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Komische Oper Berlin im Schillertheater

Stoppen Sie diese Schande!

Andrea Richter


Komische Oper Berlin, Foto: Gryffindor, wikimedia commons

Die Komische Oper gehört in Berlin zu den Musikhäusern, denen der Brückenschlag zwischen Tradition und Moderne hinsichtlich Repertoire und Präsentation gelungen ist. Noch dazu erreicht sie besonders wirksam ein breitgefächertes Publikum. Nun soll die Oper möglicherweise dauerhaft ins Schillertheater verlegt werden. Dagegen hat Barrie Kosky, ehemaliger Intendant und Chefregisseur der Berliner Bühne, mit einem offenen Brief protestiert. Andrea Richter beschreibt die Situation.

Aus dem Berliner Abgeordnetenhaus wurden im Juli 2024 Überlegungen bekannt, die seit einem Jahr laufende Sanierung der Komischen Oper an der Behrenstraße in Berlin-Mitte aus Kostengründen zu stoppen. Nach jetzigem Stand geht es um 500 Millionen Euro Gesamtkosten, die Sanierung soll insgesamt sechs Jahre dauern. Während dieser Zeit werden die Produktionen vor allem ins Schillertheater ausgelagert. Die Überlegungen der Politiker sehen vor, dass dieses Theater zur Dauerspielstätte der Komischen Oper werden soll. Barrie Kosky, Regisseur und früherer Intendant des Hauses, rief in einer öffentlichen Erklärung zum Protest dagegen auf.

Dass es tatsächlich dazu kommt, scheint undenkbar. Die Komische Oper ist zwar neben der Staatsoper Unter den Linden und der Deutschen Oper das kleinste der drei vom Stadt-Staat finanzierten Berliner Opernhäuser, aber im Sinn von Programm-Vielfalt, Publikumsnähe und Glamour unabdingbar für die Prägung des kulturellen Gesichts der Stadt, für ihr Selbstverständnis als weltoffen, bunt, ideenreich und was sonst noch alles, auf jeden Fall nie langweilig. Natürlich kann man sich die Frage stellen, ob eine Stadt drei öffentlich finanzierte Spielstätten für Musiktheater braucht. Rechnet man den ebenfalls öffentlich finanzierten Friedrichstadtpalast (nur Shows) dazu, sind es sogar vier. Hinzu kommen noch Privatbetriebene wie die Neuköllner Oper (Uraufführungen, kleinformatig) und das Theater des Westens (Musicals), die als Beweis dafür herhalten könnten, dass es auch anders geht. Aber: Diese arbeiten rein projektbezogen, haben weder eigene Sänger:innen-Ensembles, Chöre oder Orchester und Bühnenmacher, die sie Monat für Monat bezahlen müssen. Wollte man das alles privat finanzieren, müssten die Eintrittspreise in astronomische Höhen steigen, und kein Mensch käme mehr. Das bedeutet: Musiktheater ist zwangsläufig auf öffentliche Finanzierung angewiesen. Zurück Frage: Braucht es die Komische Oper?

Für die Beantwortung ist zunächst ein Blick auf die Musiktheaterlandschaft in ganz Deutschland hilfreich. Es gibt bundesweit über 80 öffentlich finanzierte Häuser (Staats-, Landes- und Stadttheater), sprich, so viele wie sonst nirgendwo in der Welt. Das hat historische Gründe, denn ab dem 17. Jahrhundert etablierten sich an zahlreichen Fürstenhöfen Hoftheater und Hofkapellen, die sich über Jahrhunderte hinweg bis in die heutigen Bundesrepublik Deutschland hielten. 2014 wurde die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft in die nationale Liste des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen. Ihre Bedeutung offenbart sich im internationalen Vergleich: Laut Angaben der Plattform Operabase fanden in der Spielzeit 2022/23 in Deutschland insgesamt 6.167 Opern- und 966 Operettenaufführungen statt – weitaus mehr als in jedem anderen Land der Welt. In dieser Spielzeit hatten sich die Besucherzahlen noch nicht vom Totaleinbruch während der Corona-Zeit erholt, waren mit unter 5 Millionen also relativ gering. Nimmt man die der Spielzeit 2018/19 (also vor dem Corona-Einbruch) mit 7,5 Millionen und damit der Größenordnung der vorangegangenen Jahre, so lässt sich zumindest das Potential bestimmen. (Wer sich für Zahlen und Fakten interessiert, findet sie beim Musikinformationszentrum des Deutschen Musikrates). Es ist also keineswegs übertrieben zu behaupten, dass das Musiktheater zur Kultur-DNA Deutschlands gehört.

Nun ein Blick auf die Komische Oper Berlin. Gegründet wurde sie nach der teilweisen Zerstörung und dem Wiederaufbau des ehemaligen Revue- und Operettentheaters Metropol 1947 in der Behrenstraße 55-57 in Berlin-Mitte. Unzerstört geblieben war der Zuschauerraum im Neorokkoko-Stil von 1882, der bis heute erhalten ist (von dessen Decke aber zuletzt Stuckstücke in den Zuschauerraum fielen und Netze aufgespannt werden mussten, um die Menschen zu schützen). Mitgründer und Intendant bis 1975 war der österreichische Regisseur Walter Felsenstein. Legendär wurden einige seiner Inszenierungen und vor allem seine Auffassung davon, wie Musiktheater auszusehen hatte: Im Mittelpunkt ein Ensemble von Sänger:innen-Darstellern, ein breit gefächertes Angebot vom Barock bis zur Moderne, zeitgemäß und vor allem publikumsnah, was er unter anderem dadurch verwirklichte, dass fremdsprachige Opern- und Operetten-Libretti ins Deutsche übersetzt wurden, damit „auch der nicht-spezialgebildete, ‚naive’ Teil des Publikums die Verbindung von Szene und Musik“ nachvollziehen konnte. Er nannte es „realistisches Musiktheater“. Unter seiner Ägide wurde die Komische Oper zu einem auch international viel beachteten Kultur-Highlight der DDR. Als solches erfuhr sie 1965/66 einen aufwendigen Umbau, erhielt die schlichte Fassade sowie ein neues Funktionsgebäude und vor allem ein eigenes Ballett. Mit der Staatsoper Unter den Linden, ebenfalls zerstört und 1955 wiedereröffnet sowie den Schauspielhäusern Berliner Ensemble, Deutsches Theater plus Kammerspiele und der Volksbühne hatte Ost-Berlin in dem vom Ost-West-Konflikt geprägten Kulturleben Berlins jahrelang die Nase vorn. Die Deutsche Oper als kompletter Neubau-Ersatz für das ausgebombte Deutsche Opernhaus wurde erst 1961 im westlichen Charlottenburg eröffnet. Der Komischen Oper kam also, wie die anderen Theater auch, eine durchaus politische Rolle zu.

Der Grundidee Felsensteins von einem zeitgemäßen und publikumsnahen Musiktheater, genau wie die Berthold Brechts im Berliner Ensemble, fügten sich harmonisch ins Kulturkonzept der DDR ein. Ihr blieben Felsensteins Intendanz-Nachfolger bis zur und auch nach der Wende treu. Auch Barrie Kosky, der während der Nazizeit verbotene Werke wieder aufgriff und unter anderem der Berliner Jazz-Operette zu neuem Glanz verhalf und dem Berliner Kulturleben dazu. Von den öffentlich finanzierten Musiktheatern Berlins ist die Komische Oper sicherlich diejenige, die den Brückenschlag zwischen Tradition und Moderne sowohl hinsichtlich des Repertoires als auch der Art der Präsentation und vor allem den zu einem breitgefächerten Publikum, wie dem sehr internationalen Berliner, geschafft und die Sparte stadtübergreifend mit innovativem Geist beeinflusst hat.

Wie kann also jemand auf die Idee kommen, ein solches Haus mit einer solchen Geschichte zu schließen? Wirklich undenkbar. Dass es aufwendig und teuer saniert und erweitert werden muss, ist allein der Tatsache zuzuschreiben, dass so viele Jahre lang nichts passierte, wie auch bei anderen Theaterhäusern in der Republik, so in Frankfurt, wo komplett neu gebaut werden muss, oder Köln oder Stuttgart. Es zeigt, dass in Deutschland Erneuerungen zulange verschlafen wurden, der angelaufene Investitionsstau nicht nur Bahn, Straße oder das Internet betrifft, sondern eben auch die Kulturstätten wie die Musiktheater. Sie gehören wie oben beschrieben, zur DNA des Landes. Jetzt geht es um ihre bauliche Modernisierung, darum, ihren inhaltlichen Fortbestand zu sichern und in die Zukunft zu transportieren. Das ist teuer und tut den Portemonnaies der öffentlichen Hand weh. Gleichzeitig werden diese Projekte, einmal fertiggestellt, Flaggschiffe sein, die den Ruf Deutschlands als attraktive Kulturnation festigen und fördern.

Barrie Koskys offener Protestbrief

Pressemitteilung der Komischen Oper Berlin vom 17.07.2024

„Ich bin zutiefst schockiert und empört, während ich diese Worte schreibe. Wir sollten uns darüber im Klaren sein, was von einer Handvoll Politiker:innen und Bürokrat:innen in Berlin diskutiert wird: die vollständige Schließung der Komischen Oper Berlin! Es geht hier nicht nur um eine Diskussion über Sanierungen und Budgets. Es geht um den skandalösen Vorschlag, dass die Komische Oper nicht in ihr rechtmäßiges und geliebtes Haus in der Behrenstraße zurückkehren, sondern an ihrem vorläufigen Standort im Schillertheater verbleiben soll. Das wird unweigerlich zur Schließung der Komischen Oper Berlin führen. Die Komische Oper Berlin ist künstlerisch, geografisch und existenziell mit unserem Haus in der Behrenstraße eng verbunden. Dieses Theater ist seit seiner Eröffnung 1892 ein bedeutendes Juwel, die wichtigste Operettenbühne in Deutschland während der Weimarer Republik und die revolutionäre Geburtsstätte der modernen Oper unter der visionären Leitung von Walter Felsenstein. Es ist ein international bekanntes und beliebtes Theater und eine der wichtigsten Kultureinrichtungen in Deutschland.

Das Schillertheater ist ein Provisorium, in dem die Komische Oper ihre Arbeit nur während der längst überfälligen Renovierung fortsetzen kann. Es ist nicht die Heimat der Komischen Oper. Es ist nicht die Zukunft der Komischen Oper. Unsere Künstler:innen und unser Publikum können nicht länger bleiben als die Zeit, die die Renovierung unseres Zuhauses dauert. Würden Sie das Berliner Ensemble vom Bertolt-Brecht-Platz wegholen? Würden Sie die Berliner Philharmoniker von der Philharmonie trennen? Niemals. Wie das Stammhaus in der Behrenstraße in Berlin-Mitte sind diese Institutionen kreativ und untrennbar mit ihren Häusern verbunden. Der Komischen Oper ihre Heimat zu verweigern, hieße, sie langsam zu ersticken. Unser Theater in der Behrenstraße IST die Komische Oper. Ich habe den Eindruck, dass mein geliebtes Opernhaus für seinen Erfolg bestraft wird: Nachdem wir jahrelang internationale Preise gewonnen haben und mit gefeierten Produktionen in der ganzen Welt auf Tournee waren und sind, die besten kontinuierlichen Einspielergebnisse aller Berliner Opernhäuser vorweisen können und das vielfältigste und jüngste Opernpublikum in Berlin anziehen, droht dem Haus nun die Schließung und das Aus. Unser Lohn für diese Arbeit ist, dass eine langgeplante und dringend notwendige Renovierung, die der Staatsoper Berlin und der Deutschen Oper ermöglicht wurden und werden, der Komischen Oper Berlin nicht gewährt wird. Jede Entscheidung des Berliner Senats, die Sanierung der Komischen Oper zu stoppen, bedeutet den Tod der Komischen Oper. Dies wäre ein Akt des selbstverschuldeten kulturellen Vandalismus, wie es ihn in Berlin seit 1945 nicht mehr gegeben hat. Bürger:innen Berlins und Opernliebhaber:innen in aller Welt, bitte helfen Sie uns. Stoppen Sie diese Schande!”

Komische Oper Berlin

Erstellungsdatum: 19.08.2024