Es war der amerikanische Philosoph und liberale Theoretiker des Völkerrechts, John Rawls, der den Begriff der „outlaw states“ prägte – was wir mit „Schurkenstaaten" übersetzen. Und es waren traditionelle US-Republikaner, die schon früh eine „schurkische Supermacht“ unter der Regierung von Donald Trump prophezeiten. Ein großer Teil der Europäer sieht sich nun von mindestens zwei dieser Supermächte bedroht, und Repräsentanten deutscher Parteien und Meinungsmedien versuchen sich in neuer Parteilichkeit. Peter Kern setzt seinen Kommentar, den er mit „Wirrwarr auf hohem Niveau“ (TEXTOR, 28. Februar) begann, fort.
Angesichts der von Trump und Vance repräsentierten Neuausrichtung der US-amerikanischen Außenpolitik erscheint es ziemlich merkwürdig, Kritik am Antiamerikanismus zu formulieren (eine Kritik, womit der vorige Artikel des Autors endete). Beide haben vor laufender Kamera den weiteren militärischen Beistand suchenden ukrainischen Präsidenten herunter gemacht und drohen dem Land mit Vogelfreiheit, sollte die Ukraine das Rohstoffgeschäft ablehnen, das man mit Hilfe Putins den US-Industrien zuschanzen will.
Trump tritt als ideeller Gesamtkapitalist auf, der die territoriale Unantastbarkeit dem Recht des Stärkeren opfern will. Die US-Regierung gibt dem zentralen, zivilisierenden Artikel des Völkerrechts einen Tritt, denn der Artikel kollidiert mit der MAGA-Kampagne. Die republikanische Partei favorisiert demnach den Hobbeschen Naturzustand. Die Parole make America great again verspricht dem verführbaren Teil der US-Amerikaner Beuteanteile, während die herrschende Clique um Musk darin mehr als ein bloßes Versprechen sehen kann. Das ökonomische Interesse an Seltenen Erden rangiert vor dem Völkerrecht. Trumps Republikaner scheinen zu bestätigen, was die linke Amerikakritik immer schon zu wissen glaubt: Die Rede von den westlichen Werten verschleiere bloß, um was es in Wirklichkeit gehe, nämlich um die Ausbeutung der in der Erde schlummernden Werte.
Diese antikapitalistisch klingende Ideologiekritik scheint Trump also zu bestätigen. So hält die Partei Die Linke – bei der letzten Wahl überraschend erfolgreich – das Völkerrecht für einen Schmu. Sie hat Putins Aggression ein wenig verurteilt, gehört doch ein bisschen Außenpolitik zu jedem Parteiprogramm. Ihr gilt die sich wehrende Ukraine aber eher als Opfer der militaristischen NATO denn als Opfer des kriegstreibenden Kremlchefs. Die Linke, ebenso die Follower Wagenknechts, gefallen sich im Pazifismus und gingen mit ihm auf Stimmenfang. Sie sind in ihren Ressentiments befangen, also für Aufklärungsprozesse denkbar ungeeignet. Geht es gegen die NATO, ist man sich einig. Was es jedoch bräuchte, wäre eine undogmatische Linke, die sich auf Ideologiekritik wirklich verstünde. Die sähe in der zu schützenden Souveränität jeder Nation eine entscheidende, weil Krieg vermeidende Rechtskategorie. Kant und seine Idee vom ewigen Frieden ließen grüßen.
Das Völkerrecht hat seine historische Wurzel in dem Versuch der bürgerlichen Großmächte, ihren eigenen imperialen Gelüsten Zügel anzulegen. Die Entstehungsgeschichte des Völkerrechts, seine Genesis, tangiert aber nicht seine Geltung. Es sei denn, man hat die Auffassungsgabe der dogmatischen deutschen Linken. Deren reflexhafte NATO-Kritik ist geschichtsvergessen. Geschichtsvergessen? Ihr ist die Lehre aus dem deutschen Faschismus und dem von den Nazis angezettelten Weltkrieg entgangen, eine Lehre, die alle westlichen Länder zogen, als sie das Militär des wiederbewaffneten Deutschlands der Brüsseler NATO unterstellt sehen wollten. Deutschland dem Bündnis einzuverleiben galt als Schutz vor Wehrmacht und Berliner Oberkommando. Damit haben die europäischen Völker die grauenhaften Erfahrungen des 20. Jahrhunderts machen müssen.
Die europäische Rechte steht derweilen unverbrüchlich zu Trump, denn ihr gefällt seine Migrationspolitik und seine Annäherung an den Autokraten Putin. Man wäre auch gerne wie Trump und bewundert ihn, da er verspricht, dem auf Wohlstandschauvinismus setzenden Gesellschaftsmodell weltweite Anerkennung zu verschaffen. Chrupalla schließt sich der Beleidigung des ukrainischen Präsidenten an, und die Zeitung Die Welt rät dem Vorgeführten, er solle sich bei seinem Beleidiger entschuldigen. Seit ihrer Gründung ist diese Zeitung der misslungene Versuch des Springer-Konzerns, zu zeigen, sein Journalismus beherrsche neben der für die Unterschicht berechneten Hetze auch die für die Gebildeten nötige elaborierte Verhetzung. Der Konzernchef Döpfner handelt dabei strategisch. Er möchte mit der in Washington erscheinenden Zeitschrift „Politico“ auf dem US-Markt erfolgreich sein und dazu hält er es für angezeigt, seinem politischen Instinkt zu folgen und sich an die neue Macht ranzuwanzen.
Erstellungsdatum: 03.03.2025