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Erfolgsgeschichten (I)

Wie Erde und Himmel

Riccarda Gleichauf


Rezvan Rezai. Foto: Harald Schröder

In der Reihe Erfolgsgeschichten erzählen junge Migrantinnen und Migranten, wie es ihnen gelungen ist, in der Arbeitswelt in Deutschland Fuß zu fassen. Rezvan Rezai (24) ist in Afghanistan geboren und in Iran aufgewachsen. Ende 2015 ist er nach Frankfurt am Main geflohen. Nach seinem Hauptschulabschluss hat er eine Ausbildung zum Restaurantfachmann im Flemings MainRiverside absolviert und arbeitet dort seit 2023 in Festanstellung. Riccarda Gleichauf hat mit ihm gesprochen.

 

Riccarda Gleichauf: Wie haben Sie Ihre Kindheit in Iran verbracht?

Rezvan Rezai: Als ich acht Jahre alt war, bin ich arbeiten gegangen. Ich habe Schokolade auf der Straße verkauft. Vormittags war ich in der Schule, aber insgesamt nur zwei Jahre, weil meine Eltern kein Geld für die Schulgebühren hatten. Ich bin am Anfang nicht gerne zur Schule gegangen, weil wir als emigrierte Afghanen von den iranischen Mitschülern diskriminiert wurden.

Was haben Sie als Teenager in Ihrer Freizeit gemacht?

In Iran hatte ich immer was zu tun. Mit 13 Jahren habe ich in einer Einkaufspassage als Security für ein Geschäft gearbeitet.

Das wäre hier nach dem Jugendschutzgesetz verboten.

Ich weiß. Mit zehn Jahren gilt man in Iran als erwachsen. Mein Vater hat nachts das Geschäft bewacht, ich tagsüber. Mir war es als Sohn wichtig, meinen sehr alten Vater finanziell zu unterstützen.

Aus welchem Grund sind Sie nach Deutschland geflohen?

Die Entscheidung lag nicht in meiner Hand. Als ich eines Tages von der Arbeit nach Hause kam, saß die ganze Familie in der Wohnung zusammen und hat gesagt: „Wir wollen dich nach Europa schicken.“ Die Familie hat das entschieden.

Das heißt, wenn Sie Ihre Familie nicht dazu aufgefordert hätte, wären Sie nicht gegangen? 

Nein, aber ich wusste von der Schönheit Europas. Ich kannte Freunde, die mir schon Fotos von schönen Städten geschickt hatten. Meine Eltern wollten, dass ich mir eine Zukunft in Europa aufbaue. Mir war aber nicht klar, dass ich dort von Null anfangen muss. Deutsch zu lernen, ist kompliziert. Am Anfang in Frankfurt dachte ich, ich bin im Dritten Weltkrieg gelandet und werde von den Artikeln der/die/das beschossen. Ich wusste auch zuvor nicht, dass es die deutsche Sprache auf dieser Welt gibt. Ich dachte, in Deutschland spricht man Englisch. Ich kannte bisher nur ein Bild vom Eiffelturm in Paris, von Deutschland hatte ich keine Vorstellung.

Wo haben Sie Deutsch gelernt, Ihren Abschluss gemacht?

Ich habe sechs Monate lang einen Sprachkurs in Frankfurt besucht und danach bin ich in die Philipp-Holzmann-Schule gegangen. Dort habe ich meinen Hauptschulabschluss erstmal nicht bestanden. Deswegen musste ich zur Berufsvorbereitung (BVB) nach Frankfurt-Hausen und habe dort die Prüfung wiederholt. Zu dieser Zeit habe ich in einer Wohngruppe im Sandweg für junge Deutsche und  Geflüchtete gewohnt. Sozialarbeiter haben uns betreut. Die Betreuer waren meine Beschützer! Sie haben mir so viel beigebracht. In Iran gibt es z.B. zwar Ampeln, aber niemand beachtet, dass du bei Rot stehen, bei Grün gehen musst. 

Dann war nicht nur das Deutschlernen eine Herausforderung, sondern Sie sind in eine völlig fremde Welt mit neuen Regeln eingetaucht. Was ist denn für Sie „typisch deutsch“?

Mmh. Stellen Sie sich vor, Sie leben in einer bekannten Welt und plötzlich befinden Sie sich völlig woanders. Das ist wie von A nach B zu gehen. Sie können den Iran nicht mit Deutschland vergleichen. Es gibt auch in der Sprache Unterschiede, die sind wie Erde und Himmel.

Aber was zeichnet Deutschland für Sie speziell aus?

In Deutschland habe ich gelernt, dass alle Menschen gleich sind und gleiche Rechte haben. Das macht für mich Deutschland aus, das Menschliche. Zu mir haben sie in Iran gesagt: „Du bist Afghane, geh‘ wieder heim.“

Hier gibt es auch Rassismus. 

Natürlich. In jedem Land gibt es schlechte Menschen, doch in Deutschland gibt es demokratische Gesetze, die verhindern, dass ein Mensch aufgrund seiner Herkunft, Geschlecht oder sexuellen Orientierung verfolgt wird.

Was gefällt Ihnen an Frankfurt, was mögen Sie nicht?

Das Wetter macht mich traurig (lacht). Ich mag an Frankfurt die kulturelle Mischung. Frankfurt besteht aus vielen Farben, es ist komplett gemischt. Im Flemings arbeiten Griechen, Tunesier, Türken, Polen (…). Irgendwo gibt es auch einen original Deutschen.

Zu Ihrer Arbeit im Hotel kommen wir gleich. Sie haben mit 18 und 19 Jahren bei zwei Jugendtheaterproduktionen am Schauspiel Frankfurt unter der Regie von Martina Droste mitgewirkt. Was interessiert Sie an der Schauspielerei? 

Cool fand ich dort, dass ich meine Gefühle mit den anderen Mitspielern teilen konnte. Wir haben viel geprobt und dort gelernt, über unsere unterschiedlichen Erfahrungen zu sprechen. Ich habe am Theater gelernt zu verstehen, wer meine Gefühle nachvollziehen kann und wer nicht, und dass das nicht jeder Mensch gleich gut kann.

Wie war es für Sie, vor Publikum zu spielen, sich auf der Bühne zu zeigen?

Am Anfang habe ich gedacht: Mashallah („Ach, du lieber Gott“)! Was werden die Zuschauer von mir denken? In einem Stück ging es auch um meine persönliche Geschichte, die hatte ich noch nie erzählt, nie mit so vielen fremden Personen geteilt. Dann habe ich gemerkt, dass sie sich für das andere Leben interessieren, dass sie in eine andere Welt, meine Welt, eintauchen wollen. Das war eine schöne Erfahrung!

Wie sind Sie in die Hotelfachbranche gekommen? Waren Ihre Erfahrungen auf der Bühne mit ein Grund, warum Sie sich für eine Ausbildung als Restaurantfachmann entschieden haben? Die Arbeit an der Bar oder beim Bankett hat doch auch mit Schauspielerei zu tun…

Teils, teils. Die Schauspielerei hat mich den Menschen noch nähergebracht, mein Selbstbewusstsein gestärkt, um auf sie zugehen zu können. Aber auf der Arbeit bin ich authentisch, da bin ich Rezi. Meine Kollegen haben mich z.B. ausgewählt, um die Messekunden zu begrüßen, weil ich so gut Freude verbreiten kann. Ich lächle gerne, ich möchte die Gäste willkommen heißen, das fällt mir nicht schwer. Meine Kollegen nennen mich deswegen: „Lobby-Bobby“.

Immer freundlich und auf dem Sprung sein. Das klingt nach einer herausfordernden Tätigkeit. Wie entspannen Sie am besten von der Arbeit? 

Ich höre manchmal einen leeren Beat, um den Kopf freizubekommen, nicht an die Zukunft und die Vergangenheit zu denken. Eine Leidenschaft von mir ist das Rappen. Das mache ich, um in meiner verrückten Welt allein zu sein.

Was sind Ihre Zukunftsträume?

Momentan habe ich keine Zeit, um über meine Zukunft nachzudenken (überlegt). Ich könnte gut ein Chef sein, weil ich kein Problem mit Stress habe. Seit meiner Flucht aus dem Iran, die sehr stressig war, sind wir Freunde geworden, der Stress und ich. Ich habe ihn akzeptiert, weil er nie endet. Danach habe ich mich leichter gefühlt.

Mein Wunsch ist es auf jeden Fall, bald den deutschen Pass zu bekommen!

 

 

Das Interview erschien im Juli 2024 im Journal Frankfurt.

Erstellungsdatum: 30.09.2024