MenuMENU

zurück

Aus dem Notizbuch

2024 geht zu Ende – 2025 kommt

Eldad Stobezki


Bartolomé Esteban Murillo: Anbetung der drei Weisen. Foto: wikimedia commons

Erst kürzlich brach das neue Jahr aus und zwischen Urbi et Orbi und drei Königen auf der Suche schoben sich Sturmböen. Päpstlicher Segen, Böllerverbot, Elisen-Lebkuchen, Diebstahl und blinde Musiker. In seinem Notizbuch hat Eldad Stobezki gemischte Nachrichten vom Jahreswechsel gesammelt, die der Wechselhaftigkeit der Zeit entsprechen.

 

An Weihnachten spendete der Papst den Segen „Urbi et Orbi“. Der Segen enthält einen vollkommenen Ablass, nicht nur für die anwesenden Gläubigen, sondern für alle, die ihn über Radio, Fernsehen oder andere Medien empfangen. Ich bin nicht katholisch, und den Segen verstehe ich als die Fürbitte, Mensch und Natur in Einklang zu bringen. Ist das noch möglich?

./.

Ich packte ein Weihnachtsgeschenk aus, es war wieder mal ein Buch. Ob ich den neuen Roman von XY gelesen habe, fragte mich ein Gast. „Nein“, sagte ich, „aber er liegt schon auf meinem Nachttisch. Das ist ein guter Platz.“ Dabei erinnerte ich mich an die Aussage von Umberto Eco: „Eine private Bibliothek sollte nicht als ein Mittel der Eitelkeit betrachtet werden, sondern als ein Forschungsinstrument. Die ungelesenen Bücher in einer Bibliothek sind viel wertvoller als die Gelesenen, weil sie den Wissensdurst symbolisieren."

./.

Ein anderer Gast fragte mich, ob ich ein Hobby habe. „Ich habe keines“ sagte ich. Aber vielleicht doch? Das Leben selbst! Nur: Das Wort „Hobby“ hat für mich den Beigeschmack einer nicht ernstzunehmenden Beschäftigung.

./.

Das neue Jahr beginnt mit einem gigantischen Feuerwerk. Ich sehe es aus der Wohnung einer Freundin im siebten Stock des Hauses in München-Schwabing. Die ganze Stadt leuchtet. Millionen Euro wurden abgefeuert. Heute habe ich die Petition zum Böllerverbot unterschrieben.

./.

Der erste Gang zum Supermarkt im neuen Jahr: Ich beobachte, wie ein älterer Herr mit gepflegtem Bart, gekleidet in einen gut erhaltenen, altmodischen Lodenmantel, ein Tütchen Mandeln in seiner Tasche verschwinden lässt.

./.

Die wichtigste Nachricht im Januar ist das bisschen Schnee und Eis. Die Kommentare kommen vom Wetterkompetenzzentrum. Wie aufregend, es hat Anfang Januar in Deutschland geschneit und einige Autobahnen waren vereist. Dann kommt die amtliche Nachricht, dass zwischen 15 und 20 Uhr mit Sturmböen zu rechnen sei. Die Meisen sind nicht zur Futterstelle auf unserem Balkon gekommen – wo verstecken sie sich beim Sturm? Und aus Nordafrika kommen schon die ersten Malvenblätter, die man wie Spinat zubereiten kann.

./.

Am 6. Januar, dem Tag der Heiligen Drei Könige treffe ich traditionell Freunde zum Kaffee. Vorher kaufen wir das stark verbilligte Weihnachtsgebäck in der Galeria Kaufhof ein. Die Elisen-Lebkuchen schmecken jetzt nach Nostalgie.

./.

Als mein IT-Berater per Fernwartung wieder etwas in meinem PC einrichtet, denke ich, dass ich einmal am Tag für die Wunder der Technik dankbar sein sollte: Vater unser im Cloud, geheiligt werde dein Facebook. dein W-Lan, dein Gigabyte geschehe, wie im I-Pad so auch auf dem Smartphone. Unsere tägliche App gib uns heute und vergib uns unsere Flatrate, wie auch wir vergeben unseren Häckern. Und führe uns nicht in das Netz, sondern erlöse uns von TikTok. Denn dein ist das Instagram und die Cookies und die Firewall im Browser. Amen.

./.

Auf YouTube höre ich wieder einmal eine Bach-Kantate. Es singen und spielen Mitglieder der Bach-Stiftung aus Trogen, Schweiz. Die Sopranstimme heißt Gerlinde Sämann, und ich sehe, wie sie mit den Fingern die Noten ertastet. Das erste Mal, dass ich eine Partitur in Brailleschrift sehe. Als ich 1979 nach Frankfurt kam, hörte ich in der Dreikönigskirche fast jeden Samstag Helmut Walcha, der an der Orgel Bach spielte. Er beendete seine musikalische Karriere 1981. Mit 19 Jahren war er erblindet. Ich zähle mich zu den Glücklichen, die ihn noch erlebt haben.

./.

Schostakowitsch war der Meinung, dass niemand ein Requiem für ihn komponieren würde. „Habe nun Bach“, dachte er, und komponierte das 8. Streichquartett als Requiem für sich, basierend auf der Bach’schen „Kunst der Fuge.“

./.

„Was schreibst du da?“, fragte mich der Enkel eines Freundes, der einmal wissen wollte, ob ich Katzen oder Hunde liebe. Ich antwortete: „Ich jage und sammle Geschichten auf Papier.“

./.

Bei der polnischen Haiku-Dichterin Azi Kuder (geb. 1960) fand ich die richtigen Worte für meine Gefühle:

Hügel und Täler

Wie viele weitere Pinselstriche

Bis zum Fluss?

./.

So viele Herausforderungen und keine Hereinforderung.

Eldad Stobezki
Rutschfeste Badematten und koschere Mangos

Gebunden, 150 Seiten
ISBN 9783949671159
Edition-W, Frankfurt, Frankfurt 2024

Buch bestellen

Erstellungsdatum: 17.01.2025