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Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ in Frankfurt (1)

Was 1941 mit Blick auf Deutschland geschrieben wurde, lenkt heute die Perspektive nach den USA. Zu viele Parallelen weisen das Vorgehen des Arturo Ui, wie Bertolt Brecht ihn – unwissentlich – charakterisiert hat, dorthin. Es sind die Strukturelemente diktatorischer Machtergreifung, die der Augsburger Dramatiker bühnenwirksam hervortreten lässt und schon damals in den Vereinigten Staaten ignoriert wurden. Die Frankfurter Inszenierung des epischen Dramas haben gleich zwei unserer Autoren besucht. Martin Lüdke schrieb uns: „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ geriet in Frankfurt zum Triumph.
Hier, am Frankfurter Schauspiel, war Brecht einmal zu Hause. Harry Buckwitz, der einstige Frankfurter „Generalintendant“ hatte es, ab den frühen fünfziger Jahren gewagt, Brecht, den „Kommunisten“, gegen erhebliche, heute kaum noch vorstellbare Widerstände, in Westdeutschland durchzusetzen. Kein deutsches Theater, von dem am Schiffbauerdamm, dem Berliner Ensemble abgesehen, dürfte eine imponierendere Brecht-Tradition aufweisen als das Frankfurter Schauspielhaus. Hier wurden, zum Beispiel mit Therese Giese als „Mutter Courage“, wahre Triumphe gefeiert. Seit einigen Jahren war es aber ziemlich still geworden um den Stückeschreiber. Er ist, so scheint es, aus der Zeit gefallen. Oder?
Oder es kommt ein Regisseur daher, der sich nicht groß um die schwächelnden Traditionen kümmert, der mit „Antifa“ schon mal gar nichts am Hut hat, sondern einfach Theater spielen (lassen) will. Der heißt, beim Namen genannt, Christian Weise (und war, nebenbei gesagt, schon mal hier, vor gut zwanzig Jahren, damals mit seinen Kollegen, alle Absolventen der „Ernst-Busch“ Theaterschule in Berlin, und er hat, damals allerdings als Puppenspieler, in der Faust-Inszenierung, seine Marionetten bewegt. Jetzt ist er wiedergekommen. Und wie!) Und er lässt spielen.

So etwas hat man in Frankfurt noch nie gesehen. Ein Bühnenbild, das weit vorn an der Rampe auf eine große Stellwand projiziert wird. Darauf öffnen sich Räume, die in andere Räume führen. Der ganze Raum, von der Rampe bis zur weit entfernten hinteren Wand, vom Boden bis in den Theaterhimmel, von den kleinen Kneipen bis zu den engen Gassen in Chicago, von den alten Werften am Michigan See bis hin zu den Villen der Fabrikanten am Ufer. Einfach irre. Und irre imponierend. Denn das alles sehen wir greifbar vor uns. Durch ein Bühnenbild und eine Technik, die (nicht nur) ich bislang nie in einem Theater gesehen habe. (Bühne und Malerei hat Julia Oschatz entworfen, die dafür, wenn es ein Film gewesen wäre, mindestens einen Oscar verdient hätte! Sie hat die ganzen Kulissen alle selbst gemalt, offensichtlich in Tag- und Nacht-Arbeit!) Die enorme Wirkung der Kulisse wurde allerdings verstärkt durch Live-Video-Projektionen (von Angelo Lo Bello, Lisa Noll, Joelle Pidoux und Amanda Schulenburg). Was nun aber als Film abgespielt wurde, das war Live gespielt. Filmaufnahme und Live-Darstellung waren identisch. Die Techniker, die dazu nötig waren, kamen zum Schluss mit auf die Bühne. Es waren mehr Männer und Frauen als das gesamte Personal manch anderer Inszenierung. Dazu Jens Dohle, der als Musiker die ganze Aufführung begleitete, dramatisch mit Trommelwirbeln, leise, auch teilweise kaum noch wahrnehmbar, am Keyboard. (Was sich Richard Wagner einst als Gesamtkunstwerk vorgestellt hat, was war hier zu sehen – und zu erleben.) Es war also, auf einen Nenner gebracht, Schauspiel. Eine spielerische Schau. Und zwar: „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“.

Eigentlich eines der eher bescheidenen Stücke des Stückeschreibers. Im Frühjahr 1941, noch in Finnland entstanden, im Blick aber schon ein amerikanisches Publikum, doch zu Lebzeiten Brechts nie aufgeführt, von ihm selber schon mal gar nicht.
Brecht hatte vermutlich schon bald die Schwächen des Stücks erkannt. Der Chicagoer Gangsterboss Arturo Ui soll den deutschen „Führer“ in der Parodie kenntlich mache, bleibt aber, anders als Chaplins „Großer Diktator“, eine ärmliche Variante. Auch andere NS-Chargen treten auf, vor allem Ernesto Roma, der für den SA-Chef Röhm steht, und am Ende, wie sein Vorbild, über die Wupper geht. Roma, hier wenigstens wie ein amerikanischer Pelztierjäger aus Alaska verkleidet, macht trotz seiner Kostümierung wenig vom Wesen des kraftstrotzenden SA-Chefs sichtbar.
In der Inszenierung von Christian Weise überlagert ohnehin die Art der Darstellung, und das äußerst eindrucksvoll, den Gang der Handlung.
Arturo Ui, überzeugend und nuancenreich von Christoph Bornmüller präsentiert, beginnt seine Karriere als kleiner Gauner, der bald schon versucht, und das mit zunehmenden Erfolg, die wirtschaftliche Absatz-Krise der Blumenkohl-Händler, aber auch die verbreitete Korruption für seine Zwecke zu nutzen. Raffiniert lässt er den geachteten Politiker Dogsborough (geradezu würdig präsentiert von Michael Schütz) in eine Falle laufen. Dogsborough, der bei Brecht an Hindenburg erinnern soll, zeigt dem kleinen Gangster deutlich seine Verachtung und muss doch, klug hereingelegt, am Ende klein beigeben, bevor er endgültig von Ui erledigt wird.
Ui bietet den kleinen Blumenkohl-Händlern seinen Schutz an und fordert als Gegenleistung 30% ihres Umsatzes als Schutzgeld. Dazu nutzt er alle verfügbaren Mittel, da brennt auch schon mal ein Lager ab, das aufflammende Feuer ist deutlich im Hintergrund zu sehen. Erpressung, Intrige und natürlich Gewalt setzt Ui planvoll ein und Weise, der Regisseur, setzt es eindrucksvoll in Szene. Roma, sein engster ‚Mitarbeiter‘, könnte Ui gefährlich werden und wird deshalb schlicht abserviert. Es gelingt Christoph Bornmüller, in Hose und einem gestrickten Pullover, fast schon auffällig schlicht gekleidet, seine Entwicklung vom armen Würstchen zu einem exakt kalkulierten Machtmenschen eindrucksvoll vorzuführen.
Die Gleichung, die Brecht offenbar vor Augen stand, Hitler-Ui, Roma-Röhm, Dogsborough-Hindenburg etc., hat Christian Weise ersichtlich nur wenig interessiert. Auch mit Hilfe der Kostüme (Josa Marx) hat er deutlichen Abstand genommen. Auch Roma, der harmlose Hüne, warm angezogen, lässt nichts mehr von den schlagkräftigen Horden der SA spüren. Und Ui selbst, in seinem hellen Strickpullover, strahlt erst einmal Heimtücke aus. Und auch später, obwohl er dann sogar Rhetorik-Unterricht nimmt, und sogar Hitler-Reden imitiert, will letztlich nicht effektvoll als großer Diktator erscheinen, sondern lieber (und effektiver) als heimlicher Schleicher. Ungerührt nimmt er die Opfer in Kauf und bringt es dabei noch fertig, ihre Angehörigen durch Drohung, Versprechen oder direkte Gewalt auf seine Seite zu ziehen. Weises Inszenierung macht damit deutlich, dass die Gleichung Hitler & Co. gleich Gangster & Syndikate nicht aufgehen kann.
Es fällt mir schwer, aus der üppigen Besetzungsliste, der größten seit langer, langer Zeit, einzelne Darsteller hervorzuheben. Es bleibt eine kollektive Leistung, die durch ihren Rahmen, die Musik, das Bühnenbild, die Kostüme, die Koinzidenz von Film und Realität auf der Bühne, damit von Darstellung und Dargestellten, eine Ganzheit bildet. Die aufzudröseln, bleibt sinnlos.
Weise hat aus Brechts Vorlage ein Schau-Spiel gemacht, das diese beiden Elemente, die Schau und das Spiel gleichberechtigt nebeneinander auf die Bühne bringt. Trotz des „fruchtbar noch“, aus dem das „kroch“, keine Botschaft, keine Lehre, sondern nur das Spiel, das zur Schau gestellt wird. Wer in alter Brecht’scher Manier mehr Moral und Bekenntnis fordert, hat den kühnen Ansatz von Christian Weise nicht begriffen. Denn diese Zeiten sind um. Endgültig. Auch das will dieser „Arturo Ui“ zeigen. Es kann keine Lehrstücke mehr geben. Wir sehen Geschichte. Politiker. Gangster. Geschäfte, bzw. wie es heute heißt: Deals. Aber eben nicht, wie wir von diesem Hamsterrad herunterkommen können. Aus der Geschichte aber können wir immerhin lernen, dass sich aus der Geschichte nichts lernen lässt.
Bis auf den Epilog von Soeren Voima, der an Brechts Stück angehängt wurde. Beim Vortrag dieser ebenso überflüssigen wie peinlichen Gebrauchsanweisung für das eben Gesehene, einen vergeblichen Versuch, Aktualität zu reklamieren, versuchte Bornmüller, allein (gelassen) an der Rampe stehend, mit einigen kleinen Scherzen, doch fast schon hilflos, die Wirkung der Deklamation abzumildern. Doch nach der grandiosen Vorführung konnte selbst dieser matte Ausklang die Wirkung des gesehenen und erlebten Schauspiels nicht mehr beeinträchtigen. Denn so etwas hatte das Frankfurter Publikum schon lange nicht mehr erlebt: ein unfassbares Schauspiel. Eine Inszenierung, die buchstäblich jeden Rahmen sprengte. Ein Bühnenbild, das eine Welt eröffnete. Totales Theater.
Wer diesen „Aufhaltsamen Aufstieg des Arturo Ui“ nicht gesehen hat, der hat etwas versäumt in seinem Leben. Obwohl die Vorlage zu den schwächsten Stücken Brechts zählt, wird das, was diese Frankfurter Inszenierung daraus macht, zu einem großen Theaterereignis. Der Beifall, am Ende, war entsprechend. Langandauernde Ovationen.
Bertolt Brecht
Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui
Regie: Christian Weise
Bühne: Julia Oschatz
Kostüme: Josa Marx
Musik: Jens Dohle
Dramaturgie: Katja Herlemann
Licht: Ellen Jaeger
BESETZUNG
Christoph Bornmüller (Arturo Ui, Gangsterchef)
Annie Nowak (Emanuele Giri, Gangster)
Andreas Vögler (Guiseppe Givola, Blumenhändler - Gangster)
Sebastian Kuschmann (Ernesto Roma, Uis Leutnant - Gangster)
Christina Geiße (Flake, Geschäftsmann, Führer des Karfioltrusts)
Mitja Over (Mulberry, Geschäftsmann, Führer des Karfioltrusts)
Michael Schütz (Der alte Dogsborough)
Viktoria Miknevich (Dockdaisy)
Heidi Ecks (O'Casey / Betty Dullfeet)
Miguel Klein Medina (Ted Ragg, Reporter / Der Ansager)
Sebastian Reiß (Goodwill, ein Herr von der Stadtverwaltung / Leibwächter / Der Verteidiger)
Uwe Zerwer (Gemüsehändler / Ein Schauspieler / Der Ankläger / Ignatius Dullfeet)
Vincent Schlarbaum (Gemüsehändlerin, Regieassistent)
André Meyer (Bowl, Prokurist bei Sheet / Der Angeklagte Fish)
Tobias Lutze (Sheet, Reedereibesitzer / Leibwächter / Der Richter)
Jens Dohle (Live-Musik)
Angelo Lo Bello, Amanda Schulenburg, Joëlle Pidoux, Lisa Noll (Live-Video)
Siehe auch:
Claus Leggewie über Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ in Frankfurt
Schauspiel Frankfurt
Neue Mainzer Straße 17
60311 Frankfurt am Main
Premiere 18. Oktober 2025
ca. 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
Termine
Mi. 22.10.2025
19.30
Einführung 19.00
Fr. 24.10.2025
19.30
So. 26.10.2025
18.00
Sa. 01.11.2025
19.30–22.30
anschl. Publikumsgespräch
Fr. 14.11.2025
19.30
So. 23.11.2025
16.00
Mo. 24.11.2025
19.30
Einführung 19.00
Fr. 28.11.2025
19.30
anschl. Publikumsgespräch
Do. 04.12.2025
19.30
Einführung 19.00
VORVERKAUF AB 10. NOVEMBER
Do. 11.12.2025
19.30
anschl. Publikumsgespräch
So. 28.12.2025
18.00
Erstellungsdatum: 21.10.2025