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Die Aufklärung hat den Menschen das Erklärbare erklärt. Die Naturwissenschaften haben sie aus dem Zeitalter der Geister und Dämonen geführt. Wahr ist auch, dass sie nicht verhindern konnten, sich zu Lasten der Menschen in Dienst nehmen lassen. Wissen, Tun und Hoffen können durchaus in verschiedene Richtung weisen. Peter Kern sieht im dritten Teil seines Traktats einen Ausweg aus dem Dilemma im Bündnis mit der Theologie, die in die Emanzipation führen kann.
Die vorhergehenden Teile dieses Textes waren der Religionskritik und der Ökonomiekritik gewidmet. Nun will der Traktat gleichsam die Quersumme ziehen. Ginge es um Mathematik, käme beim Ergebnis eines mit negativem Vorzeichen heraus, denn das Resultat des bisher Entwickelten ist ein Mangel. Eine organisationspolitische Strategie ist es, die fehlt. Der Nachweis des Fehlenden kann ein erster Schritt sein, um Abhilfe zu verschaffen. Das wiederum ist die dem Traktat eingeschriebene Hoffnung.
I
Das seinen Gegenstand konstituierende Subjekt, von Kant transzendentales Ich genannt und von Hegel zum absoluten, seinen Gegenstand setzenden Geist glorifiziert, dechiffrierte die Marxsche Gesellschaftstheorie als das in der Industrie vergegenständlichte Gattungsvermögen. In ihr ist demnach das gesamte instrumentelle Wissen der Menschheit aufgegangen; sie ist das „aufgeschlagne Buch der menschlichen Wesenskräfte“ (1) heißt es in den Pariser Manuskripten. Die der Industrie eingefügte menschliche Arbeitskraft sah, an die Marxsche Warenanalyse anknüpfend, Georg Lukács als die exzeptionelle Ware an, denn sie besitze Sprache und könne die ihr angetane Verdinglichung durchschauen. (2) Die industriellen Agentien, scheinbar dem Kapital als seine Wesenskraft zukommend, könne diese Ware als ihr eigenes Vermögen erfassen. Die zur Ware Arbeitskraft Verdinglichten seien befähigt, das ihnen angetane Unrecht zu realisieren und anzutreten, die erlittene Enteignung durch Enteignung des Kapitals wiedergutzumachen. Was nach der Negation der Negation klingt und im Fluidum der Hegelschen Philosophie eine Bewegung des Begriffs ist, stellt sich als höchst voraussetzungsvoll dar. Es braucht, was Marx ein ‚enormes Bewusstsein‘ (3) und die alte Arbeiterbewegung Klassenbewusstsein nannte. Und es braucht eine dieses Bewusstsein ins Leben rufende Organisation. Ist beides nicht vorhanden, kann es mit der Emanzipation nichts werden.
In den modernen Industrien kommt den naturwissenschaftlich qualifizierten Arbeitskräften die tragende Rolle zu. Schon zahlenmäßig sind sie heute so gewichtig wie es ehemals die klassischen Fabrikarbeiter waren. Was in der Nomenklatur der Arbeiterbewegung einmal technische Intelligenz hieß, verdankt seine dominante Stellung der ‚Verwissenschaftlichung‘ der Produktionsprozesse, wie Soziologen die Signatur hoch entwickelter Industriegesellschaften einmal nannten. (4) Diese Schicht ist von den sogenannten Massenarbeitern der fordistischen Vergangenheit, die ihre Arbeit ohne Berufsethos verrichteten und als einen bloßen Job ansahen, scharf unterschieden.
Die chemische Industrie beschäftigte schon in den 1980er Jahren jeden Dritten in Forschung und Entwicklung. Die anderen großen deutschen Industriezweige, die Automobilindustrie und der Maschinenbau, holten den Prozess der Verwissenschaftlichung ihrer Produktionsverfahren in den folgenden Jahrzehnten Schritt für Schritt nach. Die Mikroelektronik und die digitale Datenverarbeitung fungierten als die technologischen Schrittmacher. Heute verbreiten sich sogenannte cyberphysikalische Systeme, welche die physische Realität eines Konzerns, seiner Fabriken, Läger, Vertriebskanäle etc., mit einem digitalen ‚Zwilling‘ gleichsam verdoppeln, um die Produktionsprozesse wie Laborprozesse zu kontrollieren. Das Schreiben von Softwareprogrammen ist zur industriellen Leitwissenschaft geworden. So gilt der mit dem Formelbestand der Physik arbeitende Maschinenbau beinahe schon als Unterabteilung sogenannter Software-Schmieden.
Im Buch der menschlichen Wesenskräfte ist ein neues, Steigerung dieser Kräfte anzeigendes Kapitel aufgeschlagen. Was aber soll uns die zur künstlichen Intelligenz gehypte Datenverarbeitung, wenn es um Philosophie und Metaphysik geht? Zur Erinnerung: In den Industrien kommen Naturwissenschaften zur Anwendung. Dieses szientifische Wissen um die äußere Natur ist kein absolutes, war bei Haag zu lernen. Es ist, da auf den historischen Stand der Naturaneignung bezogen, stets relativ. Schreiten die physikalischen Wissenschaften fort, kann die philosophische Reflexion davon nicht unberührt bleiben. So ist der Begriff von Raum und Zeit vor Einsteins Relativitätstheorie ein anderer als er es heute ist. Was bekräftigt, dass Naturgesetze keine Verstandesformen eines aus der Geschichte herausgefallenen transzendentalen Ichs sind. Die uns gegebene Natur ist es selbst, die den per Experiment verifizierten Gesetzen unterliegt. Diese haben demnach ihr fundamentum in re. Das dem auf Erfahrung verwiesenen menschlichen Verstand zugängliche Fundament reicht gleichwohl nicht tief genug, um das Was zu erfassen, worin die Welt gründet. Dieses Was, so zeigt Haag, ist zwingend als ein Wer zu denken, sonst entbehrte unser Naturverständnis der Rationalität. Haags lässt sich über das Absolute nicht aus; dem Bilderverbot bleibt er treu.
II
Die in die industriellen Prozesse eingespannten Naturwissenschaftler sind, wie alle Gesellschaftsmitglieder, mit den Ausfallerscheinungen der äußeren Natur konfrontiert, ja, sie sind es in besonderem Maß, denn ihre Aktivität als Forscher und Entwickler steht am Anfang der problematischen Naturaneignung. Versetzte man sie in die Lage, Haags Reflexion nachzuvollziehen, wäre ihnen der Sinn ihrer Arbeit noch zweifelhafter, als er es ohnehin schon ist. (6) Wohl darf man den Bannkreis nicht übersehen, der den Naturwissenschaftlern gezogen ist und ihnen schon während ihrer Ausbildung abgewöhnt, den Tellerrand zu überschauen. Und dennoch wächst das für die ökologischen Krisen sensibilisierte Bewusstsein dieser Schicht.
Haag hat eine Kritik der szientifischen Vernunft geschrieben, die dem Verständnis eines Physikers, Chemikers, Biologen, Mathematikers oder Informatikers keine unübersteigbare Schwierigkeit bietet. (Naturwissenschaftler als borniert anzusehen, geht auf das Vorurteil von Sozialwissenschaftlern zurück, die den Konkurrenten die höhere Bezahlung und wohl auch das höhere soziale Prestige neiden). Haags geht dabei, wie die Wissenschaftler selbst, von der Erfahrung aus. Es ist die methodische, vom Experiment gestützte, auf Gesetzmäßigkeit des untersuchten Stoffes zielende Erfahrung, wie wir gesehen haben. Wie sind Naturgesetze möglich, lautet seine Frage. Den materialistisch argumentierenden Kosmologien, die die physikalischen Wissenschaften als Zeugen aufrufen, weist er ihre Widersprüche nach. Wäre die antimetaphysische Prämisse wahr, die Natur also ontologisch ungeordnet und in Einzeldinge zerstreut, wären Naturgesetze unmöglich. Widersinnig ist es, in ihnen das Resultat chaotischer, vom Zufall regierter Prozesse zu sehen. Auch die Systemtheorie von Niklas Luhmann argumentiert so: „Man muss wohl zugestehen, daß Atome und sogar subatomare Elemente hochkomplexe Systeme sind, die ihre Entstehung extrem unwahrscheinlichen Zufällen verdanken. Damit gewinnen Begriffe wie Emergenz, Selbstreferenz…eine Vorrangstellung, die auch in der Wissenschaftstheorie honoriert werden muß…“. (7)
Haag sucht nach einem Prinzip, das die Einseitigkeit des Materialismus wie des Idealismus vermeidet. Dem einen ist die Materie das formierende Ganze, dem anderen ist die formende Idee alles und die Materie nichts. Haag fand dieses Prinzip in dem vom ihm zur Denknotwendigkeit erklärten Wirken einer „allmächtigen Vernunft“ (8). Mit Bedacht wählte der Metaphysiker die Formulierung eines Physikers; das Wort geht auf Max Planck zurück.
Was aber ist mit Plancks Kollegen Heisenberg und dem von ihm radikal in Frage gestellten Gesetzesbegriff? Denn Heisenberg folgert Indeterminismus, Gesetzlosigkeit, aus dem Mikrokosmos des Atoms. Er schließt dabei von einem erkenntnistheoretischen Problem, das sich dem Subjekt stellt, auf die Beschaffenheit des Objekts. Jeder auf die Nukleonen gerichtete Beobachtungakt verändert Lage und Bewegung des beobachteten Gegenstandes, was eindeutige Wenn-Dann-Relation zu fixieren unmöglich macht. Aber dies lässt, so Haag, (9) keineswegs den Schluss zu, Gesetzmäßigkeit im Atomkern sei inexistent. Wäre dem so, und wäre das Chaos vorfindlich, ließe sich nicht einmal mit der Wahrscheinlichkeit rechnen, die Heisenberg doch konzediert.
Die wissenschaftlichen Praktiker in den Laboren der Industrie sind mit solchen erkenntnistheoretischen Fragen nicht befasst. Pragmatisch gehen sie an ihrem Werkeltag von einem ‚Gott würfelt nicht‘ aus. Die Kette der Fertigungsschritte, an deren Ende eine fertige Ware steht, beginnt mit ihnen. Sie sind Teil des von Marx ‚Gesamtarbeiter‘ (10) genannten Ensembles unterschiedlicher Tätigkeiten. Sie sind das Schwergewicht in dieser produktiven Riege. Die Geschäftsführungen hätscheln sie, die Bundes- und Landesregierungen pumpen hohe Summen in ihre universitären Ausbildungsstätten. Dennoch können die ihnen gewährten materiellen und immateriellen Gratifikationen den in dieser Schicht verbreiteten Zweifel über den Nutzen der verfertigten Produkte nicht mehr beschwichtigen. Der Zustand der natürlichen Umwelt – der Luft, des Wassers, der Böden – ist derart kritisch geworden, dass sich bald jedes Gut der Industrie und der industrialisierten Landwirtschaft hinterfragt sieht. Schreitet die Beschädigung der Ökosysteme mit ihm fort; wird es die Lebenswelt unserer Kinder und Enkelkinder belasten? Die naturwissenschaftlich qualifizierte Schicht der Lohnabhängigen entzieht sich solchen Fragen nicht.
Ein probates Mittel, um die Arbeitskraft mit den Zwängen der Produktionssphäre zu versöhnen, ist es, die Privatsphäre mit dem Spielzeug der Konsumgesellschaft vollzustopfen. Dieses Tauschgeschäft funktioniert noch, aber keineswegs mehr reibungslos. Dass die hochqualifizierten Angestellten den Sinn ihrer Arbeit und des ganzen Systems, dem sie dienstbar sind, hinterfragen, ist kein vereinzeltes Phänomen geblieben. Was jedoch fehlt, ist eine Unterstützung bietende und den Zweifel schürende Organisation. Diese müsste ihnen zutrauen, sich als politisches Subjekt zu konstituieren. Eine solche Organisation dürfte gleichwohl nicht naiv sein und übersehen, dass kritische Reflexion an den Universitäten und Fachhochschulen noch wenig Platz gegriffen hat. Woher also nehmen und nicht stehlen? Wer soll die theoretische Reflexion anleiten? Wer soll die theoretische Reflexion mit politischer Praxis vermittelnde Organisation auf die Beine stellen? Es wäre die Aufgabe von Intellektuellen, die sich selbst erst suchen und finden müssten.
III
Die Vorstellung einer substanzlosen Natur zurückzuweisen, führt auf das Feld, das in der philosophischen Terminologie praktische Philosophie, in der Umgangssprache Moral heißt. Auf die Frage Was kann ich wissen, folgt bei Kant die Frage Was soll ich tun? Die kritische Theorie der Gesellschaft hat diese und die dritte Frage Was kann ich hoffen in die Sprache politischen Handelns übersetzt. Nur eine zu organisierende Emanzipationsbewegung wäre fähig, diese Fragen mit Aussicht auf Erfolg zu beantworten. Kein vereinzeltes Individuum hat die Chance, zu ändern, was es als unwahr und unmoralisch weiß: Verhältnisse, denen die Natur und das Humanum bloßes Mitteln des auf unaufhörliches Wachstum gepolten ökonomischen Apparates sind.
Die Verdinglichung der Individuen steht zur Kritik; die Kategorie ist alt, aber die bürgerliche Ökonomie hat sich im Wesenskern nicht verändert. Dem moralischen Einspruch gegen Verdinglichung kommt aber nur Wahrheit zu, wenn er sich Wirklichkeit zu verschaffen weiß. Die Moral selbst ist ja kein Akteur, aber organisierte Individuen können es sein. Nur wenn sie gemeinsam und aufgeklärt handeln, kann es gelingen, dem kategorischen Imperativ Geltung zu verschaffen. So das Selbstverständnis der kritischen Theorie. (11)
Walter Benjamin hat das konträre, unpolitische Selbstverständnis von Philosophie und Gesellschaftstheorie karikiert: „Es hat in Deutschland immer viele Leute gegeben und gibt heute besonders viele, die meinen das, was sie wissen und daß sie es wissen, das stelle nun den Hebel der Verhältnisse dar und von da aus müsse es anders werden. Auf welche Weise aber diesem Wissen nun etwa Kurs zu geben sei und mit welchen Mitteln man es könne unter die Leute bringen, darüber haben sie nur die schattenhaftesten Vorstellungen. Man müsse es eben sagen, betonen. Ganz fern liegt ihnen der Gedanke, daß ein Wissen, das keinerlei Anweisung auf seine Verbreitungsmöglichkeiten enthält, wenig hilft, daß es in Wahrheit überhaupt kein Wissen ist. Und sagt man ihnen, daß jedes wahre Wissen seine Wahrheit historisch daran allererst erprobt, daß es zu neuen Unwissenden sich auf den Weg macht, so wird man sie kopfscheu machen.“ (12)
Der deutschen Gegenwartsgesellschaft fehlt beides: Ein Wahrheitsbegriff, und eine Idee, wie das die Gegenwartsgesellschaft umwälzende Wissen zu verbreiten wäre. Theologie könnte helfen, womit wir wieder bei Benjamin wären. Der hat die Theologie in dem Fragment Geschichtsphilosophische Thesen einen ‚häßlichen Zwerg‘ genannt. (13) Mit diesem Zwerg gälte es sich zu verbünden, damit die Sache der Emanzipation doch noch gut ausgehen kann. Zu ihrem Schaden teilt die real existierende Linke die allgemeine antireligiöse Aversion; auch bei ihr darf sich der Zwerg ‚nicht blicken lassen,‘ wie es in der ersten These heißt.
Sie beraubt sich damit eines politischen Potentials. (14) Würde sie ihre Gesellschaftskritik theologisch anreichern, könnte sie einen Schatz heben. Die linkskatholischen und -protestantischen Kräfte in den beiden Kirchen sind mit der einstmals neu genannten Linken alt geworden, aber sie sind nicht verschwunden. Junge Leute kommen nach, denen die Institution ein Graus ist. Sie sind auf der Suche nach einer besseren, in der ihr religiöses Bedürfnis ebenso geachtet wird wie ihr Verstand und die Rechte der Frauen. Die malträtierte Schöpfung ist das Motiv ihres Handelns. Träfen diese religiösen Kräfte auf eine von ihrer Religionsallergie befreite Linke, welche die zentrale Stellung der Naturwissenschaftler im heutigen Kapitalismus begreift, könnte entstehen, was Antonio Gramsci einen historischen Block nannte. Diesem Block käme die Kraft zu, der politisch-ökonomischen Situation mit Aussicht auf Erfolg zu Leibe zu rücken. ‚Beherrschung der Naturbeherrschung‘ (15) wäre das Telos, das die Teile dieser Emanzipationsbewegung zusammenführte.
1) MEW Ergänzungsband I, p. 542 „Man sieht, wie die Geschichte der Industrie und das gewordne gegenständliche Dasein der Industrie das aufgeschlagne Buch der menschlichen Wesenskräfte, die sinnlich vorliegende menschliche Psychologie ist, die bisher nicht in ihrem Zusammenhang mit dem Wesen des Menschen, sondern immer nur in einer äußern Nützlichkeitsbeziehung gefaßt wurde, weil man – innerhalb der Entfremdung sich bewegend – nur das allgemeine Dasein des Menschen, die Religion, oder die Geschichte in ihrem abstrakt-allgemeinen Wesen, als Politik, Kunst, Literatur etc., als Wirklichkeit der menschlichen Wesenskräfte und als menschliche Gattungsakte zu fassen wußte.“
2) Lukács, Georg, Geschichte und Klassenbewußtsein, Neuwied und Berlin, 1970
3) Marx, Karl, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1974, p. 366
4) Hack, Lothar, Hack, Irmgard, Die Wirklichkeit, die Wissen schafft. Zum wechselseitigen Begründungsverhältnis von ‚Verwissenschaftlichung der Industrie‘ und ‚Industrialisierung der Wissenschaft‘, Frankfurt a. M. 1985. Die beiden Autoren zeigen, wie wenig Wirklichkeitsgehalt dem in der Soziologie dominant gewordenen Reden von der Wissens-, der Dienstleistungs- oder der post-industriellen Gesellschaft zukommt.
5) Ibid
6) Eine Erkenntnis, die sich der Berufserfahrung des Autors verdankt. Er hat lange Jahre mit gewerkschaftlich organisierten Naturwissenschaftlern zusammengearbeitet, ein keineswegs exotischer Personenkreis, denn als gewählte Betriebsräte sind sie die Sprecher der Angestellten in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Metall-, Elektro- und Autoindustrie.
7) Luhmann, Niklas, Soziale Systeme Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a. M. 1984, p. 650. Er ersetzt die als Metaphysik verworfenen Kategorien Grund und Begründetes durch das Paradigma von System und Umwelt. Seine soziologische Theorie begriff die philosophierende Linke einmal als Affirmation gesellschaftlicher Verhältnisse, denen handelnde Subjekte nur noch als Störfaktor gelten. Die Theorie selbstreferentieller Systeme, Stichwort Emergenz, geht auf die Biologie zurück, und auch bei Luhmann tritt sie als Evolutionstheorie auf. Was ironischerweise auf den Beifall eben dieser Linken trifft, die darin eine Begründung ihrer materialistischen Kosmologie sieht, ein Missverständnis; denn die Systemtheorie hat mehr Anklänge an Hegelianismus als an Materialismus, wie Haag anmerkt (in einer Randnotiz seines Exemplars des genannten Luhmannschen Werks).
8) Planck, Max, Religion und Naturwissenschaft, zit. n. Haag, Karl Heinz, Metaphysik als Forderung rationaler Weltauffassung, Frankfurt a. M. 2005, p. 100
9) Haag, Karl Heinz, Der Fortschritt in der Philosophie, Frankfurt a. M. 1983, p. 169 ff
10) Marx, Karl, Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, Frankfurt a. M. 1974, p. 66
11) Horkheimer, Max, Traditionelle und kritische Theorie, in Gesammelte Schriften, Band 4
12) Benjamin, Walter, Privilegiertes Denken, Gesammelte Schriften III, Frankfurt a. M. 1992, p. 318 f.
13) Derselbe, Über den Begriff der Geschichte, GS I 2, p. 693
14) Und sie vergisst einen Teil ihrer eigenen Geschichte, der mit den Namen Walter Dirks, Eugen Kogon, Oswald von Nell-Breuning verbunden ist, den linkskatholischen Intellektuellen der Bonner Republik.
15) Das Wort geht auf Walter Benjamin zurück. „Ist nicht Erziehung vor allem die unerläßliche Ordnung des Verhältnisses zwischen den Generationen und also, wenn man von Beherrschung reden will, Beherrschung der Generationsverhältnisse und nicht der Kinder? Und so auch Technik nicht Naturbeherrschung: Beherrschung vom Verhältnis von Natur und Menschheit.“ Benjamin, Einbahnstraße, GS IV 1, p. 147.
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Erstellungsdatum: 27.10.2025