Er war der erste Regent der Antike, der persönliche Erfahrungen mit seinen Untertanen teilte. Kaiser Ashoka, Herrscher über das indische Maurya-Großreich, versuchte im 3. Jahrhundert vor Christus, Staat und Gesellschaft nach der Lehre Buddhas auszurichten. Der Kaiser hielt das Prinzip der Religionsfreiheit hoch. Es sei sein Wunsch, ließ er wissen, dass überall in seinem Reich alle Glaubensgemeinschaften harmonisch zusammenlebten. Dafür ließ er sich, so berichtet Winfried Dolderer, eine besondere Kommunikationsstrategie einfallen.
Nach den Maßstäben der Zeit hätte der Tag glorreicher nicht verlaufen können. Das feindliche Heer vernichtet, eine Unmenge an Gefangenen und Beute eingebracht, das Kalinga-Reich an der südöstlichen Küste des indischen Subkontinents unterworfen und annektiert. Doch dem Sieger war nach Feiern nicht zumute. Ashoka, dritter Herrscher der Maurya-Dynastie, wurde den Anblick des mit Leichen übersäten Schlachtfeldes und der massakrierten Zivilisten nicht mehr los:
„Einhundert und fünfzigtausend an der Zahl waren die Männer, die von dort verschleppt wurden. Einhunderttausend an der Zahl waren jene, die dort erschlagen wurden und um ein Vielfaches mehr jene, die sonst noch umkamen“, so klagte er sich selbst einige Jahre später öffentlich an. „Die Brahmanen oder Bettelmönche oder andere Fromme oder Familienväter (…) mussten damals erleben, wie geliebte Angehörige verletzt oder abgeschlachtet oder verschleppt wurden. (…) Dies sehen alle Menschen gleich und betrachten es als bedauerlich. (…) Darum wäre selbst der hundertste Teil oder der tausendste Teil all jener Menschen, die in jener Zeit in Kalinga erschlagen wurden, die umkamen und die verschleppt wurden, heute sehr zu beklagen.“
Dieses erstaunliche Bekenntnis eines siegreichen Feldherrn findet sich auf einem Felsen im Girnar-Gebirge im heutigen indischen Bundesstaat Gujarat ebenso wie 1100 Kilometer weiter südöstlich in Andhra Pradesh und an mehreren anderen Orten. Es war Teil einer Kommunikationsstrategie, mit der Ashoka unter den Machthabern seiner Zeit herausragte. Als erster Herrscher des antiken Indien legte er Wert darauf, sich seinen Untertanen direkt mitzuteilen. Dass der Monarch aus der Residenz schriftliche Anweisungen an Untergebene in fernen Provinzen schickte, war im Maurya-Reich wohl gängige Verwaltungspraxis. Doch diese Mitteilungen waren auf Birkenrinde, Palmblättern oder sonstigen flüchtigen Trägermateralien notiert; nichts davon ist überliefert.
Ashoka ging es erkennbar um etwas anderes. Er wünschte, dass seine Botschaften nicht allein die mit der Umsetzung betrauten Beamten, sondern möglichst die gesamte Bevölkerung erreichten. Und er wünschte, dass sie von Dauer waren. Nachdem er sich offenbar unter dem traumatischen Eindruck des Kalinga-Feldzuges zum Buddhismus bekehrt hatte, ließ er seine Edikte auf Felsen in der Nähe von Ortschaften oder an vielbesuchten Wallfahrtsstätten, später auch auf Säulen, die an den Haupthandelsrouten aufgestellt wurden, in Stein hauen. Bisher sind 50 Orte in ganz Indien bekannt, wo sich solche Inschriften finden. Die erste wurde 1822 entdeckt. Nachdem es 1837 gelungen war, das altindische Brahmi-Alphabet zu entschlüsseln, nahm Ashoka vor den Augen der Historiker eine so plastische Gestalt an wie keiner seiner Zeitgenossen.
Seine Mitteilungen werden heute in drei Kategorien unterschieden: „kleine“ Felsenedikte aus der Zeit um 260 vor Christus, ein Korpus mit „großen“ Felsenedikten, die ins Jahr 256 datiert werden, schließlich Säulenedikte aus dem Jahr 243. Alle diese Texte variierten ein gemeinsames Anliegen: Sie sollten die Bevölkerung zu einer sittlichen Lebensführung im Geiste Buddhas anhalten und zugleich Ashokas neues Verständnis einer nicht mehr herrscherlichen, sondern fürsorglichen Rolle des Monarchen propagieren. Um möglichst weite Verbreitung zu finden, waren sie nicht in der Gelehrtensprache Sanskrit, sondern im alltagssprachlichen Prakrit abgefasst. Im Westen des Reiches, dem heutigen Afghanistan, fand sich ein zweisprachiges Edikt auf Aramäisch, der Verwaltungssprache des alten Iran, und Griechisch, das durch Kolonisten im Gefolge der Feldzüge Alexanders des Großen in der Region heimisch geworden war.
Es gab Beamte, die zu bestimmten Zeitpunkten die Inschriften vorzulesen hatten: „Verdienstvoll ist Gehorsam gegenüber Mutter und Vater. Verdienstvoll ist Freigebigkeit gegenüber Freunden, Bekannten und Verwandten und gegenüber Asketen und Brahmanen. Verdienstvoll ist es, sich der Tötung lebender Wesen zu enthalten. Verdienstvoll ist es, wenig zu verbrauchen und wenig in Vorrat zu halten.“ Sein eigenes Selbstverständnis umschrieb Ashoka mit den Worten: „Alle meine Anstrengungen sind darauf gerichtet, die Verpflichtung einzulösen, die ich allen lebenden Wesen schulde, so dass ich sie in dieser Welt glücklich mache, und sie den Himmel in der nächsten Welt erlangen.“
Als plausibel gilt, dass Ashoka zehn Jahre lang als Vizekönig die zentralindische Provinz Avanti verwaltete, dass er dort mit einer Kaufmannstochter, einer Buddhistin namens Devi, einen Sohn und eine Tochter hatte, und dass er sich nach dem Tod seines Vaters Bindusara 273 vor Christus mit brutaler Gewalt an die Macht putschte. Den designierten Thronfolger, einen älteren Halbbruder, ließ er beseitigen; nach Darstellung des Ashokavadana soll der Unglücksrabe in einem mit glühender Holzkohle gefüllten Graben zu Tode geröstet worden sein.
Auch dass zwischen Ashokas Machtübernahme und seiner formellen Thronbesteiging 269 vor Christus vier Jahre verstrichen, lässt vermuten, dass erhebliche Widerstände niederzukämpfen waren. Das Dipavamsa berichtet, Ashoka habe im Zuge dieser Auseinandersetzung hundert Halbbrüder ermorden lassen und sich auch noch, als seine Macht gefestigt war, als Tyrann und Wüterich aufgeführt. Er soll 500 Beamte wegen Gehorsamsverweigerung persönlich geköpft und 500 Haremsdamen, die sein Missfallen erregt hatten, bei lebendigem Leib haben verbrennen lassen. Bei alledem ist freilich die Neigung der buddhistischen Chronisten in Rechnung zu stellen, die Missetaten ihres Helden in möglichst grellen Farben auszumalen, um seinen Sinneswandel unter der wohltätigen Einwirkung der neuen Lehre umso wunderbarer erscheinen zu lassen.
Unstrittig ist die Lebenswende nach dem Kalinga-Feldzug, den Ashoka acht Jahre nach seiner Thronbesteigung unternahm. Zwei Jahre später pilgerte er nach Bodh Gaya, an den Ort der Erleuchtung Buddhas, wo er sich nach eigenen Worten von einem lauen zu einem glaubenseifrigen Buddhisten wandelte. Er war auch fortan viel unterwegs. In seinem früheren Leben, erklärte er, habe er Vergnügungsreisen gemacht, jetzt seien es spirituelle Reisen. Der Kaiser begegnete seinem Volk: „Auf diesen Reisen geschieht das folgende: Asketen und Brahmanen besuchen und ihnen Geschenke machen; die Alten besuchen und sie mit Gold unterstützen; die Bevölkerung auf dem Land besuchen und sie über eine sittliche Lebensführung unterrichten und über eine sittliche Lebensführung befragen, wie es sich bei solchen Gelegenheiten ziemt.“
Nicht nur der Kaiser tourte in moralischer Mission durchs Land. Er gründete eine eigene Behörde, deren Beamte auf Inspektionsreisen den Lebenswandel der Menschen im Auge behalten sollten. In immer wieder erneuten Mahnungen wandte sich Ashoka gegen Willkür in der Verwaltung. Die Justiz sollte unabhängig sein – „Belohnung und Strafe sind ihrer Entscheidung überlassen, so dass sie ihr Amt vertrauensvoll und furchtlos ausüben“ –, und zugleich das Prinzip der Verhältnismäßigkeit beachten. Niemand durfte zu Unrecht oder länger als geboten in Haft kommen, niemand im Gefängnis misshandelt werde. Zwischen Verkündung und Vollstreckung eines Todesurteils sollten mindestens drei Tage verstreichen, um dem Delinquenten Gelegenheit zu geben, Berufung einzulegen, aber auch, sich durch Fasten und Meditation auf das Ende vorzubereiten: „Denn es ist mein Wunsch, dass sie, auch wenn die Gnadenfrist verstrichen ist, in der anderen Welt Glückseligkeit erlangen.“
Der Kaiser hielt das Prinzip der Religionsfreiheit hoch. Es sei sein Wunsch, ließ er wissen, dass überall in seinem Reich alle Glaubensgemeinschaften harmonisch zusammenlebten. Voraussetzung sei „Zurückhaltung in Bezug auf die Sprache, so dass es keine Überhöhung des eigenen Bekenntnisses oder Herabsetzung anderer Bekenntnisse geben soll. (…) Andersgläubige sollten in jeder Hinsicht mit gebotenem Respekt behandelt werden.“
Im selben Maße galt dem Tierschutz die stete Sorge des Herrschers. Immer wieder wandte er sich in seinen Edikten dagegen, lebende Wesen zum Verzehr zu schlachten oder in religiösen Zeremonien zu opfern, sprach sich gegen Jagd und Fischfang aus. Dass er nicht die gesamte Bevölkerung zum Vegetarismus erziehen konnte, wurde ihm im Laufe der Zeit offenbar klar. Umso mehr lag ihm an gesetzlichen Begrenzungen des Tierverbrauchs. Trächtige Muttertiere und Jungtiere bis zum Alter von sechs Monaten stellte er unter absoluten Schutz. Fischfang war nur zu bestimmten Zeiten im Jahr erlaubt, offenbar auch, um die Regeneration der Bestände zu ermöglichen. „Hähne dürfen nicht kastriert werden. Hülsen, die lebende Tiere enthalten, dürfen nicht verbrannt werden. Wälder dürfen nicht ohne Not oder um Leben zu vernichten, verbrannt werden.“
In den Säulenedikten hielt der etwa 60jährige Rückschau auf sein Lebenswerk: „Ich habe die Gabe spiritueller Erkenntnis in vielfacher Weise gespendet. Ich habe Zweifüßern und Vierfüßern, Vögeln und Wassertieren unterschiedliche Wohltaten erwiesen. (…) Ich habe auch viele andere tugendhafte Taten vollbracht. Ich habe diesen Moralerlass zu dem Zweck aufschreiben lassen, dass die Menschen sich danach richten und dass er von langer Dauer sei.“ Ashoka hat danach noch etwa ein Jahrzehnt gelebt. Er soll 232 vor Christus gestorben sein. Seine Dynastie blieb ein weiteres halbes Jahrhundert an der Macht. Wir kennen von seinen Nachfolgern freilich nicht mehr als einige Namen. Um das Jahr 180 vor Christus endete das Maurya-Reich.
Erstellungsdatum: 03.02.2025