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Punkrock DDR

Überschäumende Lebensfreude

Henryk Gericke


Ostdeutscher Punk. Foto: Merit Schambach. wikimedia commons

Punk, der im Westen wirkte wie eine Einbrecherbande, die die Wohnungseinrichtung zertrümmert, sonst aber für das etablierte gesellschaftliche Gefüge keine Gefahr darstellte, wurde in der autoritären DDR in den Rang eines Staatsfeindes erhoben. Die provozierende Lebensfreude wurde auf diese Weise selbst politisch. Henryk Gericke, einst an der Ostberliner Kultur-Opposition beteiligt, hat ein Buch darüber geschrieben und für TEXTOR klärende Informationen zur Verfügung gestellt.

 

Ob vor oder hinter dem Eisernen Vorhang; auf der Dekadenschwelle von den 70er- zu den 80er-Jahren öffnete sich eine Tür. Sie bot keinen Einlass, sondern den Ausstieg aus Gesellschaftsformen, die systemüberlappend vom Kalten Krieg gezeichnet waren. Ging man durch diese Tür, war einem keine leuchtende Zukunft verheißen, doch man war immerhin frei von Zukunftsangst. Das „No Future“ der Punks war insofern kein Angstschrei, sondern eine Unabhängigkeitserklärung. Punk zu sein bedeutete frei zu sein, auf dem schmalen Grat zwischen Selbsterhaltungstrieb und kompletter Entgrenzung rannten die Punks Schranken ein und tobten über tradierte Demarkationslinien hinaus. Und selbst an Zeitgrenzen oder an geopolitischen Frontziehungen zwischen Atlantischem Bündnis und Warschauer Pakt machte Punkrock nicht halt.

Innerhalb der Systemkoordinaten von West oder Ost entfaltete er sich allerdings unter lokal und national differenten Bedingungen. In New York war Punk zunächst eine künstlerische Bewegung, die letztlich auch aus der Pop Art hervorging, das Umfeld von Andy Warhols Factory war amerikanischer Protopunk. In London, überhaupt in Großbritannien, war Punk vor allem Rock und an eine noch aus dem Zweiten Weltkrieg resultierende soziale Erosion der gesellschaftlichen Fundamente gekoppelt. In den West-Sektoren Deutschlands fand der Drei-Akkorde-Existenzialismus wiederum als experimentelle Spielart in Westberlin, als typenoffene Variante in Düsseldorf und als proletarisch-politische Haltung in Hamburg statt. In der DDR, einem Provinznest von weltpolitischer Bedeutung, waren Berlin und Leipzig die beiden Punk-Epizentren. Die politische Radikalität der Leipziger Punks sowie die zugleich heroische und dabei entspannt wirkende Entschlossenheit einzelner von ihnen, mit dem System konsequent zu brechen, sorgten für Respekt in der Berliner Punkszene. Die Ostberliner Punks galten als schillernd und als verhaltensoriginell bis gewalttätig; sie wurden von den Kollegen anderer Städte beargwöhnt, dennoch suchten sie, unter gelegentlichen Verlusten von Statussymbolen der Szene, immer wieder die Nähe der „Hauptstadtpunks“.

So ausdifferenziert seine jeweiligen Cluster waren, so archetypisch war Punk. Seine Farbenschlacht und Lärmorgie gaben das drastische Rahmenprogramm zu einem Nachkriegsszenario, welches nur das Vorspiel zu einem nächsten Krieg zu sein schien. Das Endzeitgefühl im Angesicht der atomaren Systemschmelze und der totalitären Gesinnungen der politischen Eliten war in Ost wie in West präsent. Doch während im Westen noch die Angst vor Orwells Big Brother umging, war der passgenaue Bürger hinter dem stählernen Vorhang bereits Zeitzeuge einer real existierenden Totalität. Natürlich ließe sich auch von der ehemaligen BRD als einem Überwachungsstaat sprechen. Berufsverbot, Radikalenerlass und Rasterfahndung eigneten sich nicht zum Gütesiegel einer Demokratie. Doch selbst ein in Schwingung geratener Pluralismus ist noch keine Diktatur. Bei allen gesellschaftlichen Verzerrungen und totalitären Tendenzen steht das Recht auf zivilen Ungehorsam zumindest im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und ist im Zweifelsfall stets durch Anwälte einklagbar. In der DDR hingegen war der Kontrollwahn keine Frage parlamentarischer Entgleisungen, er war dem System eingewoben, die Möglichkeiten, ihm konstitutionell zu begegnen, lagen bei unter Null. Der Bannstrahl der Justiz machte seine politischen Zielobjekte zu Opfern der Justiz, die Diktatur des Proletariats war vor allem eine Diktatur und deren Natur gemäß ein Verbotsstaat.

Als halber Mensch hat man Lust, Verbote zu übertreten, nicht ihnen zu folgen. Man ist im günstigsten Fall ein Empörer. Nicht Feinstaub, sondern Split im Getriebe eines Kontrollsystems zu sein – darin bestand ein einzigartiges Vergnügen und eine entsprechend knirschende Genugtuung. So gesehen waren die DDR-Insassen letztendlich wohl privilegiert. Doch die Gefahr war nicht nur Teil des Spaßes, sie war auch der Stoff eines Dramas. Die Halbwüchsigen fanden sich als „Kampfreserve der Partei (1) von einer ideologisch gerechtfertigten Haltetherapie zwangsumarmt. Zeigte diese nicht die gewünschte Wirkung, reagierte das Gesetz in seiner Willkür verlässlich und brachte das Ministerium des Inneren gegen die verlorenen Kinder in Stellung. Halbstarke, Hippies und Punks wurden von einer elastischen Vielfalt berüchtigter Gummiparagraphen gemaßregelt. Wiederholt aufgeführte Klassiker im Strafregister der Staatsanwaltschaft waren: § 220 Öffentliche Herabwürdigung, § 212 Widerstand gegen staatliche Maßnahmen, § 217 Zusammenrottung, § 215 Rowdytum, § 219 Ungesetzliche Verbindungsaufnahme oder § 214 Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit. Die Verurteilungen zu Haftstrafen folgten auf die „Zersetzungsmaßnahmen“ der Staatssicherheit. Sie umfassten das gesamte Spektrum niedrig gesinnten Handelns im Dienste einer höheren Sache. Neben Observation und Förderprogrammen zum Verrat zählten zum Staatsstalking Einweisungen in die berüchtigten Jugendwerkhöfe (2), Auflagen wie das Berlinverbot, die ebenso gefürchtete Arbeitsplatzbindung (3) oder auch die unmittelbare Einberufung in die NVA nach Erreichen der Volljährigkeit.

 

Heute spricht man von dem Repressionsarsenal eines Unrechtsstaates. Dabei wird eine Form der Repression eher einem allgemeinen Lebensgefühl ostdeutscher Teenager zugeschrieben, obwohl sie ihrem Wesen nach ebenfalls einer Strafe glich – die Rede ist von der grassierenden Langeweile. Staatlicherseits war das exklusive Angebot an jugendgemäßen Festivitäten quantitativ wie qualitativ limitiert und im eigentlichen Sinne jugendfrei. Stellvertretend für die Tristesse und für das Unverständnis gegenüber jugendlichen Obsessionen standen FDJ-Festivals unter dem flotten Motto „Wir lassen ’ne Kuh fliegen“ oder die Jugendsendung RUND des staatlichen Fernsehens. Unterbrochen von Auftritten abgehalfterter Westbands wie Middle Of The Road wurde per Liveticker in den Stall einer gottverlassenen LPG (4) geschaltet, wo der Moderator im Blauhemd (5) und im Verein mit einem unbedarften Bäuerlein die Kubikliterzahlen seiner Milchproduktion wie einen vernichtenden Sieg über die traurige Wahrheit verkündete. Das alles roch sauer. Dieser immer nur durchgerührte Stillstand, die DDR-eigene Melancholie, die auf den Kommunismusknick nach dem Bau-auf-Bau-auf-Enthusiasmus der 60er-Jahre (6) folgte, steigerte sich zur kollektiven Depression. Für Teile der Nachkriegsjugend der 60er-, 70er- und auch der 80er-Jahre war sie der Auslöser, das bessere Gesellschaftssystem sich selbst zu überlassen und sich dünne zu machen. Oder aber den Breiten zu machen und innerhalb des toten Ereignisfeldes DDR republikflüchtig zu werden. In jeder der vier langen Dekaden seines kurzen Daseins, das dem „ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden“ beschieden war, entwickelten sich generationseigene Abwehrreaktionen. Als deren Folge zieht sich die Drangsalierung von Jugendkulturen durch die Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik. Von ihr ging ein vier Generationen langer, sich fein verzweigender Riss durch die Demokratiefassade einer Diktatur, ein Stammbaum der Subkulturen. Keine Szene wurde derart intensiv von der Staatssicherheit betreut wie die Punkszene, und keine Jugendbewegung zuvor war davon weniger zu beeindrucken. Doch ihrer Verfolgung gingen die Schikanen gegenüber anderen Jugendbewegungen voraus. Die Beatgeneration feierte eine Unbeschwertheit, die zwar sich selbst genügte, aber jenen missfiel, denen man nie genügte. Die Hippies und Tramper waren eingezäunt und on the road in vier Wänden. Sie verloren ihr blumiges Selbstverständnis und auf den Wachen der Kontrollgremien manchmal ihr langes Haar. Die Punks hingegen gewannen ihre verlorenen Schlachten, ihre Bühne stand inmitten der kaputten Kulissen eines real gescheiterten Sozialismus.


Jana & Mita von NAMENLOS, Seeburgviertel in Leipzig 1983 – Foto: Christiane Eisler

 

Mit der Tendenz zur Abweichung fühlte man sich in der DDR wie im eigenen Hause fremd. Dafür hat man einen äußeren Ausdruck gesucht. Anfang der 80er-Jahre war Punk das Gebot der Stunde. Sein nihilistischer Kult, sein Lärm um Nichts, bei dem es ja doch um Alles ging, war der „historischen Mission“ der Altkommunisten wesensfremd. Im Sprachgebrauch der Nomenklatura und ihrer Letzte-Wahrheit-Presse galt Punkrock als „Schund“ oder wahlweise als „Primitivrock“, der ferngesteuert vom Westen die sozialistisch justierte Jugend verdarb. Jeder Punk, egal in welchem System, wurde zum Entfesselungskünstler, sprengte diffus empfundene Ketten und ließ sich selbst von der Leine. Für jene, die nicht wussten, wohin sie wollten, was sie wollten, barg dieser Intensivkurs in Selbstermächtigung ein verstörendes Erweckungspotential. Man fand zu sich selbst, indem man sich erfand, einzig war unter Vielen, und dann auch noch zu den Wenigen unter den Raren zählte. Punkrock in der DDR blieb jedoch ein Höhenflug mit ständigem Strömungsabriss, die Punks waren immer nur in Grenzen frei. Wenn aber erstmal eine Szene von Außenseitern entstanden ist, dann entwickelt sie eine Sogwirkung; und was einen zieht, das schiebt. Der Tumult, der Punkrock war, zog krasse Charaktere an. Am Rande eines rotierenden Gravitationszentrums bewegen sich zudem immer Satelliten und Outsider aller Couleur. Vor allem die noch am Beginn ihres quietschvergnügten Passionsweges stehende Punkgemeinde kann nicht kontextlos betrachtet werden. Der DDR-Underground glich einer Szene-Hydra, einer kaum zu kategorisierenden Konstellation aus Musikern, Dichtern, Malern, Fotografen und Filmemachern. Die Künstler haben sich die Energie von Punkrock zu eigen gemacht, die Genres kreuzten sich, die Auflösung der Formen suchte nach Gestalt. Mittendrin tollten die Punks durch die Wohnungen von Lyrikern, Bands lärmten in Ateliers.

Die Legendenschreibung besagt, dass die ersten Punks um 1978 oder ’79 in Ostberlin gesichtet wurden. Von einer Punkbewegung konnte da noch keine Rede sein, es handelte sich um eine mikrokulturelle Szene von vielleicht zwanzig Aktivisten. 1980/81 entstanden dann in Ostberlin und Leipzig feste Wildwechsel und Hotspots. Spätestens ab 1983 entwickelte sich die Punkszene zu einer Bewegung. In der Zeit ihrer Unschuld, noch vor der Konfrontation mit Bürgerschaft und Staatsmacht, applaudierten die Leute auf der Straße gelegentlich zu einem schrillen Ornat, das jenes anämische Kolorit der DDR um Farben bereicherte. In Ostberlin begriff die Polizei nicht sofort, dass die enthemmten Exoten keine Tagestouristen aus dem Westen waren, man kannte Wahnsinn ja nur als festen Klassenstandpunkt bzw. als stalinistische Methode. Zunächst bekamen es die Kinderpunks mit den konventionellen „Staatsorganen“ zu tun; Volkspolizei, Kripo. Dann erst trat die Staatssicherheit in Erscheinung und ging massiv gegen die Punks vor.


Henryk von THE LEISTUNGSLEICHEN, Fischerinsel Berlin-Mitte 1982 – Quelle unbekannt

 

DIY-Punk in England war eine Reaktion auf den befürchteten Ausverkauf von Punk. Die Frage des Ausverkaufs stellte sich in der DDR erst gar nicht. Ab Mitte der 80er-Jahre stellte sich die Frage der drohenden Vereinnahmung durch den Staat. Entzog man sich ihr, lag es jenseits jeder Vorstellung, eine Karriere als Popstar zu machen, man spielte ausschließlich im Keller der Startrampe zum DDR-weiten Ruhm. Kamen Punkbands überhaupt einmal aus dem Proberaum heraus, so fanden Konzerte zumeist in Kirchenräumen statt. Die Kirche war ein exterritoriales Gebiet, auf das die Staatssicherheit keinen direkten Zugriff hatte. Dort gab es keine Zuführungen, keine Verhaftungen. Die Türen der einen oder anderen evangelischen Kirche standen für Leute offen, die ins sozialistische Stadtbild wie hineinmontiert aussahen und somit akut gefährdet waren, daher für Punks, aber auch für Kunden, Freaks und Hippies. Die Punks waren, soviel steht fest, durch ihre überschäumende Lebensfreude bald die dominanteste Gruppierung innerhalb des Kirchenasyls. Vor der Staatsmacht boten einige wenige Pfarrer oder Diakone einen räumlich umrissenen Schutz, doch natürlich hatten sie keinen Einfluss auf die Dynamik anderer Konflikte. Die Szene verlor schnell ihre Unschuld. Zur allgegenwärtigen Genussmittelproblematik gesellten sich Auseinandersetzungen mit den Eltern, die um den Frieden mit den Politoffizieren und den lieben Nachbarn fürchteten. Die verhohlene Staatskritik hörte für den biederen Bürger mit Punk auf, in dieser Frage war man systemkonform. Mit Angriffen war ständig zu rechnen. Übel waren die Massenschlägereien mit Gangs und Fußballfans. Zum Repressionsdruck von außen kam der Druck in der Szene selbst. Gewalt untereinander war weder die Regel noch die Ausnahme von derselben. Als sich die Skins, die in der DDR Nazi-Skins waren, von den Punks abspalteten, gingen dann plötzlich alte Kumpels aufeinander los, ehemalige Ideologie-Verächter prügelten sich nun aus weltanschauungsähnlichen Gründen. Die Staatssicherheit spielte Punks und Skins durchaus gegeneinander aus. Damit bekam der sozialistische Wettbewerb (9) eine völlig neue Nuance.

Das alles musste man als Halbwüchsiger aushalten können. Insbesondere die Konfrontationen mit einem Geheimdienst. Es war schwer, sich als 16- oder 17-Jähriger gegen psychologisch geschulte Fachidioten zu behaupten, die selbst einer Gehirnwäsche unterzogen waren und über Mittel zur Manipulation frei verfügten. Das Herz hat Pogo getanzt, aus Angst, die Angst war allerdings gepaart mit Wut. Durch die staatliche Reaktion gewann Punk in der DDR endgültig eine politische Dimension. Einige Punks trugen das Anarchiezeichen nicht nur als szenetypisches Dekor, sondern wurden politisch aktiv. In der zweiten Hälfte der 80er-Jahre gab es zwischen Oppositions- und Punkszene einige Schnittstellen. Parallel vollzog sich ab 1983 eine Aufsplitterung. Viele der Altpunks waren bei der Armee oder in einer der berüchtigten Strafvollzugsanstalten. Nicht wenige wurden vom Westen freigekauft, sie gingen aus der Zelle direkt in die weite Welt und waren damit aus der Welt. Dennoch wurde Punk zur Bewegung. Die Staatssicherheit tappte bereits völlig desorientiert durch eine Gegenkultur, die sich längst in Subszenen wie Suffpunks, Anarchopunks, Hardcorepunks und Skins aufgespalten hatte. Metaller und Hooligans machten das Ganze noch unübersichtlicher. Dann kam New Romantic. Das haben die Wächter des Systems nicht mehr begriffen. Gothic? Da hatten sie bereits komplett den Überblick verloren.

Schlussendlich hatten die Funktionäre dann doch verstanden, dass sie Punkrock nicht verhindern konnten, dass gerade die Verhinderungsbemühungen seine Radikalisierung befeuerten. Um kulturell nicht vollends den Anschluss an die volkseigene Jugend zu verlieren, doch ebenso, um die Szene zu lenken, wurde das Konstrukt der „anderen Bands“ initiiert. Das staatliche Label AMIGA brachte einen Sampler heraus, auf dem New-Wave-Bands veröffentlicht wurden, deren Texte kess und metaphorisch sein durften, aber nicht sarkastisch und eindeutig zu sein hatten. Einerseits waren die Grenzen zwischen den „anderen Bands“ und den ganz anderen Bands teils fließend. Doch der Kern jener etwas weichen Frucht war nun tief in den FDJ-Kulturbetrieb verpflanzt und wurde mit staatlicher Förderung gegossen, inklusive mit Zuschüssen für Equipment und Proberäumen oder der Produktion eigener Platten. Wie all die anderen Ostrocker auch lieferten sich viele, gelegentlich auch kritische Bands vor ahnungsfreien Kulturfunktionären sogenannten Einstufungen aus, ließen sich in die Texte direkt oder indirekt reindiktieren oder bei der Namensgebung korrigieren. Mit einer „Spielerlaubnis“ von Staats wegen konnten sie legal über die Bretter, die die Republik bedeuteten, tingeln, Eintrittsgelder nehmen und von ihrer Musik leben. Das war eine große, eine verständliche Versuchung. Was blieb, war Wave mit einer FDJ-Note im Abgang, den haben die Punks der ersten Stunde abgelehnt bis verachtet. Eine Band wie Namenlos ging für ihren Song „MfS“, eine direkte Grußbotschaft an die Adresse des Ministeriums für Staatssicherheit, geschlossen in den Knast. Eine solche Entschlossenheit lässt sich nicht zum Maßstab für andere Bands erklären. Doch die Grenzen, die solche Bands einrissen, nutzten punktouchierte Opportunisten, die sich ausgerechnet Die Skeptiker nannten, nur um ihren Softcore in eine historisierende Widerstandsattitüde umzutopfen und von „Dada in Berlin“ zu singen. Doch Dada in Ostberlin, das waren Skandalbands wie Namenlos, Betonromantik, Planlos, Unerwünscht, Zerfall oder Rosa Extra. Ihre Illegalität in der Totalität war konsequent. Der Arbeiter- und Bauernstaat hämmerte auf diese missratenen Kinder ein und beschnitt ihre Lust, sich frei zu entfalten. Insofern waren Hammer und Sichel als Symbole einer Weltanschauung noch mit einer speziellen Bedeutung aufgeladen. Die Utopie der Alten taugte schließlich nur noch zum Wetzstein für den Sarkasmus der Punks. Ihr Tumult war die befreiende Störung der sozialistischen Ordnung, ihr Pogo ein „Tanz den Kommunismus“[1


PARANOIA, Dresden ca. 1983 – Archiv: Jörg Löffler

 

(1) Kampfreserve der Partei: Heroisierendes Synonym der SED für den Euphemismus von der Freien Deutschen Jugend, dem ein ideologisch abgeleiteter Besitzanspruch auf die „eigene Jugend“ zugrunde lag.

(2) Jugendwerkhöfe: Orte einer tiefschwarzen Pädagogik, de facto Arbeits- und Umerziehungslager für Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren. Die Jugendwerkhöfe deckten das gesamte Spektrum an Willkür und Missbrauch ab. Zur traurigen Lektüre sei der entsprechende Wikipedia-Eintrag empfohlen.

(3) Arbeitsplatzbindung: Zumeist als Nachschlag auf verbüßte oder zur Bewährung ausgesetzte Haftstrafen angewandt, gelegentlich auch gekoppelt an Aufenthaltsverbote wie etwa dem „Berlinverbot“. Die Arbeitsplatzbindung war bewährungsrelevant. Wer z. B. einseitig den Pflichteinsatz im Kuhstall einer LPG quittierte und sich von einem ihm willkürlich zugewiesenen Dorf zurück in seine Heimatstadt durchschlug, hatte bei erneutem Zugriff, über die zur Bewährung ausgesetzten Strafe hinaus, mit weiteren Sanktionen zu rechnen.

(4) LPG: Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft. Teil einer gut gemeinten, aber letztlich ruinösen Subventionskultur in der DDR. So konsumierten etwa ökonomisch denkende Bauern ihre geschlachteten Kaninchen nicht selbst, sondern verkauften sie an die LPG und kauften sie von der HO (Handelsorganisation) unter dem Verkaufspreis zurück.

(5) Blauhemd: Aufgrund seiner Nähe zum Braunhemd weckt der Begriff ungute Assoziationen und verführte in der jüngeren Vergangenheit zu Vergleichen zwischen Sozialismus und Nationalsozialismus, die sich auf allen Ebenen verbieten. Das Anlegen des FDJ-Hemdes zu besonderen Anlässen war in weiten Kreisen der DDR-Jugend durchaus mit einer gewissen Scham verbunden. Ausgerechnet in einem Alter, in welchem Kleidung einen identitätsstiftenden Charakter einnimmt, wurde man mit der Pflicht konfrontiert, sich eine andere Identität überzustülpen, die mindestens als uncool galt.

(6) Bau-auf-Bau-auf: „Bau auf, bau auf, Freie Deutsche Jugend bau auf!“ Refrain eines frühen Kampf- und Motivationsliedes aus dem Gesangsbuch der FDJ.

(7) Feindlich-negative Elemente: O-Ton Staatssicherheit, auch gern als »negativ-dekadent« in großzügiger Anwendung auf jeden, der sich im kleinen Kreis skeptisch oder öffentlich kritisch äußerte.

(8) Vopo: Leicht herabsetzende Abkürzung für den Tarnbegriff der „Volkspolizei“. In der DDR nur bedingt und eher im Westen gebräuchlich.

(9) Der sozialistische Wettbewerb: Belebung der Konkurrenz ohne Geschäft, diente zur Ankurbelung des Angebots hinter der ewig unbefriedigten Nachfrage.

(10) »Tanz den Kommunismus«, Zitat aus: »Der Mussolini« von Deutsch Amerikanische Freundschaft, „Alles ist Gut“, Virgin, Deutschland 1981.

Henryk Gericke
Tanz den Kommunismus
280 S., brosch.
ISBN: 978-3-95732-584-6
Verbrecher Verlag, Berlin 2024
 
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Erstellungsdatum: 22.09.2024