein überaus gewichtiges Lebenswerk zurückblicken: den von ihm gegründeten und seit Ewigkeiten, also über fünfzig Jahren, von ihm geführten Münchner Verlag Schirmer/Mosel. Wenn vielleicht nicht Markt-, so ist er doch einer der Meinungsführer auf einigen Feldern der bildenden Künste.
Im Sommer 1964, da war er gerade mal neunzehn Jahre alt, besuchte dieser Lothar Schirmer in Kassel die documenta III, stand „schockiert“ vor einer Vitrine mit dem seltsamen Namen „Die drei Bienenköniginnen“ und – da in diesem Augenblick begann seine Karriere, als Sammler, als Verleger, als Förderer, als aficionado unserer gegenwärtigen Kunst. Später, auf seinem weiteren Rundgang, entdeckte er auch noch, neben Bildern von Toulouse-Lautrec, einige Zeichnungen des gleichen Künstlers, die ihn so begeisterten, dass er beschloss, in der Zeit zwischen seinem schriftlichen und mündlichen Abitur, im Februar 1965, den Mann in seinem Atelier in Düsseldorf zu besuchen. Der Künstler zeigte sich, erfreulicherweise, sehr aufgeschlossen. Und Schirmer kam mit einem Objekt nach Hause, das damals nicht nur seine Eltern in ein eher sprachloses Entsetzen versetzte. Seitdem sind sage und schreibe ganze 49 Bücher von diesem Künstler im Verlag Schirmer/Mosel erschienen: von Joseph Beuys. Nachdem Schirmer seinen Wehrdienst abgeleistet hatte, im Frühjahr 1967, fuhr der junge Schirmer wieder zu Beuys. Er hatte von der Bundeswehr ein Übergangsgeld bekommen. Und das wollte er jetzt gleich anlegen. Er kaufte eine der drei „Bienenköniginnen“, gleichsam den Grundstein seiner mittlerweile fast einzigartigen Sammlung gegenwärtiger Kunst.
In dem Jubiläumskatalog 1974 – 2024, der im vergangenen Jahr erschienen ist und alle Bücher erfasst hat, die Schirmer/Mosel in den vergangenen fünfzig Jahren herausgebracht hat, werden natürlich auch diese Beuys-Titel, jeweils, wie auch alle anderen Publikationen, mit entsprechenden bibliographischen Angaben und einer Abbildung des Covers präsentiert. Dieser Katalog präsentiert das imposante Ergebnis eines, seines Lebenswerks als Verleger.
In dem schönen und vor allem hochinteressanten Erinnerungsband „Die Bienenkönigin nährt am Ende alle … Gespräche zu Kunst und Büchern mit Magdalena Kröner“, erzählt Schirmer, wie es 1965, bei und nach dem Besuch im Atelier von Beuys weitergegangen ist. Der wirklich seltsame Titel wird bereits im Vorwort erklärt: „Die Bienenkönigin ist nicht nur das Muttertier eines Bienenvolks, sondern auch der Titel einer Serie seltsamer Skulpturen des Bildhauers und Künstlerfreunds Joseph Beuys“. Beim ersten Anblick, auf der documenta III, fand Schirmer, was er da sah „unappetitlich, abstoßend, fast eklig“. Aber er war trotzdem affiziert. Wie gesagt: Das war der Startschuss.
In den Gesprächen mit Magdalena Kröner porträtiert Schirmer, oft erfrischend schwärmerisch, begeistert und begeisternd, doch auch keineswegs unkritisch, die Künstler seiner Bücher und seiner Sammlung. Also Maler, Bildhauer, Fotografen, Filmleute und Modemacher, und auch Freunde.
Er erzählt da zum Beispiel, wie er zu seinem einzigen Bild von Gerhard Richter gekommen, einem ‚verwackelten‘ Porträt des Großen Vorsitzenden Mao aus dem Jahre 1970. Richter hatte ihm erzählt, dass nach einer Reihe von Versuchen mit Fotos dieses Bild das einzige gewesen sei, das bestehen konnte. Schirmer gesteht aber auch, dass es damals, als er es kaufte, noch (für ihn) erschwinglich war, während bald danach Richters Preise ins Unermessliche gestiegen wären. Nach seinem Verhältnis zu Richter befragt, gesteht er zu, dass er ihn „ja nicht bevorzugt gesammelt“ habe und insgesamt ihr „Austausch eher überschaubar“ gewesen sei, weil er ihn zwar „immer gut, aber eben doch nicht gut genug“ gefunden habe. „C’est la vie!“
Bereits 1987 machte Schirmer ein Buch mit der Künstlerin Hanne Darboven. Aus Anlass eines Jubiläums, dreißig Jahre Galerie Leo Castelli in New York, komponierte Hanne Darboven gleichsam dreißig Seiten ihres Kalenders mit Faksimiles von Rainer Maria Rilkes Stundenbuch. Ein ebenso persönliches wie poetisches Dokument. Schirmer erwarb nicht nur das, sagen wir, Objekt Darbovens. Er machte daraus auch ein Buch. Darboven, eine Hamburger Kaufmannstochter, fragte regelmäßig nach der Jahresabrechnung. Und Schirmer war es peinlich, zwei verkaufte Exemplare pro Jahr abzurechnen. „Es gibt Dinge“, sagt er dazu, „da schämen sich selbst die Verleger.“ Und noch heute hat er „ca. 2000 Stück davon auf Lager“. (Wer noch nach Geschenken für das kommende Fest sucht, kann den mäzenatischen Geist des Münchner Verlegers wirkungsvoll unterstützen. Denn genau das ist es, was diesen Kunstverleger zu einem Unikum in unserer Verlagslandschaft macht: Die Begeisterung für seine Sache!)
Einen ähnlichen Narren wie an Beuys hat Schirmer an dem Fotografenehepaar Bernd und Hilla Becher gefressen. Ganze vierundzwanzig Bände sind von ihnen und über sie im Verlag Schirmer/Mosel erschienen. Bernd Becher, und zwar nur er, hatte eine Professur an der Düsseldorfer Kunstakademie. Gelehrt aber haben sie beide, wenn vielleicht nicht in den Anstaltsräumen, dann doch zu Hause bei ihnen, wo Hilla, wie sie sagte, zwar auch für die „Truppenbetreuung“ zuständig war, zugleich aber mit ihrem Mann die Arbeiten der Schüler durchging. Bechers Mantra war: „Die Welt kommt nicht ins Atelier nach Düsseldorf.“ Man müsse sich schon zu ihr hinbewegen. Und die Schüler der Bechers, wie etwa Thomas Struth oder Thomas Ruff, inzwischen weltberühmt, haben sich an diese Maxime, bis heute, gehalten. Schirmer selbst ist da auch als Sammler eingestiegen.
Wenn ich richtig gezählt habe, dann gibt es einundfünfzig Bücher von Cy Twombly im Verlag Schirmer/Mosel. Und begonnen hat diese Beziehung zwischen Künstler und Verleger, als Schirmer noch ein Schüler war und von Bremen aus, mit der Bahn, nach Rom fuhr und für seine Schülerzeitung einen Artikel über den amerikanischen Maler plante, der dort lebte und arbeitete. Unglücklicherweise traf er im Zug auch noch seinen Mathe-Lehrer, der ihn, dieses Vorhabens wegen, jetzt für völlig bekloppt hielt. Schirmer hatte Twombly einen Brief geschrieben, aber keine Antwort erhalten, was ihn nicht weiter bekümmerte, weil er irgendwie die Adresse von dessen Galerie herausgekommen hatte. Er tauchte dort täglich, anfangs erfolglos, auf. Er entschloss sich, von dem Geld, das er sich jobbend verdient hatte, eine Zeichnung zu kaufen, um die Ernsthaftigkeit seines Vorhabens zu beweisen. Kurzum: schließlich erhielt er eine Einladung zum Tee bei Twombly, mit der Aufforderung, die gekaufte Zeichnung mitzubringen. Ein sehr großer, junger Mann öffnete ihm, entschuldigte sich sogar dafür, dass er den Brief nicht beantwortet hatte, und zeigte ihm, was Schirmer sehen wollte. Dem Jungen wurde sofort klar, dass Twombly nur verkaufte, was ihn nicht ganz befriedigt hatte, während die wirklich guten Sachen bei ihm zu Hause hingen. Twombly wohnte in einem ansehnlichen Palazzo, er hatte in den italienischen Adel eingeheiratet. Aus diesem Besuch wurde eine lebenslange Beziehung und, wohl auch, Freundschaft, die bis zu Twomblys Tod, 2011, andauerte.
Gespräche zu Kunst und Büchern, so lautet der Untertitel dieses Buches, das irgendwie an Brechts „Legende von der Entstehung Tao Te King auf dem Weg des Laotse in die Emigration“ erinnert. Denn dort heißt es am Ende: „Aber rühmen wir nicht nur den Weisen, dessen Name auf dem Buche prangt! Denn man muss dem Weisen seine Weisheit erst entreißen. Darum sei der Zöllner auch bedankt: Er hat sie ihm abverlangt.“ Der Zöllner ist hier eine Frau: Magdalena Kröner.

Lothar Schirmer
Die Bienenkönigin nährt am Ende alle …
Gespräche zu Kunst und Büchern mit Magdalena Kröner
376 S., geb.
ISBN 978-3-8296-1008-7
Verlag Schirmer/Mosel, München, 2024
Bestellen

Schirmer/Mosel Jubiläumskatalog 1974 – 2024,
Eine illustrierte Bibliographie mit allen Büchern aus fünfzig Jahren.
464 S., geb.
ISBN: 978-3829610070
Schirmer Mosel, München 2024
Bestellen
Erstellungsdatum: 30.11.2025