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Bachmann/Henzes „Der Prinz von Homburg“ in Frankfurt

Zwölfton-Belcanto

Andrea Richter


Annette Schönmüller (Kurfürstin) und Domen Križaj (Prinz von Homburg). Foto: Barbara Aumüller

„In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs“. Ausgerechnet am Abend der brandenburgischen Landtagswahl lauteten so die letzten Worte der ersten Premierenproduktion „Der Prinz von Homburg“ in der neuen Spielzeit der Oper Frankfurt. So wie das Bundesland mit einem Dilemma konfrontiert war und ist, ergeht es dem Titelhelden in Henzes Werk. Der Hauptunterschied zwischen Bühnen- und politischem Realtheater? Die Oper überzeugte in jeder Hinsicht und bescherte Andrea Richter große innere Bereicherung.

Von Anfang an volle Transparenz aufs Bühnengeschehen: Kein Vorhang, eine lange Wand, vor der Stühle, stumme Diener mit ein paar Uniformjacken, zwei Tische und ein Bündel Fahnen aufgereiht sind. Von der Decke hängt ein großer rechteckiger Kasten herab. Ein zweiter Kastenrahmen kommt hinzu. Mehr Requisiten wird es nicht geben. Während des kurzen Vorspiels kommen nach und nach die mitwirkenden Sänger in quietschbunten, militärisch angehauchten, aber zeitlosen Kostümen herein, greifen sich jeweils einen Stuhl und setzen sich zusammen. Sie werden die Bühne bis zum Schluss nicht mehr verlassen, auch wenn man ihre Anwesenheit zeitweilig vergisst, weil sie sich mit ihren Stühlen wieder in den Hintergrund verzogen haben und die Drehbühne die gerade im Fokus stehenden Protagonisten in den Vordergrund gefahren hat. Ihnen gilt alle Aufmerksamkeit. Sichtbare Bühnentechnik ist Teil der Inszenierung von Jens-Daniel Herzog, in der alles mit allem zusammenhängt. Das Bühnenbild ist so karg eingerichtet, dass es ohne die musikalischen und schauspielerischen Aktionen der Künstler keinen Sinn ergeben würde. Mit ihnen ist ein Stück großartiges, bewegtes und bewegendes Musiktheater zu erleben.

Da erscheinen auf dieser riesigen Bühne ohne Unterteilung unsichtbare Räume unterschiedlichster Art. Mal sind es Säle, in denen Kriegsführung und Gehorsam verhandelt werden oder ein Arbeitszimmer im Palast des Kurfürsten, wo dieser über das Leben respektive den Tod des Prinzen entscheidet, mal Kabinette oder intime Zimmer, wo es um sehr Persönliches geht. Der Zuschauer sieht – ohne zu sehen – den Garten, in dem der Prinz träumt, das Schlachtfeld, auf dem er siegt, das Zimmer, in dem er und Natalie sich lieben. Wirklich zu sehen ist lediglich das Gefängnis (der Kasten an der Decke) in dem Prinz Friedrich nach seiner Verurteilung auf den Tod wartet.


Domen Križaj (Prinz von Homburg; stehend) und Ensemble. Foto: Barbara Aumüller

 

Ende 1957 schlug der Bühnen- und Filmregisseur Luchino Visconti dem jungen, seit vier Jahren in Italien lebenden Komponisten Hans Werner Henze vor, Heinrich von Kleists Drama „Der Prinz von Homburg“ zu vertonen. Ausgerechnet dieses von den Nazis als Beispiel für Demut für und vor dem Führer und der Begeisterung für Militärisches und Gehorsam ge- und missbrauchte Werk stand zunächst so gar nicht auf Henzes To-Do-Liste. War er doch aus dem noch von altem Denken durchzogenen Nachkriegsdeutschland geflohen, wo er für sich als Schwulen und Linken keine Zukunft sah. Hinzu waren noch die Auseinandersetzungen mit Komponistenkollegen der Darmstädter Avantgarde gekommen, durch deren Rigorismus in Sachen Zwölfton- und serieller Musik er sich gemobbt fühlte, weil er ihnen in ihrer alles Traditionelle ablehnenden Richtung nicht folgen konnte und vor allem wollte. Doch dann ließ er sich Viscontis Vorschlag durch den Kopf gehen und beriet sich mit seiner besten Freundin, heute würde sie als sein „Lebensmensch“ bezeichnet, Ingeborg Bachmann. Sie war bereit, das Textbuch zu schreiben und lieferte ihm eine stark gestrichene und textlich leicht geänderte, sozusagen entmilitarisierte Fassung des Schauspiels, in der die Charakterisierung der Figuren und deren emotionale Verfasstheit im Vordergrund stehen. Ein Kondensat, in dem auf alles Schmückende und Überflüssige verzichtet wird. Statt der fünf Akte bei Kleist nur drei bei Bachmann/Henze.


v.l.n.r. Iain MacNeil (Feldmarschall Dörfling) und Yves Saelens (Kurfürst von Brandenburg). Foto: Barbara Aumüller

 

Die Handlung: Prinz Friedrich von Homburg ist ein Träumer und Humanist und wird dafür von seinem Umfeld belächelt, beziehungsweise als etwas anormal betrachtet. In einem seiner Träume sieht er sich als ehrenvollen Sieger einer bevorstehenden Schlacht. Vor dem tatsächlichen Kampfbeginn ergeht die Order des Kurfürsten, erst auf seinen ausdrücklichen Befehl ins Gefecht einzugreifen. Homburg aber verfügt eigenmächtig einen Angriff, der zum Sieg führt. Wegen Ungehorsams wird er dennoch zum Tode verurteilt. Die Nichte des Kurfürsten, die in den Prinzen und er in sie verliebt ist, ersucht ihren Onkel um Gnade. Dieser möchte Homburg aber nur dann begnadigen, wenn der Verurteilte den Richterspruch für ungerecht hält. Ist er das? fragt sich der Prinz und er hat plötzlich die Freiheit, über sein Leben zu entscheiden.

Zwei sehr unterschiedliche Sphären stehen sich also gegenüber, die Komponist Henze sehr genau mit musikalischen Mitteln beschreibt: flirrende Geigen, Cello, Flöten, warme Holzblasinstrumente wie die Klarinette sowie die Harfe und melodiöse Arienlinien sind für die Welt des träumenden und liebenden Außenseiters zu hören. Für Macht, Masse, Militär und Rigorismus wählte Henze Blechbläser, Schlaginstrumente aller Art und oft dissonante Zwölfton- und serielle Kompositionsweisen. Die Auseinandersetzung mit den Darmstädtern lässt grüßen! Das alles wird eingebettet in den Stil der italienischen Grand Opéra. Henze wollte beweisen, dass Avantgarde nicht dogmatisch sein muss und ohne Zweifel an der musikalischen Modernität aufkommen zu lassen, den Bogen zur musikgeschichtlichen Vergangenheit und damit zu dem, was der Zuschauer gewohnt war, schlagen kann und soll, um Emotionen zu erwecken, um Schönheit zu genießen.

Genau diesen Aspekt nahm Dirigent Takeshi Moriuchi besonders ernst und ließ Orchester wie Sänger:innen passagenweise wie in einer Oper Verdis klingen. Was insbesondere den beiden Hauptprotagonist:innen, Magdalena Hinterdobler als Natalie mit ihrem kraftvollen und warmen Sopran sowie dem lyrischen Bariton Domen Križaj als Prinz Friedrich, die Chance eröffnete, zur Höchstform aufzulaufen. Ihre Liebesduette von emotionaler Tiefe und Schönheit geprägt. Seine Traumszenen von Zartheit beseelt, seine Verzweiflung ob des drohenden Todes sängerisch wie schauspielerisch absolut überzeugend. Die Kerkerszene, in der sich der Prinz mit seinem Freund Heinrich (Magnus Dietrich, Tenor) unterhält, schien der zwischen Don Carlo und seinem Freund Rodrigo entlehnt und in seiner Nachdrücklichkeit verwandt, nur eben in moderner Klangsprache. Sein „Oh Gott“ (… „ich seh das Grab beim Schein der Fackeln sich öffnen …“) ließ den Vergleich mit „Gott…“(… welch Dunkel hier!) des Florestan aus dem Fidelio Beethovens aufkommen.

Nachdem alles beendet war und der Applaus brandete, hatte ich nur einen Wunsch: Das alles noch einmal zu hören und zu sehen. Genau diese Inszenierung des „Der Prinz von Homburg“ mit genau diesen Interpreten. Ich werde ganz sicher noch einmal reingehen!

Hans Werner Henze
Der Prinz von Homburg
Oper in drei Akten
Text von Ingeborg Bachmann nach Heinrich von Kleist

Uraufführung 1960, Hamburgische Staatsoper
Mitwirkende:
Musikalische Leitung: Takeshi Moriuchi
Inszenierung: Jens-Daniel Herzog
Bühnenbild, Kostüme: Johannes Schütz, Wicke Naujoks
Licht: Joachim Klein
Dramaturgie: Mareike Wink
 
Prinz von Homburg: Domen Križaj
Kurfürst von Brandenburg: Yves Saelens
Prinzessin Natalie: Magdalena Hinterdobler
Graf Hohenzollern: Magnus Dietrich
Kurfürstin: Annette Schönmüller
Weitere Mitglieder des Ensembles
 
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
 
Weitere Vorstellungen: 28.September, 5., 12., 19. 25. Oktober und 2. November 2024

Oper Frankfurt

Erstellungsdatum: 25.09.2024