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Mira Nair im Gespräch mit Marli Feldvoß

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Marli Feldvoß: Mrs. Nair, ich erinnere mich sehr gut daran, dass wir bei unserem letzten Treffen über Ihre Arbeitsmethode sprachen, den Tag mit einer Yoga-Stunde zu beginnen. Welchen Zweck verfolgen Sie eigentlich damit?
Mira Nair: Ich bin eine Anhängerin des B.K.S. Iyengar Yoga, einer klassischen strengen Yoga-Form. Und obwohl ich mein Leben lang mit Yoga geliebäugelt habe, hat diese spezielle Yoga-Form, die ich erst vor zehn Jahren entdeckt habe, tatsächlich mein Leben verändert. Und weil das Filmemachen so unglaublich anstrengend ist, kam mir die Idee, Yoga am Set einzuführen. Wir haben also immer einen lyengar-Lehrer dabei und praktizieren eine Stunde vor Drehbeginn, egal wo. Ob in England, Amerika oder Indien. Dadurch entsteht ein Gefühl von Ich-Leere auf dem Set. Es trennt die Person von ihrem Ego. Deshalb gibt es kein Geschrei, keine Wutanfälle oder ähnliches bei den Dreharbeiten. So gut wie nie.
Es funktioniert also.
Ja, und es verleiht eine unglaubliche Kraft und Ausdauer und hält den Stress auf Distanz. Der große Job eines Regisseurs besteht darin, dass sich jeder entfalten kann, Lösungen zu finden, wenn einer nicht sein Bestes geben kann. Ich glaube, dass die Kreativität davon profitiert, wenn Ego, Hysterie und Stressgefühle draußen bleiben. Unser Yogaangebot ist freiwilllig, keiner muss teilnehmen. Meistens kommen so um die zwanzig Personen zusammen. Und ich fühle mich bei Drehschluss einfach nicht mehr so zerschlagen wie früher ohne Yoga.
Machen das auch die amerikanischen Stars mit?
Klar. Uma Thurman ist sehr indophil, ist sogar in Indien geboren. Und mit Reese Witherspoon ist es nicht anders. Sie absolvierte ihr Yoga in der Mittagspause, weil sie morgens in der Maske war. Das ist das Problem mit den Schauspielern.
Ihr neuer Film „The Namesake“ behandelt den Zusammenstoß der Kulturen, den Generationskonflikt und insbesondere Ashimas Verhältnis zur Neuen Welt. Hat Ashima, die Mutter des Films, auch etwas mit Ihnen zu tun?
Meine persönliche Geschichte ähnelt der des Films, weniger Ashimas Schicksal. Ich habe auch einen großen Teil meines Lebens in Kalkutta verbracht, wo der Film gedreht wurde, ging dann nach Cambridge, Massachussets und nach New York City – es ist die gleiche Route wie im Film. Ich wollte vor allem die Zartheit der Liebesgeschichte zwischen einander fremden Partnern unterstreichen, die zuerst heiraten und erst dann die Liebe entdecken. Mir war dieser Aspekt unserer Eltern-Generation sehr wichtig, die eine Liebe kennen, bei der nicht die körperliche Attraktion oder die Liebesgeständnisse im Vordergrund stehen wie im Westen. Ich bewundere, wie eine sehr leidenschaftliche und tiefe Liebesbeziehung entstehen kann, ohne die öffentliche Zurschaustellung der Gefühle, etwas, was es in unserer Generation nicht mehr gibt. Heute ist alles erlaubt, und die Vornehmheit dieser altmodischen Liebe ist verlorengegangen. Ashima kommt aus einer viel traditionelleren Welt als ich, aber ich bin sehr davon beeindruckt, wie sie das neue Leben in Amerika angeht, ohne ihre innere Stärke zu verlieren, ihre Fähigkeit, sich als eine Sari tragende indische Mutter elastisch und flexibel in einer amerikanischen Vorstadt zu behaupten. Sie ist sehr offen und kann den nicht-indischen Ehemann ihrer Tochter willkommen heißen. Wenn er dich glücklich macht, dann nimm‘ ihn! Aber sie kann auch zugeben, dass sie einen Fehler gemacht hat, als sie ihren Sohn in die Arme einer Bengali Ehefrau getrieben hat. Ihre Kraft speist sich aus einem tiefen Gefühl der Zugehörigkeit zu ihrer Bengali Familie, zu ihrer Kultur, insbesondere zu ihrem Mann. Ich verstehe aber genauso gut ihren Sohn Gogol und sein Dilemma, als Amerikaner aufzuwachsen und entdecken zu müssen, dass man nicht so einfach den eigenen Familienhintergrund verleugnen kann. Er lernt seine Lektion erst, als es beinahe zu spät ist. Mir gefällt es, wie er zu dem wird, was er wirklich ist.

Seine Bengali Verlobte ist ja sehr verwestlicht.
Ja, sie wäre lieber eine Französin. Das ist das Schöne am Leben, nicht wahr. Es kommt immer anders als man denkt. Sie tut so, als wäre sie ein Mädchen aus einem Godard-Film, kleidet sich auch so.
Sie leben ein Leben mit drei Identitäten. Sie leben noch in Uganda, sind Inderin und sind auch oft in New York. Wie geht das eigentlich zusammen?
Ich kann fliegen, weil meine Wurzeln so stark sind. Es hilft mir, dass ich aus Indien stamme, dass ich dieses tiefe Gemeinschafts- und Familiengefühl mitbringe. Auch das habe ich von Yoga gelernt. Ganz gegenwärtig zu sein, wo man gerade ist. Alles was man besitzt, ist dieser Moment in der Gegenwart. Als ich das verstanden hatte, wusste ich, dass dort mein zu Hause ist, wo sich meine Familie, mein Mann und mein Sohn, aufhalten. Dass das, wo wir gerade sind, unsere Heimat ist. Ich habe ein erfülltes Leben, egal wo ich mich befinde. In Kampala habe ich vor achtzehn Jahren einen Garten angelegt, an dem ich sehr hänge. Vor drei Jahren haben wir dort das Filmlabor MAISHA für Studenten aus Ostafrika und Südasien gegründet. Jeden Sommer verwandeln wir uns fünf Wochen lang in ein Rekruten-Camp fürs Kino. Unser Credo: wenn wir nicht unsere eigenen Geschichten erzählen, erzählt sie keiner. Unser Ziel wäre es, eine lokale Filmkultur aufzubauen. Filmemacher wie Spike Lee, Sofia Coppola, Stephen Frears, alles Freunde von mir, machen mit.
Bei uns im Westen ist Bollywood sehr populär geworden. Warum gefällt uns Bollywood so gut?
Vielleicht weil es so unerschrocken auftritt. Da ist kein Platz für Subtilität. Es ist mit Gesang, Tanz und Frohsinn leicht zu verstehen, seine Farben und seine Schönheit setzen den Kopf für zwei oder drei Stunden außer Kraft. Es ist voll von menschlichen Gefühlen, manchmal in Gestalt von Edelkitsch, manchmal sehr real.
Und voller Ironie!
Auf jeden Fall. Es baut auf einigen wenigen dramatischen Grundmustern auf. Es ist doch sehr schön, in eine Welt einzutreten, in der man sich wiedererkennt und doch mit einer anderen Sprache spricht. Eine Traumwelt mit einer Basis in der Realität.
In „Monsoon Wedding“ haben Sie doch versucht, Bollywood und westliches Drama zu verbinden, was einigen Krtikern nicht so gefallen hat. Es wurde auch von „world-cinema“ gesprochen, von einer universellen Kinosprache, die jeder, im Osten wie im Westen, verstehen könne.
In „Monsoon Wedding“ findet überhaupt keine Mischung statt. Es ist vielmehr ein alternativer Entwurf zu Bollywood in dem Sinne, dass es die Wirklichkeit einer indischen Panjabi-Hochzeit vorführt. Ein Bollywood-Film über eine Hochzeit würde völlig anders aussehen. Es ist so, dass Bollywood heute überall ins Familienleben eingedrungen ist. In meiner eigenen Familie haben wir uns bei einer Hochzeit am Harmonium versammelt, gesungen und getanzt. Heute macht man das auch noch, aber dann tritt die Nichte, die am meisten Sexappeal hat, am Abend auf, um eine Bollywood-Heldin zu imitieren und die populärste Tanznummer vorzuführen.
Eine Art Karaoke?
Genau. Es ist Karaoke. Vor zehn Jahren gab es das noch nicht. Heute ist jede Hochzeit so. Mit „Monsoon Wedding“ habe ich also einen Film über eine ganz reale Hochzeit gedreht. Auf meine Art. Der Bollywoodfilm ist eine eigene Kunstform. Ich tue nichts, was andere besser können. Ich mache mein eigenes Ding.
Wie kommen Sie im Fernen Osten an? Genauso gut wie bei uns?
Ich bin glücklich darüber, dass ich zwei große kommerzielle Erfolge in Indien hatte: „Salaam Bombay“ in den Achtzigern, als es noch keine alternativen Distributionskanäle gab. Heute gibt es kleinere Kinos, die auf ernsthafte Filme warten. „Salaam Bombay“ lief in Indien immerhin 27 Wochen lang, ein großer Erfolg. Auch „Monsoon Wedding“ war ein Hit in ganz Indien. Ich wundere mich eigentlich darüber, dass auch mein Publikum im Westen so gewachsen ist. Jetzt liegt ja schon ein ganzes Werk vor und die Zuschauer warten auf meinen nächsten Film. Das finde ich toll.
Sie sind eine privilegierte Filmemacherin, aber Sie sind auch eine starke Frau, die auf diesen Erfolg hingearbeitet hat.
Ja, ich bin eine Kämpferin, aber ich habe auch einsame Momente wie jeder andere. Aber ich bin eben so verrückt, daran zu glauben, dass ich eine Geschichte gefunden habe, die unbedingt erzählt werden muss.
Und „Vanity Fair“? Für mich war es ein sehr indischer Film. Wie nähern Sie sich einem westlichen Stoff, einer literarischen Vorlage?
Ich mochte „Vanity Fair“ schon mit 16, als ich in einem irischen katholischen Konvent in Indien erzogen wurde. Wir sind mit englischer Literatur aufgewachsen, mit Shakespeare, Blake und Yeats. Aber dieser Roman hat mich besonders berührt. Mir gefiel diese Becky Sharp besonders gut, weil sie – wie wir alle damals - gegen das System rebellierte. William Thackeray ist in Indien geboren und aufgewachsen, kam erst als Junge nach England. Er hat seine eigene Gesellschaft immer mit den Augen eines Außenseiters gesehen, so wie ich auch. Er muss sich darüber im Klaren gewesen sein, was die Kolonien für England bedeuteten, wie die Ausbeutung der Kolonien England mit dem Geld für ein neues „Empire“ versorgte. Er liebte Essen und Mode und schrieb sehr bewusst über die üppigen Brokatstoffe, die man schon damals aus Indien importierte. Ich wollte Beckys Geschichte im politischen Kontext der damaligen Zeit erzählen. Es war nicht die indische Regisseurin, die all diese Farben und Paisleys in den Film brachte, es war Thackeray selbst.
Zurück zum Thema: „Zusammenstoß der Kulturen“. Hat er Ihrer Meinung nach seit dem 11. September 2001, seit wir alle unter diesem Terror leben, eine neue Qualität erreicht? Hat dieser Tag Ihren Blick verändert?
Ich denke nicht, dass Terror eine islamische Tradition ist. Das ist mir sehr wichtig. Ich denke, dass der Krieg gegen den Terror den Terror erst hervorgebracht hat, dass die Antworten und Vorgänge in der Welt noch viel größere Mauern aufgebaut haben anstatt die Verständigung voranzutreiben.
Haben Sie das an eigenen Leib gespürt?
„Monsoon Wedding“ kam ein paar Monate nach 9/11 ins Kino. Und da gab es ganz reale Ängste, was Leuten wie uns passieren würde. Aber nachdem der Film herausgekommen war und die Massen ins Kino strömten, konnten sie sich ein eigenes Bild davon machen, dass wir ganz anders waren als die von den Medien geschilderten Moslems, als der „Andere“ schlechthin. Bei „Monsoon Wedding“ wurde vielen Leuten klar, dass wir nicht „die Anderen“ sind, sondern Menschen wie Du und ich. Das gehört zum Wunder des Films: er kann entmystifizieren. Ich glaube fest daran, dass Menschen einfach Menschen sind, dass die gleichen Verrücktheiten und Verliebtheiten zur ganzen Welt gehören und nicht den einen Teil über den anderen Teil erheben. Ich hatte immer den Eindruck, dass meine Filme universaler werden, wenn sie lokaler werden. Das ist jetzt auch bei „The Namesake“ der Fall, der ganz in einer Bengali-Familie verwurzelt ist. Ich hoffe, dass die Zuschauer sich darin wiederfinden und nicht das Gefühl haben, dass ihnen eine Lektion über Indien erteilt werden soll.
Sie drehen Dokumentar- als auch Spielfilme. Worin liegt der Unterschied?
Da besteht kein Unterschied. Auch nicht bei meinen AIDS-Filmen, die ich gerade produziere, die nichts mit sozialer Fürsorge zu tun haben. Es werden reine Unterhaltungsfilme. Zwölf Minuten mit großen Stars und sehr kommerziell aufgezäumt. Sie sollen aufrütteln, nicht belehren.
Werden sie im Kino gezeigt?
Ja, ich produziere vier Teile, führe bei einem auch selbst Regie, die anderen sind Hollywood-Regisseuren anvertraut. Sie werden jeweils vor einem Bollywood Blockbuster im Kino laufen und die gleichen Stars zeigen, die anschließend die Hauptrollen spielen. Die Serie heißt AIDS-Jago. Jago ist ein Hindi Wort und bedeutet: „Wach auf!“. In Indien hat es bisher keine Massenaufklärung über AIDS gegeben.
Ist das Kino in Indien immer noch so mächtig - trotz Fernsehen und DVD?
Filme sind riesig. Es ist eine erstaunliche vitale Form. Sie können sich das nicht vorstellen, wie groß die Liebe zum Kino und zu seinen Stars in Indien ist.
Sie haben bisher sieben Filme mit der amerikanischen Produzentin Lydia Dean Pilcher gedreht. Ist es wichtig für Sie, das es eine weibliche Produzentin ist?
Ich habe das Glück, dass ich eine „filmmaking family“ um mich scharen kann. Das hat schon mit „Salaam Bombay“ angefangen. „The Namesake“ ist unser siebenter Film zusammen. Wir haben während dieser Jahre gegenseitig unsere Kinder großgezogen. Ich bringe auch meine Familie mit zum Set. Am liebsten würde ich nur Filme mit Lydia Pilcher drehen. Sie kennt meine Träume und weiß als eine „kreative Produzentin“, wie sie zum Leben erweckt werden. Das gibt es sehr selten. Sie weiß, wie man aus einer Erdnuss ein Epos macht. Ich glaube auch, das die neuen weiblichen Studio-Executives eine größere Aufmerksamkeit und ein stärkeres Interesse für Themen und Geschichten mitbringen, von denen Männer null Ahnung haben. Und diese Filme können genauso erfolgreich sein. Aber eigentlich hatten die Frauen hinter den Kulissen immer schon ihre Hände im Spiel. Aber ich gehöre nicht zu diesen Kreisen, die in Hollywood Frauenfilme drehen. Ich mache meine eigenen Filme. Wenn sie zu mir kommen mit Angeboten wie „Vanity Fair“ oder „The Perez Family“, dann suchen sie nicht die Frau, sondern meine Sensibilität. Sie wollen mein kinematographisches Vokabular. Das allein zählt.
Das Interview wurde zum Filmstart von „The Namesake“ im Juli 2007 in verschiedenen Medien veröffentlicht.
Erstellungsdatum: 14.11.2025