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100. Todestag von Joseph Conrad

Seine launische Geliebte

Ria Endres


Joseph Conrad, Foto: wikimedia commons

Er wollte unbedingt Seemann werden. Doch das ist ihm nicht gut bekommen. Mit 38 Jahren geht Kapitän Korzeniowski von Bord, um unter dem Namen Joseph Conrad sein Leben als Schriftsteller weiterzuführen. Denn im selben Jahr war sein erster Roman erschienen, der ihn mit einem Schlag bekannt machte. Ria Endres skizziert das Leben des polnisch-britischen Autors.

 

Der Kapitän Józef Teodor Konrad Korzeniowski ist ein merkwürdiger Seemann: Der 17-jährige Pole beginnt seine Karriere bei der französischen Handelsmarine und fährt vier Jahre zur See. Nach einem rätselhaften Selbstmordversuch in Marseille tritt er mit 21 Jahren in die britische Handelsmarine ein, er spricht Französisch wie seine Muttersprache, dafür kaum Englisch, und als er 1886 britischer Staatsbürger und Kapitän wird, beendet er bereits mit 38 Jahren seine seemännische Laufbahn. Inzwischen hat er sich die englische Sprache selbst beigebracht. Und obwohl er bis dahin auf seinen Reisen und Schiffen weder positiv noch negativ aufgefallen war, wird er einer der berühmtesten Kapitäne Großbritanniens, allerdings nicht als Kapitän, sondern unter dem Namen Joseph Conrad als einer der größten Meister der englischen Sprache und Literatur.

Sechs Jahre, bevor er sein Seefahrerleben beendete, begann er mit der Arbeit an einem Manuskript, dem er den Titel „Almayer’s Folly“ gab. Conrad sagt, am Anfang sei es eine „Ferienarbeit … in staunenswerter Einfalt des Gemüts“ gewesen, doch dann hatte er an dem Roman nicht Seite für Seite, sondern Zeile für Zeile geschrieben. Von zahlreichen Sätzen gibt es vier oder fünf Varianten; dieses Vorgehen erinnert nicht zufällig an die Arbeitsweise des Vaters des Modernen Romans, Gustave Flaubert, den Conrad im französischen Original studieren konnte. Warum sich Conrad – obwohl meisterhaft – in seinen Romanen mit der englischen Sprache herumschlug, die er bis ans Lebensende fehlerlos schrieb und nur mit starkem polnischen Akzent sprach, hat er nie schlüssig erklären können.

Das Französische hatte er noch vor der polnischen Sprache als Kind von seiner Amme gelernt. 1857 wurde er im damals polnischen Berdyczów, in der heutigen Ukraine, als einziges Kind von Eva und Apollo Korzeniowski geboren. Beide Eltern entstammten dem polnischen Landadel, seit Jahrhunderten die tragende politische und gesellschaftliche Kraft im Königreich Polen. Conrads Vater Apollo studierte an der Universität von St. Petersburg Sprachen, Literatur und Rechtswissenschaft und war als Gutsverwalter tätig. Tatsächlich interessierten ihn aber Literatur und Politik. Nach der Aufteilung Polens arbeitete er im Untergrund gegen das zaristische Regime, organisierte geheime Treffen des polnischen Widerstands und wurde 1861 von der russischen Polizei verhaftet. Beide Eltern werden in die Verbannung geschickt, erst nach Wologda ins nördliche Russland, dann in die Nähe von Kiew. Conrads Mutter stirbt nach vier Jahren an Tuberkulose, der Vater acht Jahre später an Erschöpfung. Conrads Onkel wird Vormund des 12jährigen Waisen.

Eine regelmäßige schulische Ausbildung fand im Exil nicht statt, aber der Vater hatte den Jungen für die polnische Literatur und Weltliteratur begeistert, so las er Victor Hugo, den Don Quijote und die Werke Shakespeares. Aber der Junge möchte vor allem eines: Auf einem Schiff anheuern und Seemann werden.

Conrads Gesundheit als Kind war schon nicht die beste, aber das Leben zur See und auf den Reisen zum Indischen Ozean, zum Pazifik, nach Ostasien, Australien und Borneo schädigen ihn noch mehr. Zur Katastrophe kommt es 1890, einem Jahr nach dem Beginn von „Almayers Wahn“, als er eine Reise in den Kongo unternimmt. Er ist in der Hölle angekommen und schreibt darüber später in seinem wohl berühmtesten Buch „Herz der Finsternis“. Nach dem Ende dieser Reise erleidet Conrad einen psychischen und physischen Zusammenbruch und muss sich für längere Zeit in England kurieren. Seit dieser Zeit fällt er bis an sein Lebensende immer wieder in Depressionen und bekommt Malariaanfälle.

 

Es ist ihm klar, dass seine Kapitänslaufbahn dem Ende zugeht. Aber was kommt danach? Taugt sein Manuskript zum Start für einen Beruf als Schriftsteller? Conrad ist sich nicht sicher, ob die Geschichte über seine Begegnung mit einem Händler namens Charles Olmejer in der kleinen Siedlung am Fluss Berau an der Ostküste Borneos einen Verleger finden und ein Lesepublikum erreichen kann: die Geschichte eines Träumers, der an seinen eigenen Fehlern scheitert und an der feindlichen fremden Umwelt, und dessen Hoffnungen auf Erfolg und Glück wie Seifenblasen zerplatzen.

Doch 1894 bekommt der britische Kapitän Joseph Conrad Post: Der Verleger Fisher T. Unwin teilt ihm mit, dass er „Almayers Wahn“ zur Veröffentlichung angenommen hat. Im Jahr darauf erscheint das Buch. Die Rezensionen waren überwiegend positiv und teilweise sogar begeistert. Er findet sofort ein Lesepublikum. Niemand glaubt, dass dieses Buch von einem Autor stammt, der sein literarisches Debüt gibt und der nicht in seiner Muttersprache schreibt. Joseph Conrad ist bereits mit seinem ersten Buch „Almayers Wahn“ in der Weltliteratur angekommen. Wilhelm Genazino sagt über ihn: „Er hat viele Romane über einsame Männer geschrieben, die auf einsamen Schiffen einsame Meere überqueren .... Er nannte die Seefahrt seine Leidenschaft und das Meer seine launische Geliebte.“ Das Leben auf Dampfern, unberechenbaren Meeren und unruhigen inneren Bewegungen sind auch hundert Jahre nach seinem Tod unverbrauchte Reisemetaphern geblieben, die die Kreuzfahrtschiffe absolut lächerlich erscheinen lassen.

Joseph Conrad
Almayers Wahn 
Roman
223 S., brosch.
ISBN-13: 9783596119028
Fischer-TB, Frankfurt am Main 1993

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Erstellungsdatum: 31.08.2024