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Interview mit Ela zum Winkel

„Übersetzen hat viel mit Zweifeln zu tun“

Frank Weigand


Ela zum Winkel

Was wäre Theater in Deutschland ohne Stücke von Shakespeare, Beckett oder Wajdi Mouawad? Über den faszinierenden Prozess, Texte aus unterschiedlichen internationalen Herkünften für die Bühne zu übersetzen spricht der Übersetzer Frank Weigand mit der Schauspielerin und Übersetzerin Ela zum Winkel. Ihr feines Gespür für machtpolitische Aspekte sprachlicher und kultureller Übertragung und die besondere Bereitschaft zu zweifeln, wirkt ungewöhnlich bereichernd.

 

Frank Weigand: Liebe Ela, wie bist du zum Übersetzen gekommen – und dann noch spezifischer zum Theaterübersetzen?

Ela zum Winkel: Ganz sicher erstmal über das Theater selbst. Ich habe von klein auf Theater gespielt, als Kind, als Jugendliche in Laiengruppen. Dann habe ich nach dem Abitur an einer Schauspielschule in Frankreich studiert und während der Ausbildung erstmals auch Theater übersetzt. Einfach weil es mir Spaß machte und teilweise auch im Rahmen von Festivals oder für Theaterkompanien. Tatsächlich aber fast ausschließlich in die andere Richtung, also vom Deutschen ins Französische. Rückblickend kann ich sagen, dass Übersetzung während der Ausbildung eine bedeutende Rolle spielte, was mir damals, glaube ich, gar nicht so bewusst war. Wir haben viele Klassiker gespielt,  viel Shakespeare und Tschechow, und ich erinnere mich, dass wir immer mit mehreren Übersetzungen parallel gearbeitet und diese miteinander verglichen haben. Damals hatte ich aber nie den Gedanken, daraus vielleicht auch einen Beruf zu machen. 

Später habe ich noch ein anderes Studium drangehängt und angefangen, in Wien Translationswissenschaft zu studieren. Im Zuge dessen wurde mir klar, dass ich unbedingt übersetzen wollte. Also habe ich mich für die Theaterübersetzungswerkstatt Transfert Théâtral beworben, die damals von Laurent Muhleisen, Leyla-Claire Rabih und dir geleitet wurde.  Ein Jahr später habe ich dann für das Festival Primeurs in Saarbrücken das Stück Et y a rien de plus à dire von Thierry Simon übersetzt. Der Wunsch, Theater zu übersetzen, war naheliegend,  weil das eine Welt war, die mir vertraut war und in der ich mich gern bewegte. Und als ich dann „Übersetzerin geworden bin“, habe ich versucht, beides zu verbinden und aus der jeweils anderen Welt mitzunehmen, was mir besonders viel Spaß macht. 

Landläufig wird ja gerne behauptet, dass Übersetzen sehr viel mit Spielen zu tun hat. Würdest du das aus der Innensicht auch so beschreiben? Ist dein Know-How als Schauspielerin,  deine Bühnenerfahrung hilfreich beim Theaterübersetzen?

Ich denke schon, allein schon aus dem ganz praktischen Grund, dass ich durch die Ausbildung gewisse Theaterkonventionen kenne. Und die Tatsache, selber mit Texten auf der Bühne gearbeitet zu haben, hat meine Herangehensweise an Theatertexte sicher geprägt. Die physische, lautliche Gestalt eines Textes ist für mich auch beim Übersetzen immer sehr präsent. Als Übersetzerin nähere ich mich einem Bühnentext in ähnlicher Weise wie als Schauspielerin auf den Proben, und in beiden Fällen muss ich mich in diesem Annäherungsprozess auch ein Stück weit vom Original lösen, um etwas Neues schaffen zu können.  Es gibt dann später auch wieder sehr viele Unterschiede, aber die Ausgangssituation scheint mir durchaus vergleichbar. 

Ironischerweise bist du ja mittlerweile hauptsächlich als Prosaübersetzerin tätig und hast mehr Prosa als dramatische Texte übersetzt.  Hast du das Gefühl, dass Prosatexte eine andere Arbeitsweise erfordern?

Jein. Dramatische Texte sind ja wie Prosatexte Literatur, auch wenn die Art des Erzählens eine andere ist. Es macht aber einen enormen Unterschied, ob ein Text gelesen wird oder ob er verkörpert, gesehen und gehört werden soll. Es ist ein bisschen paradox: Einerseits versuche ich bei Theatertexten so knapp und prägnant wie möglich zu sein und andererseits glaube ich aber auch, dass ein Theatertext viel mehr offenlässt als ein Prosatext. Die Übersetzung ist ja, wie schon der Originaltext, viel mehr Vorlage für andere Interpretationen und Inszenierungen, als es bei einem Roman der Fall ist.  Andererseits sind zum Beispiel Rhythmus und Klang für mich nicht weniger wesentlich bei der Übersetzung von Prosa als von Theater. 

Hast du das Gefühl, dass du vom Theater Dinge mitnimmst, die für das Übersetzen von Prosa sinnvoll oder nützlich sind, oder dass das eher stört?

Nein, ich halte das für absolut nützlich. Im Theater geht es ja auch um Sprache und ganz viel auch um Übersetzung, um die Suche nach anderen, neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Um Interpretation, aber auch die Lust am Probieren, Verbiegen und Formen …  Ob das jetzt von meinem Theaterhintergrund kommt, weiß ich nicht, aber mir hilft das Bild der Probebühne beim Übersetzen und der Gedanke, dass da ein Raum ist, in den ich mich mit den Figuren und der Welt eines Romans bis zum „fertigen“ Text erstmal zurückziehe … 

Als Prosaübersetzerin überträgst du unter anderem die kamerunische Autorin Djaïli Amadou Amal, die in Frankreich mittlerweile ein Superstar ist. Als feministische Aktivistin macht sie auf die Situation der Frauen in der Sahelzone aufmerksam. Ihre Texte beschäftigen sich also mit einer bestimmten Realität, die weit von unserer europäischen Alltagsrealität entfernt ist. Wenn du als weiße europäische Frau eine solche Autorin übersetzt, stellst du dir dann die Legitimitätsfrage?

Djaïli Amadou Amal
Im Herzen des Sahel
Roman
252 Seiten
Übersetzung: Ela zum Winkel
Orlanda Verlag, September 2023

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Erstellungsdatum: 12.11.2024