Sein Name wird von dem Ruf begleitet, zu den Künstler:innen zu gehören, die die Kunst des Violinspiels dieses Jahrhunderts prägen. Dafür spricht tatsächlich vieles. Denn die Klangwelten, die er erschafft, verzaubern. Auf der Basis technisch allerhöchsten Niveaus erzählt er sensibel, geradezu poetisch die musikalischen Geschichten egal welches Komponisten mit mitreißender Ton- und Interpretationssprache. Andrea Richter hatte die Gelegenheit, ein Interview mit Augustin Hadelich zu führen.
Es ist, als ob er sich in die Gedanken- und Gefühlswelten der Werk-Autoren versetzt, Dialoge mit ihnen führt und sie fragt: „Meinst Du das so?“ Und seine Guarneri del Jesú/ Leduc aus dem Jahr 1744 antwortet stellvertretend für die Meister der Tonsetzung.
Geboren als drittes Kind deutscher, in der Toskana lebender Winzer-Eltern, wuchs Augustin Hadelich in eine die Hausmusik praktizierende Familie hinein. Als die Eltern seine besondere Begabung erkannten, kümmerten sie sich um gute Lehrer. Er fiel in der Szene auf, trat schon mit 12 Jahren in Konzerten international mit berühmten Violinkonzerten auf. Mit 19 Jahren ging er nach New York an die weltweit berühmteste Musiker-Kaderschmiede, die Julliard School of Music, zu Joel Smirnoff. 2006 gewann er den 1. Preis beim renommierten „International Violin Competition of Indianapolis“, der den Ausgangspunkt für seine „Erwachsenen-Karriere“ bedeutete. Hadelich blieb in den USA, feierte landauf-landab Erfolge als Meister seines Instruments, war von dort aus viel im pazifischen Raum unterwegs, sammelte Konzerterfahrung, verfeinerte seine Spielweise und erweiterte sein Repertoire stetig. In Europa wurde seine Kunst kaum zur Kenntnis genommen. Erst nach dem Gewinn eines Grammys 2016 tauchte er vermehrt in der breiteren öffentlichen Wahrnehmung Europas und seinen „wichtigen“ Konzertsälen mit den berühmtesten Orchestern und Dirigenten auf. Sein Terminkalender ist unfassbar voll, inzwischen etwa hälftig mit Konzerten in Europa und den USA, wo er außerdem regelmäßig an der Yale School of Music unterrichtet. Hadelichs ungewöhnlich breitgefächertes Repertoire reicht von Bach über die Klassik und Romantik bis ins Zeitgenössische zu John Adams oder Stephen Hartke.
Was ist für Sie ein musikalischer Glücksmoment und was das genaue Gegenteil?
Eigentlich genieße ich jedes Mal die Zeit auf der Bühne. Natürlich gibt es Orchester oder Kammermusikpartner, mit denen es besonders schön ist, und es gibt natürlich auch Stücke, die ich besonders gerne spiele. In den letzten Wochen spielte ich mit den Berliner Philharmonikern und mit dem Concertgebouw Orchester in Amsterdam, und beide Gelegenheiten waren ganz unvergesslich für mich. Auch dass ich jetzt wieder beim hr-Sinfonieorchester gastieren darf, ist natürlich eine Freude.
Ich erinnere mich gut an den Moment, als ich 2006 den Indianapolis Wettbewerb gewann. Nach einem sehr schwierigen Jahr voller Rückschläge und mühsamen Übens war das ein überwältigender Moment, in dem sich mein Leben sehr plötzlich veränderte.
Gerade am Anfang der Karriere gibt es auch viele Rückschläge und Enttäuschungen – die geraten dann später in Vergessenheit, denn sie stehen ja nicht im Lebenslauf, und es sieht dann so aus, als sei alles ganz glatt von Erfolg zu Erfolg passiert. Es ist aber ein langer Weg, eine Karriere aufzubauen, und man braucht viel Durchhaltevermögen und Entschlossenheit.
Wie gelingt es, Musiken aus völlig unterschiedlichen Epochen so unterschiedlich zu spielen wie Sie es tun? Ist das nur innere Einstellung oder Technik oder was sonst?
Jeder Komponist und sogar jedes Stück erfordert eine etwas andere Herangehensweise, was die Klangproduktion und Klangfarben betrifft, Artikulation, Vibrato, Portamenti und so weiter. Ich versuche, in die Sprache des jeweiligen Komponisten einzutauchen und habe dann ein Gefühl dafür, was musikalisch angebracht ist und was nicht.
Ich versuche oft, am Tag eines Konzerts nur an ein Stück zu denken, damit ich dann total in diesem Stück und in seiner Klangwelt und Sprache drin bin. Dann rutschen mir unangebrachte Glissandi, übertriebenes Vibrato oder stilistisch unpassende Agogik (Kunst der Veränderung des Tempos A.d.R.) gar nicht erst raus. Es ist also wichtig, nicht zu viel kreuz und quer zu üben, sondern sich auf eine Sache auf einmal zu konzentrieren.
Vielleicht gibt es da sogar eine Parallele zu Schauspielern, die sich ganz in eine Rolle vertiefen.
Führt der Weg zu musikalischer Freiheit und zum emotionalen Ausdruck über die technische Perfektion?
Die technischen Anforderungen sind mit den Jahren immer höher geworden, was vielleicht auch an der Art liegt, wie CD-Aufnahmen geschnitten werden bis alles ganz lupenrein und perfekt klingt. Dabei sind die schönsten Sachen manchmal gar nicht ganz perfekt. Das Publikum erwartet heutzutage eine gewisse Perfektion, und ich glaube, dass der Perfektionsdruck, und der Perfektionismus, den wir uns dadurch dann selbst antun, allen etwas zusetzt. Eigentlich ist technische Perfektion ja gar nicht der wichtigste Aspekt.
Man kann musikalische und technische Fragen gar nicht so sauber voneinander trennen. Ich übe sie auch nie getrennt, und denke eigentlich gleichzeitig an die Musik und an die Technik.
Technische Probleme erzeugen oft ungewollte musikalische Probleme, und um eine musikalische Idee umzusetzen, muss man ja auch erst mal die technischen Möglichkeiten haben.
Man kann es auch so sagen: der musikalische Aspekt ist, was ich sagen will; der technische Aspekt ist, wie ich es sage.
Die berühmte Einsame-Insel-Frage: Was würden Sie mitnehmen? Ihre Geige? Welche Partitur?
Ein Schlauchboot?
Im Ernst, es fällt mir immer schwer, mich auf einen Lieblingskomponisten oder ein Lieblingsstück festzulegen. Eine unmögliche Wahl!
Wie viele Geigen haben Sie in Gebrauch? Gibt es moderne Instrumente, die in Ihren Augen genauso gut und wesentlich erschwinglicher sind als die alten?
Ich spiele eigentlich nur auf der Leduc Guarneri del Gesù— ich genieße jeden Moment auf dieser Geige! Ich besitze auch mehrere gute moderne Geigen, unter anderem vom amerikanischen Geigenbauer Mario Miralles, und vom deutschen Geigenbauer Philipp Augustin. Die sind auch eingespielt und bereit zum Einsatz. Es ist mir wichtig, ein eigenes Instrument zu besitzen, das gibt mir auch ein Gefühl der Sicherheit.
Es war im 19. und 20. Jahrhundert zwar so, dass neue Geigen nicht auf dem Niveau der alten italienischen Meister waren. Das ist jetzt aber anders - es gibt viele interessante Geigenbauer auf der Welt. Neue Geigen haben einen anderen Klang, und der Klang verändert sich dann mit den Jahren und den Jahrhunderten. Wir werden also erst viel später wirklich wissen, wer in unserer Zeit die besten Instrumente gebaut hat.
Jedenfalls stimmt es nicht, dass es nur mit alten Geigen geht. Aber, diese del Gesù Geige liebe ich über alles!
Sie hatten das Glück in einer Familie auf dem Land groß zu werden, in der es Hausmusik mit Geige, Cello, Klavier und Gesang gab. Das heißt, Sie kamen sehr frühzeitig mit klassischer Musik in Kontakt. Haben junge Musiktalente ohne einen solchen Background überhaupt die Chance, eine Karriere zu machen?
Eigentlich war mein Background gar nicht so gut geeignet, um ein professioneller Musiker zu werden. Wir haben alle Musik gemacht, aber als Amateure, und ich wuchs weit weg von den großen Musikzentren auf. Für den Geigenunterricht musste ich oft ziemlich weit reisen (ich hatte aber sehr gute Lehrer, und das Glück, dass meine Eltern die Zeit hatten, mit mir zu Kursen und Konzerten zu reisen). Ich hatte aber Glück, an so einem schönen Ort aufzuwachsen, und viel Ruhe und Zeit für die Musik zu haben.
Youtube gab es auch nicht, es war also sehr schwierig an Informationen zu kommen. Erst als ich 10 Jahre alt war, bekamen wir endlich einen Plattenspieler und ich fing an eine Oistrach-Platte nach der anderen zu hören.
Heute ist vieles einfacher: junge Geiger können sich alle großen Geiger der letzten 100 Jahre anhören, und man kann auf eine fast überwältigende Zahl an Aufnahmen zurückgreifen. Aber es ist vielleicht seltener, dass junge Musiker die Zeit zu haben, um ihre eigene Musikalität zu entdecken und ihren eigenen Ton und Geschmack zu finden— weil man sich so viele fertige Interpretationen sozusagen auf Youtube abholen kann.
Gibt es große Unterschiede beim Publikum von Kontinent zu Kontinent?
Ich sehe zwar kleine Unterschiede – zum Beispiel, wie lange geklatscht wird, oder wie konservativ die Programmplanung in einer Stadt ist. Im Großen und Ganzen glaube ich aber, dass Musik auf alle Menschen eine Wirkung hat, unabhängig von Sprache, Herkunft und Bildung. Das ist ja auch das Schöne an der Musik! Mir ist ein Publikum, dass sich auskennt und alle Stücke schon mal gehört hat, daher auch nicht unbedingt lieber als eines, das alles zum ersten Mal hört.
Wie wichtig ist es, dass Musiker sich „zeitgemäß“ präsentieren?
Ich versuche zwar, mich in unterschiedlichen Medien zu präsentieren (Alben, Streaming, Social Media), Konzerte und Live-Musik stehen für mich aber immer im Vordergrund. Wenn ich Stücke ins Programm nehme, dann nur weil sie mich begeistern und sie ins Programm passen - dann werden sie meistens auch beim Publikum gut ankommen.
Welche Ratschläge geben Sie ihren Studenten?
Die Frage, die mir am häufigsten von Studierenden und Schülern gestellt wird, ist wie man mit Nervosität umgehen kann. Es geht beim Unterricht aber natürlich auch konkret um die Interpretationen bestimmter Stücke oder um Fragen über Technik.
Es ist ein tolles Gefühl, wenn einer meiner Ratschläge jemandem geholfen hat. Deswegen finde ich auch das Unterrichten sehr motivierend und inspirierend.
Während des Lockdowns 2020 begann ich mit meiner Videoserie “Ask Augustin”, in der ich musikalische und technische Fragen beantworte, die ich von Fans gestellt bekam. Es gibt viele Dinge, von denen ich mir wünschte, dass sie mir jemand gesagt hätte, als ich 12 oder 13 war. Das hätte mir so viel Zeit und Frustration gespart!
Hörbeispiel: J.S. Bach, Partita für Violine Nr. 3, Gigue
Website des Künstlers:
https://augustinhadelich.com/
Die neuste CD:
Augustin Hadelich
American Road Trip
Werke von Amy Beach,
Coleridge-Taylor Perkinson,
Charles Ives, Aaron Copland,
John Adams u. a.
Label: Warner Classics
Sieh auch Kulturtipp:
Hadelich in der Alten Oper Frankfurt
Erstellungsdatum: 29.10.2024