Die Bregenzer Festspiele sind bekannt für ihre Opern- und Operettenspektakel auf der Seebühne. Dass es dort auch eine Werkstattbühne nebenan gibt, auf der Zeitgenössisches uraufgeführt wird, ist weitgehend unbekannt. Ende Juli 2024 kam dort das Musiktheaterwerk „Unmögliche Verbindung“ des tschechischen Komponisten und Dirigenten Ondřej Adámek mit dem Ensemble Modern zur Uraufführung, das Andrea Richter auf eine emotionale und kurzweilige Achterbahnfahrt mitnahm.
Auf dem hallengroßen, schwarzen Bühnenboden fahren ferngelenkte Kameras auf Stativen herum, aus Lautsprechern Kratzgeräusche wie von einer alten Platte. Aus dem Off eine Sprechstimme: „… mir ist, als sei ich in tiefen Strudel geraten.“ Eine Frau in rotem, weitem Hosenanzug erscheint und schaut sich suchend und verwirrt um. „Ich habe keine Sinne … Aber was bin ich denn nun?“
Eine zweite, der ersten ähnlich sehende und gleich gekleidete Frau kommt dazu und tritt mal aus- mal einatmend singend in einen Dialog mit sich selbst. „Und da war ich dann und kannte nur mich“, lautet die vorangestellte, gesprochene Überschrift dieses zweiten Kapitels. Es geht um einen Text von Descartes über die Frage der Existenz. Parallel dazu tauchen die Instrumentalist:innen des Ensemble Modern nacheinander auf und simulieren Streicherbewegungen auf Geigen, ohne solche tatsächlich in den Händen zu halten. Sie treten an die auf der Bühne verteilten Mikrofone, klopfen rhythmisch darauf, schnalzen und fordern die Überschrift „Vom Recht gehört zu werden“ ein.
„Unmögliche Verbindung“ ist eine Collage mit insgesamt 15 Kapiteln und hat keine durchgehende Geschichte mit konkreten Figuren. Behandelt werden vielmehr Gedanken und Gefühle anhand von Texten beispielsweise von Descartes, Da Vinci, Cervantes oder Grimmelshausen sowie Rechtsverordnungen, politische Debatten und eigene Texte vom Komponisten Adámek und Regisseur Fiedler. Der rote Faden, der sich durch dieses performative Musiktheater-Stück zieht, ist das Thema Kommunikation und deren Unmöglichkeit: mit sich selber, mit anderen oder zwischen Gruppen und sogar mit den Verstorbenen. Von sphärischen Klängen über ruhige melodische Phrasen oder auch solche, die mal jazzig und mal im Marschtakt daherkommen, wird das Thema mit seinen vielen Facetten beleuchtet. Verschiedene Einzelstücke, sich mal ergänzend, mal krass gebrochen, ergeben ein Gesamtbild. Einer der Höhepunkte ist das zehnte Kapitel „Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache“, wo es um den biblischen Turmbau von Babel geht. In rasanten, sekundenpräzisen Einsätzen aller beteiligten Musiker- und Sänger:innen wird das Sprach-Chaos und die damit verbundene Unmöglichkeit der Kommunikation illustriert. Adámek verwendet immer wieder klangliche Elemente aus anderen Musik-Kulturen, wie den orientalischen Klagegesang, der von Sopranistin Tara Khozein gesungen unter die Haut ging.
Insgesamt gelingt es diesem Stück, von der ersten bis zur letzten Minute eine musikalisch wie dramaturgisch wohl dosierte und immer wieder überraschende Spannung aufzubauen und zu halten. Nach einundeinhalb Stunden Spielzeit fragt man sich: „Wie, schon zu Ende?“
„Unmögliche Verbindung“ ist eine Auftragskomposition der Bregenzer Festspiele und des Ensemble Modern (EM). Das Projekt wurde von Ondřej Adámek ab 2021 in mehreren Workshops im Haus des Frankfurter Klangkörpers gemeinsam entwickelt. Eine wohl selbst für so erfahrene Musiker:innen wie die des EM herausfordernde Angelegenheit, weil sie sich nicht nur musikalisch mit ihren Instrumenten, sondern auch durch choreografierte Bewegungen, Sprechen und verschiedene, mit den eigenen Körpern erzeugte Geräusche einbringen müssen.
Unmögliche Verbindung
Musiktheater in 15 Kapiteln
Musik: Ondřej Adámek (*1979)
Text und Regie:
Thomas Fiedler
Uraufführung:
27. Juli 2024 in Bregenz
Mitwirkende:
13 Musiker:innen des Ensemble Modern
Sopran: Tara Khozein
Schauspielerin: Hanni Lorenz
Vokalensemble des Bregenzer Festspielchors
Bühnenbild: Christian Wiehle
Weitere Vorstellung:
9. Oktober 2024 um 19:00 Uhr in der Philharmonie in Köln (konzertant)
Erstellungsdatum: 30.07.2024