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Djaïli Amadou Amal: Im Herzen des Sahel

Zwischen Erniedrigung und Hoffnung

Andrea Pollmeier


Djaïli Amadou Amal, Foto: Festival du Livre Africain de Marrakech

Gerade in Kriegszeiten ist es wichtig, sich auch für den Schutz von Frauen einzusetzen. Die Autorin und Frauenrechtsaktivistin Djaïli Amadou Amal, die in der umkämpften Grenzregion im Norden Kameruns aufgewachsen ist, hat vielfach geschlechtsspezifische Gewalt erlebt und beobachtet. In ihrem Roman „Im Herzen des Sahel“, der von Ela zum Winkel übersetzt worden ist, richtet die Aktivistin, die 2012 die Vereinigung „Femmes du Sahel“ gegründet hat und für ihr Wirken 2022 die Ehrendoktorwürde der Sorbonne erhielt, den Blick auf eine Frauengruppe, deren Schicksal nahezu nie wahrgenommen wird. Andrea Pollmeier gibt Einblick in den Roman.


Die Frauenrechtsaktivistin und Autorin Djaïli Amadou Amal gibt in ihrem Roman „Im Herzen des Sahel“ seltenen Einblick in die Innenwelt einer postkolonialen Gesellschaft, in der Dienstmädchen bis heute ohne Rechte wie Leibeigene leben und die Distanz zwischen Wohlhabenden und Bediensteten unüberwindbar zu sein scheint. Status überschreitende Freundschaften sind Tabu und werden, falls sie auftreten, gewaltsam zerstört. „Ein Fremder und erst recht ein Dorfbewohner ist ein Niemand“, heißt es im Buch. Zu dieser Gruppe gehören im Norden Kameruns alle Ungläubigen. „Auch ein Christ ist ein Ungläubiger.“

Djaïli Amadou Amal hat für diesen Roman, wie sie bei der Buchpräsentation am Rande der Buchmesse erzählte, in ihrer Heimat Kamerun ausführlich recherchiert. Ihr Ziel war es, nicht wie bisher über die privilegierte, wohlhabende Frau zu sprechen, sondern denen eine Stimme zu geben, deren Existenz zumeist vollständig übersehen wird: den Dienstmädchen. Amal erzählt darum von Faydé, einer begabten jungen Frau, die in einem Dorf nahe der Grenze zum Tschad und zu Nigeria aufgewachsen ist.

Die Werke von Djaïli Amadou Amal, die in Frankreich mit bedeutenden Preisen ausgezeichnet wurden, haben ihren Ursprung in persönlichen Erlebnissen. Wie die Autorin ist auch Faydé, die fünfzehnjährige Protagonistin ihres in der Übersetzung von Ela zum Winkel im Orlanda-Verlag in der Reihe „Afrika bewegt“ erschienen Romans in Nord Kamerun aufgewachsen. Die Grenzregion ist von gefährlichen Überfällen der Terroristengruppe Boko Haram geprägt. Frauen erfahren hier kaum Wertschätzung, nur wenigen ist es möglich, die Schule zu besuchen. Amal selbst wurde hier als junges Mädchen mit dem 55jährigen Bürgermeister des Dorfes zwangsverheiratet, erlebte Erniedrigung und Vergewaltigung. Bücher las sie, erzählt die Autorin, heimlich. Sie kletterte über die Mauer einer nahgelegenen Kirchengemeinde und entdeckte dort in der Bibliothek eine für sie einzigartige Freiheit, die sie später selbst zum Schreiben motiviert hat. 

Faydé gehört zu der Ethnie der Fulbe, ist aber auch christlich getauft und trägt darum zwei Namen: Faydé und Marie. Ihre Mutter ist nach einem Überfall der Boko Haram und dem Verschwinden ihres Mannes Alleinversorgerin der Familie, doch außergewöhnliche Trockenheit machen ein Überleben auf dem Land unmöglich. Die fünfzehnjährige Tochter entscheidet sich darum gegen den Wunsch der Mutter, Schule und Dorf zu verlassen, um in der Stadt als Dienstmädchen zu arbeiten.  

Bereits in den ersten Passagen der Erzählung rückt die Autorin die existenziellen Gegebenheiten, die das Leben der heranwachsenden Frau bestimmen, ins Bild. Die Zugehörigkeit zu zwei Kulturen, die durch den Klimawandel hervorgerufene Armut, die zur Tradition gehörende Zwangsehe und die Gefahr islamistischen Terrors engen die Spielräume der Bewohner und insbesondere der Frauen ein und bestimmen ihren Lebensweg. Zwar stellt die Autorin den ersten von drei Lebensabschnitten, in dem Faydé das Dorf verlässt, unter die Überschrift „Der Weg der Hoffnung“, im Rückblick wird jedoch deutlich, wie zynisch diese Worte sein können. 

Landflucht ist oft kein Weg zum Glück. Das gilt vor allem, wenn man als Dienstmädchen in der Stadt arbeiten muss. Amal taucht in diesem Roman tief in das Leben derjenigen ein, die ohne Stimme, Schutz und Rechte für wohlhabende Familien arbeiten. Dabei erfolgt die Erzählung primär aus der Sicht dieser Ungesehenen. Gelegentlich wechselt die Erzählperspektive, um die Lage von Faydés Mutter oder ihrer ebenfalls als Dienstmädchen arbeitenden Freundinnen zu schildern. So entsteht ein komplexes, die unterschiedlichen sozialen Realitäten und Optionen nachzeichnendes Bild einer polygamen Gesellschaft, die bis zum heutigen Tag starre herrschaftliche Klassenstrukturen bewahrt hat. „Wenn ein kaado (d.h. ein Ungläubiger, Anmerkg. d. Red.) stirbt, rufen sie wie bei einem Tier „Es ist tot! O waati!, statt O maayi“ wie bei einem Menschen.“

Nüchtern und detailreich schildert die Autorin unterschiedlich strenge Beispiele eines Lebens innerhalb einer polygamen Hofgemeinschaft. Faydé, die einst selbst durch eine Vergewaltigung entstanden ist, von ihrer Mutter jedoch wertschätzend erzogen wurde, hat das Glück, in einer gut geregelten Hofgemeinschaft zu arbeiten. Vergewaltigung von Bediensteten wird dort beispielsweise nicht geduldet. Als wissenshungrige Person profitiert sie zudem vom Hausunterricht der Kinder, lernt heimlich weiter und schafft es sogar, ihre Schulausbildung abzuschließen. Bildung, so die hoffnungsvolle Botschaft dieses bewegenden Romans, ist trotz widriger Umstände der Weg, der sozialen Aufstieg ermöglichen kann.

 

 

Siehe auch:
Gespräch mit der Übersetzerin Ela zum Winkel

Djaïli Amadou Amal
Im Herzen des Sahel
Roman
252 Seiten
Übersetzung: Ela zum Winkel
Orlanda Verlag, September 2023

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Erstellungsdatum: 14.11.2024