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Frauen und Musik in Afghanistan

Wo man singt, da lass dich nieder….

Clair Lüdenbach


Veronica Doubleday und John Bailey in Afghanistan, Foto: Privat

Dass Singen und Spielen keine harmlosen Lebensäußerungen sind, hat nicht nur die katholische Kirche immer wieder bestätigt. Betroffen von den Einschränkungen und Verboten des Musizierens waren besonders, und das vor allem in der Gegenwart, die Frauen. In Afghanistan, wo seit 2021 wieder die radikal-islamistischen Taliban herrschen, gehört das Musikverbot zu den Instrumenten der totalen Unterdrückung. Clair Lüdenbach skizziert die Geschichte.

 

„Die Stimme einer Frau ist intim. Daher sollte sie nicht in der Öffentlichkeit singen, rezitieren oder laut vorlesen.“ So heißt es im Artikel 13 des Regelwerks der Taliban über Laster und Tugenden. Darüber hinaus steht in Artikel 19, auch das Musizieren und Abspielen von Musik ist verboten.

Damit endete erneut eine Phase relativer Freiheit für die Frauen in Afghanistan. Nachdem von 1992 bis 2001 die Taliban das Land beherrscht hatten, vertrieb eine Allianz der westlichen Welt unter Führung Amerikas, nach dem Angriff auf das World Trade Center in New York, die Taliban geführte Regierung aus Kabul. Die westliche Welt hoffte auf eine kulturelle Freiheit für die gesamte afghanische Bevölkerung. 20 Jahre später, nach Abzug der Amerikaner und ihrer Verbündeten, übernahmen die Taliban erneut die Regierungsgewalt. Ihre rigorosen Gesetze führten sie nicht sofort ein, sondern wahrten nach außen den Anschein, liberaler als früher aufzutreten. Allerdings war den Frauen schon gleich das Recht auf Bildung und musikalische Betätigung in der Öffentlichkeit abgesprochen worden. Nun, nach zwei Jahren, kam die offizielle Direktive für Frauen.

Schon kurz nach der erneuten Machtübernahme der Taliban 2021 erhielten Musiker Berufsverbot. Wieder wurden Instrumente öffentlich zerstört, und die Künstler gingen im wahrsten Sinne des Wortes in den Untergrund. Einige treffen sich in Kellern und hoffen, nicht gehört oder verraten zu werden. Die Frauen und Mädchen mußten nicht nur die Schule verlassen, sondern ihnen wurde gleich das Recht genommen zu singen, und verboten, ein Instrument zu lernen. Heute gibt es Schulen an geheimen Orten für einige mutige Mädchen und Eltern. Das jetzt veröffentlichte Gesetz hat nur das festgeschrieben, was längst praktiziert wird.

Ein Musikverbot benutzten islamische Herrscher immer wieder als Machtinstrument. Schon im 17. Jahrhundert wünschte ein indischer Mogulkaiser die Musik so tief begraben, daß sie nie wieder auferstehen sollte. Dieser Erfolg stellte sich glücklicherweise weder im alten Indien noch in Afghanistan ein. Doch Zensur und Musikverbot vernichteten in Afghanistan die Lebensgrundlage der Musikerfamilien und das positive Lebensgefühl der Gesellschaft.

Afghanistan war zu allen Zeiten ein Schmelztiegel der Kulturen. Noch heute ist es der Lebensraum ganz unterschiedlicher Volksstämme.

Das kulturelle Zentrum im Westen ist seit dem 15. Jahrhundert die Stadt Herat, dort pflegte man die Klänge in der persisch-arabischen Tradition.

Im Nordosten, im ehemaligen Baktrien, wuchs Mazar-e Scharif zu einer weiteren Kulturmetropole heran. Dort sammelten sich auch die Künstler aus den tadschikisch-turkmenischen Stammesgebieten im Norden.

Im Süd-Osten liegt die Hauptstadt Kabul, und ihre Musik lebt von der engen Bindung zu den indo-pakistanischen Nachbarn. Die Herrscher im ehemaligen Königreich Afghanistan pflegten den musikalischen Austausch mit den Künstlern an den Höfen der Mogulkaiser. Und dank ihrer Macht sorgten sie mit sanftem Nachdruck für eine nationale Verbreitung der indischen Klänge, während sie dem persischen Einfluß weniger Bedeutung beimaßen.

Bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts waren aber in Herat noch die Klänge der klassischen Musik im persischen Stil und persische Instrumente vorherrschend. Doch dann ließ sich ein Künstler aus Kabul in Herat nieder. Er führte eine neue Kunstmusik aus Kabul ein mit Harmonium, Tabla-Trommeln und der Laute Rubab, die Modi aus dem indischen Raga- und Tala System benutzte. Es entstand eine afghanische Kunstmusik, die alle Ethnien einschloß. Die Musik der Frauen blieb von diesen Neuerungen unberührt. Sie musizierten generell in familiären Situationen in ihren Häusern, berichtet Veronika Doubleday über die relativ entspannte Zeit unter russischer Herrschaft von 1979 bis 1989:

„Aber auch da gab es für Musiker Restriktionen. Denn man empfand, dass Musik nicht ohne Grund gespielt werden konnte. Sie war da zur Unterhaltung der Gäste bei Festlichkeiten wie Hochzeitsfeiern. In ihrer Art war die Musik sehr rhythmisch mit viel Händeklatschen. Die anwesenden Leute, die um das Paar herumsaßen, vor allem junge Mädchen, klatschten im Rhythmus, was dem Ganzen eine lebendige Atmosphäre gab.

Man sang traditionelle und populäre Lieder. Manche neuen Lieder lernten die Frauen durch das Radio kennen. Es gibt Lieder, die ohne Begleitinstrumente und Händeklatschen vorgetragen werden, sowohl von Männern als auch von Frauen. 

Der traurig-lamentierende Gesangsstil Sharbeti ist allein den Frauen vorbehalten.Musik hat mit dem Herzen zu tun, sagen die Sufis, und das ist vor allem in den Texten der Lieder spürbar. Man benutzt traditionell Vierzeiler. Diese in der Volksdichtung übliche Vortragsweise wirkt traurig und wird sehr hingebungsvoll gesungen. Die Texte erzählen von den Liebenden, die nicht zusammen sein können. Es ist interessant, dass die Lieder der Männer häufig davon erzählen, wie grausam die Geliebte war, und daß sie dem Mann erlauben sollte, bei ihr zu sein. Die Frauen singen vorwiegend über Familienbeziehungen. Sie mochten auch über Leute singen, die als Gastarbeiter fortgegangen waren, oder irgendetwas in der Art, oder über den Vater, oder über die Braut, die von der Mutter getrennt wird.

Das einzige erlaubte Instrument der Frauen war stets die Rahmentrommel. Die Rahmentrommel kam ursprünglich mit der Verbreitung des Islam aus dem Mittleren Osten. Schon in der Zeit des Propheten Mohammad gehörte sie zum Unterhaltungsinstrument der Frauen. Spielt ein Mann die Trommel, dann wird das als peinlich oder komisch angesehen. Im Wesentlichen war Musik der Frauen eine Amateurtradition, erzählt Veronika Doubleday. „Einige Frauen waren als gute Sängerinnen bekannt. Es war eine Musik zum Mitmachen für alle. Man sagte: „Nimm die Trommel und lasst uns singen“.

„Man suchte nicht nach Zuhörern und Zuschauern, sondern es war eher eine Zusammenkunft, und jeder konnte mitmachen, wenn man das wollte. Frauen waren nicht nur Amateure. In Kabul gab es professionelle Musikerinnen im Radio. Es gab Theater, in denen Frauen als Schauspielerinnen auftraten. Und dort mögen sie auch gesungen haben. Diese Frauen hatten einen sehr niedrigen sozialen Status. Man sah in ihnen Kurtisanen, Prostituierte oder was auch immer. In den nordafghanischen Provinzen spielten Frauen und Kinder vor allem die Maultrommel. Professionelle Musikerinnen übernahmen das Harmonium und die Tabla als Begleitinstrumente. Als Importe aus anderen Kulturen gestand man sie den Frauen zu. Abgesehen davon gab es in Herat professionelle Musikerinnen, die auf den Hochzeitsfesten für die Frauen spielten. Sie benutzten das Harmonium, die Tabla und die Rahmentrommel Doira. Das waren Unterhaltungskünstlerinnen für Tanzmusik, für lebhafte, unterhaltende Klänge. Sie spielten nicht den Sharbeti, sondern nur Fröhliches und Lebhaftes. Man lud sie auch zu Hochzeiten ein. Dann unterhielten sie mit rituellen Liedern für Prozessionen und Ritualliedern, wenn Braut und Bräutigam zusammensitzen auf einer Art Brautthron. Dabei wurden die Geschenke überreicht, und Braut und Bräutigam gaben sich gegenseitig etwas zu essen als eine symbolische Geste für ihre gemeinsame Verbindung und gegenseitige Hilfsbereitschaft. Sie traten in einer Band auf, die an eine Männer-Band erinnerte, außer, daß sie keine Rubab oder Dotar spielten.“

Unter der Herrschaft der Taliban in den 90er Jahren gab es zeitweise ein totales Musikverbot. Einige professionelle Musiker flohen in die Nachbarstädte im Iran oder nach Pakistan. Dort fanden sie weiterhin ihr Publikum aus Flüchtlingen und iranischen wie pakistanischen Musikliebhabern. Die Zurückgebliebenen mauerten ihre kostbaren Instrumente in die Wände ihrer Häuser ein. Wurden die Menschen beim Musizieren oder heimlichen Hören von Musik ertappt, dann drohte nicht nur eine Strafe, sondern ihre zerstörten Instrumente und Musikkassetten wurden an Bäumen aufgehängt. In einer Zeitung aus dem Jahre 1998 las John Bailey von der Verbrennung verschiedener Dinge: „14 Lastwagen voller Haschischpflanzen, 10 Fernsehgeräte, 4 Videorecorder, 3500 Audiokassetten, einige Tausend Videokassetten, 90 Puppen, Kinderpuppen – denn das sind lebensechte Personen. Und außerdem 10 Musikinstrumente mit Zubehör. Anstelle von öffentlichen Exekutionen und Amputationen schickten sie jemanden mit einem Lautsprecher durch die Stadt, der verkündete: Leute, morgen werden wir all diese Dinge im Stadion vernichten; ihr sollt kommen und zuschauen.“

Das streng überwachte Musikverbot setzte die Bevölkerung zunehmend unter Druck, was dazu führte, daß sich die Menschen selbst zensierten und überwachten. Den Mädchen wurde von den Müttern und Großmüttern verboten zu singen, damit sie nicht die ganze Familie in Gefahr brachten. Als die Taliban 2001 vertrieben wurden, sahen die Musiker mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. Auf einem Festival für Afghanistan in Paris, traf ich im selben Jahr viele Künstler, die zum Teil noch im Exil lebten und zwischen Begeisterung und Unsicherheit über ihre musikalische Zukunft sprachen. Auch ohne Zensur hatte sich die Musik vieler Künstler im Exil verändert. Sie hatten mit persischen und pakistanischen Musikern gespielt und europäische und amerikanische Musik kennengelernt. Nach dieser Erfahrung ersetzten manche die alten Instrumente durch Keyboard und Rhythmusmaschine. Damals erzählte mir Veronika Doubleday: „Was die Zukunft angeht, sollten wir optimistisch sein. Man sollte nicht sagen, die Musik ist verloren oder zerstört, denn das ist eine sehr resistente Kultur. Sicherlich werden die Frauen ihre Trommeln wieder hervorholen und sicherlich auch ihre Stimmen erheben. Doch sie mögen eine längere Zeit benötigen als die Männer.“ Nun, nach 20 Jahren, sind die afghanischen Frauenstimmen wieder auf stumm geschaltet.

Kurzer Überblick über die jüngste Geschichte in Afghanistan.
 
 
1919 wird der unabhängige Staat Afghanistan ausgerufen.
 
1923 versucht König Amanullah, das Wahlrecht für Frauen zu erlauben, und scheitert.
 
1933-1973 Mohammed Zahir Shah letzter König von Afghanistan. Frauen erhalten Wahlrecht
 
1973-1979 Bürgerkrieg mit ständig wechselnden Regierungen. Keine gute Zeit für die Freiheit der Frau
 
1979 -1989 Afghanistan unter russischer Besatzung. Frauen sind relativ frei. Viele Menschen flohen vor den Russen in Flüchtlingslager nach Pakistan. Dort werden die Frauen aus der Öffentlichkeit verbannt. Musikverbot.
 
1989-1992 Machtkampf zwischen Freiheitskämpfern und Taliban. Frauen werden in ihre Wohnungen zurück verbannt.
 
1992-2001 Taliban übernehmen die Macht. Totales öffentliches Musikverbot. Frauen erhalten keine Bildung und werden aus der Öffentlichkeit verbannt.
 
2001-2021 Allianz westlicher Staaten unter Führung der USA. Freie Wahlen für Frauen und freie Berufsausübung. Keinerlei Musikverbot.
 
2021 -      Erneut Herrschaft der Taliban. Frauen werden wiederum alle Rechte genommen. Totales Musikverbot, keine Bildung der Frau nach Grundschulbesuch.

Erstellungsdatum: 11.09.2024