Wer nennt die Namen, die bei ihm zusammenkamen – bei S. U., Eigner eines Verlages, dem George Steiner eine eigene Kultur zumaß, und Bewohner eines wundersamen Hauses in der Frankfurter Klettenbergstraße 35. Menschen, die schrieben, dort wie bei Hofe eingeladen waren und es geadelt verließen mit ihren eigenen Initialen. Nun ist es entseelt und verkauft. Die Dichter sind stiften gegangen. E. D. erinnert an das Haus S.V.
Buchstaben. Mit ihnen hat es begonnen, mit den stolzen Initialen, und mit ihnen als letzter Spur endet es. Dazwischen lag ein Universum, auch das war aus Buchstaben erschaffen und seine Initialen glichen denen des obersten Herrschers. SV war das Königreich von SU. Aber machtvoller, und das wusste er selbst am besten, waren andere Initialen. An sie alle denkt man voll sehnsüchtiger Trauer, wenn man die magischen Buchstaben als letztes verbliebenes Mahnmal am Gartentor sieht. Ach, dieses Gartentor! Müßig, jetzt, nachdem alles endgültig vorbei ist, respektlos darüber nachzudenken, welche artistischen Leistungen vollbracht wurden, um da hindurch zu gelangen. Den Gartenweg entlang und die paar Stufen hinauf zu kommen ein echter Kraftakt, sie waren für viele die am schwersten bezwingbaren in der gesamten Geistesrepublik. Dafür lohnte sich auch ein wenig Selbstverleugnung.
Oben im Haus hatten sich bei vielen Gelegenheiten auf dem Blauen Teppich andere Initialen versammelt, M.R-R. zum Beispiel, oder H.M.E., unter den gütigen Augen von H.H., der allerdings schon im echten Himmel angekommen und deswegen nur noch als Porträt anwesend war. Bei denen zu bleiben, gar selbst eine zu werden, bedeutete das Leben. Viele Riesenlettern hatten als ganz kleine Buchstaben angefangen, P.H. oder R.G. zum Beispiel, aber der König S.U. ließ sie das rasch vergessen. Selige Zeiten.
Jetzt sind die Initialen seines Reichs verrostet, das Haus scheint um Erbarmen und Verschonung zu bitten. Der Arbeitsort, an dem unzählige der hier geborenen Ideen umgesetzt worden waren , steht schon lange nicht mehr. Als der graue Bau vor mehr als einem Jahrzehnt fiel, war er verrottet, der König tot und begraben. Aber der Mythos wurde am Leben gehalten, verwaltet und gepflegt, so gut es eben ging. Und es ging gut! Denn Generationen hatten mit den knallbunten Bändchen von dort Denken gelernt, Zweifeln, und ein wenig Glauben auch. Das vergaßen sie nicht. Aus dem unscheinbaren Haus waren zählebige Buchstaben gequollen, immer wiederentdeckt worden, vom Hirndachboden geholt, abgestaubt und neu gelesen. Und dann neu gekauft, weil das alte bunte Ding früher zu viel geliebt worden und deshalb auseinandergefallen war. Treue Vasallen nahmen sich der Sache an und sorgten dafür, dass die Welt weiter an die Einzigartigkeit dieses Buchstabenuniversums glaubte und genügend jüngere Menschen auch so ein König werden wollten. Eine Initiale. Ein Nachfolger. Bei Lebzeiten des Herrschers hatte das nicht recht geklappt. Obwohl sogar ein v.W. dabei gewesen war.
Im Haus, das jetzt sachte zuwächst, hatte auch die Philosophie ihren Platz, E. B. oder Th. W. A. Ach, alle längst in den Olymp abgeschoben, was immer der für ein Wohnort sein mag. Wie harsch der zweite sich über den ersten gegenüber seinem Verleger S.U. geäußert hat, wissen nur noch echte Liebhaber wie W.S.
Jetzt holt sich die Natur den Geistesort zurück, den sie nie hatte und macht einen Geisterort draus. Man kann kaum mehr in die Fenster schauen und erkennt nur schattenhaft jenen Sessel, auf dem die Dichterin H.D. immer saß, älter und schließlich alt werdend und geduldig darauf wartend, dass jemand sie anspräche. Alle staunten nach ihrem Tod nicht schlecht, dass sie offenbar jahrelang einen Liebhaber hatte. Ausgerechnet den KWP! Und der erbte!
Es folgten alljährliche rituelle Wiederbelebungsversuche, Buchpremieren oder eben Buchmessen, ein immer mühsameres Theater hinter staubigen Vorhängen und verrosteten Zäunen.
Dann starb der Treueste der Hinterbliebenen, der unermüdlich versucht hatte, sich dem Verfall entgegenzustemmen und ihm noch etwas Glanz abzugewinnen. Das war das Ende.
An seine Initialen wollen wir angesichts derer des S.V. immer denken und ihm danken : R.F.
Erstellungsdatum: 13.07.2025