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Così fan tutte in der Oper Frankfurt

Szenen einer geplanten Hochzeit

Andrea Richter


Così fan tutte. v.l.n.r. Bianca Tognocchi (Despina), Magnus Dietrich (Ferrando), Kelsey Lauritano (Dorabella), Teona Todua (Fiordiligi), Liviu Holender (Don Alfonso; verdeckt) und Jonas Müller (Guglielmo). Foto: Barbara Aumüller

Ist die Heirat das Ende einer stabilen Beziehung oder ihr Beginn? Was, wenn sich das die Braut im Moment der Unterzeichnung des Ehevertrages fragt und zögert? Genau das passiert in der neuen Produktion von Mozart-Da Pontes Così fan tutte und stürzt die Protagonisten des überkreuz ausgefochtenen Gefühlskampfes in so dramatische wie komische Turbulenzen. Die Zuschauer:innen der Premiere bejubelten sie aus gutem Grund. Denn sie durften ein herrliches Gesamtkunstwerk aus Musik, Sprache, Schauspiel, Bühnenbau- und Kostümkunst genießen, schreibt Andrea Richter.

 

Zum ersten Akkord der Ouvertüre hebt sich der Vorhang und eröffnet den Blick auf einen großen, eleganten, mit Stuhlreihen bestückten Festsaal sowie auf einen kleinen, dusteren Service-Zugang. Die letzten Vorbereitungen des Hotelpersonals für eine pompöse Hochzeit im Saal sind im Gange, und schon strömen die Gäste durch den offiziellen Eingang herein, begrüßen sich freudig. Klar erkennbar die Braut Fiordiligi im entsprechenden Kleid und ihre Schwester Dorabella in weißem Hosenanzug, nicht ganz klar, wer denn nun der Bräutigam von wem ist. Alle scheinen sehr vertraut miteinander zu sein. Im Gewirr setzt irgendwann Fiordiligi zur entscheidenden Unterschrift an, doch just in diesem Moment friert die gesamte Szenerie bis zum Ende der Ouvertüre ein. Hat sie es sich anders überlegt? Und überhaupt, hier stimmt doch etwas nicht: Die Hochzeit findet doch laut Libretto erst am Ende der Oper statt. Da man getrost davon ausgehen kann, dass eine versierte Regisseurin wie Mariame Clément weiß, was sie tut, muss es also einen Grund für das Warum geben.

Die Bühne dreht sich leicht und der kleine Service-Zwischenraum (Guckkasten der Commedia dell'arte?) gelangt ins Zentrum. Dort beginnt Don Alfonso im Angesicht des soeben Geschehenen bei Ferrando und Guglielmo Zweifel hinsichtlich der Treue ihrer Verlobten zu schüren. Und wieder verschiebt sich die Bühne. Die Drei gehen durch die Schwingtüre links in einen weiteren, diesmal ungeschmückten Saal, wo sich die Unterhaltung fortsetzt. Die Jungen beschwören die Treue ihrer Geliebten, lassen sich aber schließlich auf ein Treue-Test-Spiel ein, das ihnen verspricht, innerhalb von 24 Stunden Gewissheit zu erlangen. Zurück im Zwischenraum stattet Alfonso sie mit militärischer Kleidung aus. Die Bühne dreht sich wieder und wir erleben die beiden Schwestern in einem anderen Raum des Hotels, wo sie von den Vorzügen ihrer Geliebten schwärmen. In die ausgelassene Stimmung platzen die drei Männer und eröffnen ihnen, dass die beiden Jungen (noch in Zivil) mit sofortiger Wirkung zum Militär einberufen wurden. Entsetzen, Trauer, Treueschwüre, Abschied und eines der wohl schönsten Terzette in der Musikliteratur: „Soave sia il vento“, hinreißend berührend dargeboten sowohl vom Orchester als auch von Mezzosopranistin Kelsey Lauritano (Dorabella), der Sopranistin Teona Todua (Fiordiligi) und dem Bariton Liviu Holender (Don Alfonso). Dabei versuchen die Schwestern mit ihren Handys offensichtlich Näheres über den Militär-Einsatz zu erfahren, doch Alfonso sammelt sie kurzerhand ein. Sie könnten das Spiel gefährden.


Così fan tutte. Bianca Tognocchi (Despina). Foto: Barbara Aumüller

 

Wieder dreht sich die Bühne, die Bedienstete Despina (großartig: Bianca Tognocchi) kommt ins Spiel, amüsiert sich gesanglich herrlich über verzweifelten Damen: „In uomini, in soldati sperare fedeltà?“  (Von Männern, von Soldaten erwartet ihr Treue?) Gegen gutes Geld und durch eine nicht ganz wahrheitsgemäße Erklärung kann Alfonso sie bestechen, am Spiel teilzunehmen, denn er wird sie brauchen. Und dann geht es los.

Ferrando und Guglielmo tauchen in Militär-Uniformen und dank guter Maskenbildnerei tatsächlich sehr verändert als angebliche beste Freunde Alfonsos auf, werden von den Damen nicht erkannt und beginnen die Schwestern in Überkreuz-Konstellation zu umgarnen. Als das zunächst nichts nützt und die Beiden sich in ihrem Glauben an die Treue ihrer Geliebten bestätigt sehen, greift Alfonso zu einem drastischen Mittel und lässt sie einen Selbstmordversuch durch Gift aus angeblicher Verzweiflung vortäuschen. Despina, als Arzt verkleidet, „rettet“ sie. Am Ende des 1. Aktes sind die Schwestern zornig auf die beiden Gäste, aber Despina und Alfonso ahnen es: Aus Zorn wird sich Liebe entwickeln.

Und so kommt es dann im zweiten Akt. Als Erste kippt Dorabella um: „Prenderò quel brunettino …“ (Ich nehme den Brünetten …). Trotz schwerer Bedenken lassen Beide das textlich wie musikalisch bis ins kleinste psychologisch ausgefeilte Detail des Liebeswerbens zu und verlieben sich erneut, allerdings in den jeweils anderen Partner. Alle Vier haben bereits den Glauben an die ewige Liebe und Treue verloren. Don Alfonso hatte Recht. Und so ist es nur folgerichtig, dass Regisseurin Clément die geplante und in der Ouvertüre begonnene Hochzeit endgültig platzen lässt. Die Brautpaare scheuchen die Gäste, die in den verschiedenen, sich immer wieder einrückenden Räumen gewartet und sich die Zeit mit Essen, Trinken, den hochzeits-üblichen Dia-Rückblicken auf das Leben der Verlobten vertrieben und zwischendurch immer mal wieder in Form des Chores nach ihnen geschaut haben, endgültig fort und werfen sich von diesem emotional hoch aufgeladenen Tag erschöpft und unverheiratet auf die Stühle. Vielleicht entscheiden sie sich ja nochmals um. Wer weiß? Alles ist und bleibt in der Schwebe.


Così fan tutte. v.l.n.r. Teona Todua (Fiordiligi) und Kelsey Lauritano (Dorabella). Foto: Barbara Aumüller

 

Während in den beiden anderen Mozart-Da Ponte Opern Figaros Hochzeit und Don Giovanni die Männer Ehebrüche begehen, sind in der Così oberflächlich betrachtet die Frauen die Missetäterinnen, was zur Zeit der Entstehung der Werke als noch größerer Tabu-Bruch angesehen wurde. Deshalb galt die Oper im 19. Jahrhundert als frivol und unmoralisch und wurde wenig aufgeführt. Heute wird sie des Öfteren für frauenfeindlich gehalten. Aber dieses Argument hat keinen Bestand. Denn die sich zunächst an dem Treuversprechen gegenüber ihren Partnern festhaltenden Schwestern können nur durch Nötigung gleichkommenden Tricks ihrer Verlobten Ferrando und Guglielmo zur Untreue „gezwungen“ werden. Nicht zu vergessen, dass im Verlauf des Geschehens auch im Original männliche Attitüden in Sachen Untreue schonungslos seziert und lächerlich gemacht werden. Männerfeindlich!? Così machten und machen es offensichtlich tutte wie tutti. Nicht grundlos lautet die zusätzliche Titelbezeichnung: „La scuola degli amanti“ (Schule für Liebende – beider Geschlechter!).

Heute sieht die Sache sowieso anders aus. Denn, so sagen Studien, geht fast ein Viertel der Partner:innen im Verlauf der Ehe ein- oder mehrmals fremd. Wie häufig das tatsächlich stattfindet, kann wegen der vermutlich hohen Dunkelziffer kaum festgestellt werden. Und die bekannten Fallzahlen verteilen sich inzwischen wegen fortgeschrittener Emanzipation und Verhütungsmitteln recht gleichmäßig auf die Geschlechter. So ist es kein Wunder, dass auf dem Standesamt und/oder bei einer religiösen Zeremonie deshalb bei manch einer/einem urplötzlich der Teufel des Zweifels auftaucht mit der Frage, ob man selbst oder der/die andere den Grundsatz der Treue wirklich einhalten wird, vorausgesetzt, man hält überhaupt Monogamie für einen wichtigen Bestandteil der Institution. Jedenfalls ist es schlüssig, dass in Cléments im Heute angelegter Inszenierung im entscheidenden Moment der Unterschrift einer Frau Zweifel kommen und sie auf den Stopp-Knopf drückt.


Così fan tutte. Liviu Holender (Don Alfonso; in der Bildmitte) und Ensemble. Foto: Barbara Aumüller

 

Auslöser für die emotionalen und in der Folge für die Handlung ausschlaggebenden Turbulenzen sind der von Zynismus und Lebenserfahrung geprägte Don Alfonso und seine stets zu Scherzen aufgelegte Handlangerin Despina. Ihm darf mit gutem Gewissen unterstellt werden, dass Da Ponte die Figur mit autobiografischen Merkmalen ausgestattet hat. Er selbst hatte bereits während seiner Ausbildung zum katholischen Priester (seine Eltern waren mit den Kindern vom Judentum zum Katholizismus konvertiert) eine erste Affäre mit einer gewissen Angiola. Kaum hatte er die Priesterweihe, kehrte er sich von der Kirche ab und der Literatur und dem Theater zu. Er ging nach Venedig und hatte dort eine Affäre mit der verheirateten Angioletta Bellaudi. Diese Liaison, sein stechender Humor und seine aufklärerische Haltung führten dazu, dass er aus der Stadt fliehen musste. Nach einem Zwischenaufenthalt in Gorizia (inklusive Affäre!) kam er 1781 nach Wien, wo er Mozart kennenlernte und mit ihm ab 1785 die Trilogie Le Nozze di Figaro, Don Giovanni und Così fan tutte erschuf. Die Arbeit an Così wurde begleitet von einer Affäre mit der ebenfalls verheirateten Primadonna assoluta der Wiener Oper, der Sopranistin Adriana Gabrieli del Bene, genannt die Ferrarese, die seine erste Fiordiligi sang. Ihre Schwester die erste Dorabella! Er selbst beschrieb die Beziehung zu ihr so: „Teils aus Liebe … vor allem aber zum Wohl des Theaters…“ Als er 1791 in Wien nach dem Tod des dem fortschrittlichen Theater zuwandten Joseph II. bei dessen Nachfolger Leopold II. in Ungnade fiel, ließ auch die Ferrarese ihn sang- und klanglos fallen und verschwand nach Venedig. Aus Rache versuchte er bei den dortigen Behörden ihren Gatten als Spion zu denunzieren, um für sich selbst die Rückkehr nach Venedig zu erwirken. Der Plan ging schief und er nach Triest, wo er als 43-Jähriger die 20 Jahre jüngere Anna Celestina Ernestina „Nancy" Grahl kennenlernte, sie heiratete, mehrere Kinder mit ihr zeugte und 1805 mit der Familie nach Amerika auswanderte, wo sie nach 39 Ehejahren starb und er noch sieben Jahre als Witwer lebte. Sein Begräbnis wurde 1838 mit großem Pomp in der damaligen St.-Patricks-Kathedrale in Manhattan begangen. Von Affären während seiner Ehe mit Nancy ist entweder nichts bekannt, oder er hatte tatsächlich keine mehr. Jedenfalls kannte sich Da Ponte bestens in Liebesdingen aus, hatte die ganze Palette ihrer Höhen und Tiefen erlebt, konnte sie deshalb so trefflich in seinen Libretti verarbeiten. Mozarts diesbezügliche Erfahrungen hielten sich hingegen sehr in Grenzen. 1777 verliebte er sich 22-jährig in die Sängerin Aloisia Weber. Sie lehnte seinen Heiratsantrag 1778 ab, verheiratete sich anderweitig, trat aber in Wien weiter zusammen mit Mozart auf.  Dieser wandte sich ihrer jüngeren Schwester Constanze „Stanzerl“ zu, ehelichte sie 1782 und führte eine von inniger Liebe, Verbundenheit und genüsslichem Sex geprägte Beziehung mit ihr bis zu seinem frühen Tod 1791. In Sachen tief empfundener Liebe hatte Mozart zum Zeitpunkt der Zusammenarbeit mit Da Ponte möglicherweise einiges voraus. In ihrem musik-theatralischen Fortschrittsdenken trabten sie im Gleichtakt. Herauskamen die drei Meisterwerke.


Così fan tutte. v.l.n.r. Kelsey Lauritano (Dorabella), Teona Todua (Fiordiligi), Jonas Müller (Guglielmo; kniend), Magnus Dietrich (Ferrando), Liviu Holender (Don Alfonso) und Bianca Tognocchi (Despina). Foto: Barbara Aumüller

 

Così fan tutte ist wohl aufgrund der emotionalen Zerrissenheit der beiden Paare die am wenigsten „Gefällige“ der Drei. Doch genau deshalb auch die – meiner Meinung nach – Faszinierendste. Mozart hat die Absicht Da Pontes, menschliche Gefühlsfacetten aller Art zu zeigen, durch seine Musik noch verstärkt und schleudert den Zuhörer von einem Extrem ins andere. In lebhaften, witzigen, traurigen, wütenden, von tiefer Liebe oder tiefem Zweifel geprägten Arien entladen sich meist vulkanartig Gefühle, die sofort raus müssen, weil so wenig Zeit ist: nur ein Tag (respektive drei Stunden netto).

Generalmusikdirektor Thomas Guggeis ist es gelungen, dem Toben und Wüten, Lieben und Zweifeln, Betrügen und Witzeln mal kraftvoll und laut, mal höchst einfühlsam und leise, mal heiter und leicht die entsprechende musikalische Sprache zu entlocken und schließlich alles zu einer Einheit zu verbinden. Mit seiner Flexibilität auch bei den Tempi konnten sich die Sänger:innen gut entfalten und wahrlich beeindrucken. Vor allem die drei Frauen (tutte!) und der als Mitglied des Opernstudios erst am Anfang seiner Karriere stehende Bariton Jonas Müller als Guglielmo. Not to miss! Ein Augen- und Ohrenschmaus.


Trailer zu „Così fan tutte“ von Wolfgang Amadeus Mozart | Oper Frankfurt

Così fan tutte. Teona Todua (Fiordiligi; oben) und Kelsey Lauritano (Dorabella; unten). Foto: Barbara Aumüller

Così fan tutte
Dramma giocoso in zwei Akten
Musik: Wolfgang Amadeus Mozart 1756–1791 
Text: Lorenzo Da Ponte 1749-1838
Uraufführung 1790, Burgtheater, Wien
 
 
Besetzung
 
Musikalische Leitung
+ Hammerklavier
Thomas Guggeis
 
Inszenierung
Mariame Clément
 
Bühnenbild
Etienne Pluss
 
Kostüme
Bianca Deigner
 
Licht
Joachim Klein
 
Chor
Alvaro Corral Matute
 
Dramaturgie
Zsolt Horpácsy
 
 
Fiordiligi
Teona Todua
 
Dorabella
Kelsey Lauritano
 
Guglielmo
Jonas Müller
 
Ferrando 
Magnus Dietrich

Despina
Bianca Tognocchi
 
Don Alfonso
Liviu Holender
 
Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
 
Weitere Vorstellungen:
28. September, 2., 4., 12., 17., 19., 25. Oktober, 1. November 2025, 1., 3., 11., 17. Januar 2026

Oper Frankfurt

Erstellungsdatum: 24.09.2025