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Gedicht von Lisa Goldschmidt

Abend & Morgen

Lisa Goldschmidt


 

da liegt sie mit geschlossenen augen mit
den leicht geöffneten lippen aus denen kein laut dringt

sie schläft träumt von abend und morgen vom
wandel der gezeiten von den berührungen des winds

dort die weiche rundung ihres kopfes so zart und
zerbrechlich wie ein gefäß ohne boden aus glas

das noch nicht zusammengewachsene duftet
nach einem gedicht mild ein wenig süßlich

sie lächelt im schlaf zuckt der flaum ihres haars
stiebt auf wie flocken im wind

noch ist sie alles das was ihr begegnet
noch ist sie alles zugleich jetzt und für immer

                                                    alleins mit den dingen

und ihre sinne sind der leim das
milchige gewebe es tropft

und ein laut erfüllt die stille

in weiße laken gehüllt zerbricht der laut den moment

                                                    sie schreit

weiß nicht warum

                                                    sie winselt

wie ein hund auf der suche nach futter

                                                    was sucht sie

in der realität der dinge die schmerzen
wortlos starren sie sie an

was willst du uns sagen sag

warum schreist du


das abbild der dinge verfärbt sich tritt
die dämmerung ein wie ein mantel umhüllt

sie ihr schreien deckt sie zu verstummt
der laut in der kehle und der vorhang er flattert

sacht

es küsst sie die luft auf nase und stirn die
dicken ärmchen sie flattern im abendwind

und die amseln sie singen so eifrig

über das laub und die wurzeln
über die brütende hitze eines erdentags
über den wurm der in ihrer kehle verschwand

                                                    schlaf singen sie

                                                    schlaf

                                                    vater wird für dich beten

                                                    mutter wird dich nicht lieben

hellwach starren die äuglein wie murmeln an die wand
an die ecke des zimmers

dort wo der herr jesu hängt
dort pocht die angst wie ein herz

und ein tränlein sucht sich seinen weg über die wange

                                                    verwinden wird sie den augenblick

                              verwinde dich zwitschern die amseln

es liegt ein zauber auf dem gesicht all der dinge

 


sie murmeln und sprechen
sie starren uns an warten ab

ob wir je erkennen was sie sind

dass sie uns sehen behüten beinah zärtlich
ein unsichtbarer schimmer im licht

poesie haben sie sie genannt als sie das licht
der welt erblickte ihre geburt vor drei tagen


da war eine klarheit wie von einem stern in den augen der mutter
ein meer aus licht in ihren mundwinkeln

in der abenddämmerung wird der vorhang zur gischt
er säuselt und zischt

und die zeit sie rauscht zeitlos monoton
im takt aus hunger und schlaf

                                                    eine große alte stille
                                                    spricht der schrank aus eichenholz

ich war immer schon da
auch vor deiner geburt

und nach deinem tod werde ich
immer noch hier stehen

und schweigend werde ich sprechen
über das bleiben und verschwinden
über all das stumme werden und
vergehen


weich weich ist die melancholie
ist sie der staub und tanz der partikel
im sonnenstrahl über dem parkett

in einer ruhe die so ruhig ist
weit außerhalb des körpers
weit fern von einer brust

strahlt der mond so hell über den dächern
ein alter einsamer geselle der nie lacht

war auch er nicht eben erst geboren
in der frühzeit des alls

erkaltet und verstummt wie ein spuk ein gespenst
hängt er wandert er dort am himmelszelt

wo die sternlein glimmen

dort hinein haucht sie ihren atem
sie sucht nach einem gesicht sie will es greifen und reißen

das haar der nacht das sie kitzelt
schwarz so unendlich schwarz

                                                    schlaf singen die amseln

                                                    schlaf

da liegt sie mit geschlossenen augen mit
den leicht geöffneten lippen aus denen kein laut dringt

da liegt sie die poesie
sie fühlt nur und träumt

von einer wirklichkeit ohne raum ohne zeit ohne ich

 

 

 

Erstellungsdatum: 05.02.2025