Freiluftgefangenentheater in der JVA Tegel
Titus Andronicus, Feldherr der Römer, kehrt nach seinem Krieg gegen die Goten umjubelt heim. Trophäen des Sieges: die Gotenkönigin Tamora und drei ihrer Söhne. Als Vergeltung für seine eigenen gefallenen Söhne lässt Titus den Ältesten Tamoras hinrichten und setzt damit eine blutige Tötungsmaschinerie in Gang.
Es entspannt sich ein Reigen der Rache zwischen Goten und Römern, der den Krieg vom Schlachtfeld in das politische Rom und in die Familien verlagert. So vollzieht sich der Zusammenprall von Machtzentrum und Peripherie, von „Zivilisation“ und „Barbarei“ – aber von Beginn an stellt sich die Frage, wer hier eigentlich was vertritt. Theater als Blick in die Welt, wie sie ist. Der Mensch darin: ein radikal aufgeladenes Elementarteilchen ohne Sinn und Halt.
Wie zerfällt eine Ordnung? Sie zerfällt langsam, in Schüben eines unberechenbar vorrückenden Wahnsinns. Das macht sie sämtlich so lächerlich: Sieger von gestern, Generäle toter Armeen, ausgediente Politiker, kurz: alle, die mal Staat im Staate waren und die nun ihrer Täterschaft – leider ein paar entscheidende Untaten zu spät – das heiße Herz der Redlichkeit einoperieren wollen.
Im Innenhof einer stillgelegten Teilanstalt spielen Insassen der JVA Tegel Shakespeares frühe Tragödie in den Bearbeitungen von Friedrich Dürrenmatt und Heiner Müller. Experten der Realität, was den Umgang mit Gewalt und die Lehren daraus betrifft, nähern sich spielend einem Urstoff des Archaischen. Wie verliert sich Selbstwert in Selbstjustiz, wie verwandelt sich Sehnsucht nach Anerkennung in brutale Anmaßung, wie artet das Streben nach Gerechtigkeit in Rachsucht aus? Theater als Gleichnis, gültig diesseits und jenseits von Gefängnismauern: Konfliktlösung per Gewalt führt schnell zu einem Leben, das sich nicht mehr in der Gewalt hat.
Wir seien nicht bei uns selber angekommen, so lange Shakespeare unsere Stücke schreibe. Schrieb Heiner Müller. Und Friedrich Dürrenmatt verwandelt Shakespeares Tragödie des Verrottens in eine Posse. Beide gelangen zu einer bestürzenden Wahrheit: Wir sind sehr wohl bei uns, nur leider nicht bei Trost.
Wo die Notwehr aufhört, fängt der Mord an. (Heiner Müller)
Es spielt das Gefangenenensemble der JVA Tegel André S., Atak, H. Peter Maier C.d.F., Horst Grimm, Idah.J, Jan M., Jörg, Khaled H., Kristian, Marco, Medjit, Moussa, Muhammet, Norman, Oliver, Paul E., Robin, Sven.
Regie Peter Atanassow Bühne Holger Syrbe Kostüme Haemin Jung Dramaturgie Franziska Kuhn, Hans-Dieter Schütt Musikalische Leitung Vsevolod Silkin Choreographie Suzann Bolick Produktionsleitung Sibylle Arndt Regieassistenz Anaïs Scheel Kostümassistenz Elena Chant Technik Moh K., Lukas Maser Grafik Dirk Trageser
Premiere: 3. Juni 2025
Vorstellungen: 5., 6., 11., 12., 13., 17., 19., 20., 25., 26. und 27. Juni 2025
Spielort:
Justizvollzugsanstalt Tegel - Freistundenhof der ehemaligen TA III
Seidelstraße 39
13507 Berlin
Anfahrt:
U-6 Otisstraße oder Holzhauserstraße
Erstellungsdatum: 04.06.2025