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Zum Tod von Joachim Durrang

Äquidistanz

Bernhard Bauser


Aquarellzeichnung nach einem Foto von Joachim Durrang

Wes das Herz voll ist, der findet keine Ruhe, muss malen, zeichnen und schreiben, wie Joachim Durrang es tat. Und wer wie er sich in der Tradition Rimbauds und Baudelaires sieht und eine Flut von Metaphern, „die auf nichts bezogen sind, nichts abbilden“ (Reder), hervorbringt, will sich der Maßlosigkeit dreingeben. Bernhard Bauser erinnert an den Frankfurter Bild- und Wortkünstler Durrang.

 

Am 7. August 2025 starb Joachim Durrang, der Maler, Zeichner und helles, starkes Dichterlicht, das in den letzten Jahren immer mehr verblasste, bis es jetzt ohne viel Aufhebens erlosch. Wir ehren einen Künstler, der, schon früh inspiriert von Goya, Baudelaire, Max Ernst, Rimbaud, Hieronymus Bosch und dem Surrealismus, in unvergleichlicher Art die Sinneswelten der Stadt (Frankfurt) mit Wortreizen und Exkursionen ins Phantastische und Kosmologische vermengte und pausenlos Bilder und Verse schuf, auf Zettel, Bierdeckel, in Telefonmuscheln und in Kameralinsen hinein verewigte, die weder er selbst noch wir Übrigen je werden ganz erschließen noch ermessen können. Es gibt kein Maß auf Erden, wusste schon Hölderlin, und Joachim Durrang verkörperte diese ungeheure Erfahrung. Er schrieb, trank, glaubte, rauchte, lebte maßlos. Ordnete alles der Kunst unter, und kein Wunder, dass er mit dem Leben in Konflikt geriet. 
 
 
Die Schrift
 
Schwarz bin ich von Sätzen
die einander überschreiben
Es kritzelt die Hand der Leere
den Bauch voll
Das Dunkle bedrängt das Helle
wenn das Vergessen zunimmt
und die Zukunft 
abgeschrieben wird
hinter dem Siegel
das die Rechnung schliesst
 
(aus „Der tätowierte Himmel“, Edition Razamba, 2017)
 
 
1957 im Saarland geboren, kam er nach Frankfurt, wo er an der theologischen Hochschule St. Georgen eine Priesterausbildung begann. Er verbrachte ein Jahr in Berkeley, dank eines Arbeitsstipendiums des Rotary Clubs, kehrte nach Frankfurt zurück und wechselte zur Goethe-Uni, um weiter Philosophie und Germanistik zu studieren. Er schrieb und malte schon damals in rauen Mengen, verlor auch viele seiner Manuskripte, ganze Romane, oder sie wurden ihm gestohlen, zusammen mit der Tasche, in der er die Originale durch Straßen, Häuserwinkel und Büsche trug. Beides, Glaube und Hedonismus, bestimmten Joachim Durrang, wurden zum nicht versiegenden Antrieb seines Schaffens. 
 
 
Ich will dauern
 
Gesichter sah ich
vollkommen wie flüchtiger Atem
manche schauten ruhig
ihre Namen kannte ich nicht
wie ich die Namen entfernter Sterne nicht kenne
wie ich die Namen von Erde, tief in der Erde, nicht kenne
die Blicke dauerten, verschwanden
Menschen, schön wie der Schimmer
eines klaren Gedankens
 
(bisher nicht veröffentlicht, vorgetragen im Film „Der schwarze Hummer“)
 
 
Durrangs Methode könnte man als Äquidistanz bezeichnen, gleicher Abstand der Kunst zu Gott wie zum Staubkorn, zum Schatten an der Häuserwand wie zum Meer und dem Gedanken der Todlosigkeit, zur Zungenspitze wie zum Wind in den Stadtparks. 
 
 
Die raue Stadt betrat ich
am Hauptbahnhof berührte
die glänzenden Grauwerte ihrer Fläche
in der sich die Schatten von 
Achselhöhlen spiegelten
Schräge Gleise führten zur Halle
Dämmernde Tauben flogen tief
und die Fenster glitzerten
Ich trat in das Innere einer Halle
das weitere Leben war unerreichbar
Gesichter vom Kindesalter bis zur Vergreisung
Was groß war schrumpfte
Stunden verblassten wie gemalte Münzen
Luft schlug über Steinen zusammen
Werbeschriften glommen rotierten
 
(aus „Perücke der Liebe – Ein Gesang“, Topicana 2004, S. 31f.)
 
 
Er jobbte im Frankfurter Hauptbahnhof, in dessen Umfeld er auch lebte, wechselte aber nach einigen Jahren zunächst nach Höchst, dann in den ruhigeren Frankfurter Norden. Joachim war immer freundlich, zugewandt, telefonierte viel. Der Fernseher lief pausenlos. Er war gern albern, hatte viel Besuch und feierte seine Geburtstage regelmäßig. Er wusste Bescheid über die Schriftstellerkarrieren seiner Freunde und Kollegen. Zusammen mit Ewart Reder gründete der die Literatursendung „Wortwellen“ im Frankfurter Regionalsender Radio X. Zeitweise wirkte Joachim auch im Vorstand des hessischen VS mit. Das Langgedicht „Perücke der Liebe“, sein schönstes Werk, enthält ein unvergleichlich poetisches Porträt des Bahnhofsviertels, las er ohne Pause, Punkt und Komma in der Klosterpresse Frankfurt, damals noch im Karmeliterkloster, und ich bereue es heute noch, diese Performance nicht gefilmt zu haben.
 
 
 
Der Junkie im Hauseingang
kratzt Blut von der Wand
Im Aluminiumlöffel
köchelt der Tod und das
Rauschen im Kopf gießt Kannen
von Schmerz in seinen
gerippten Bauch die Schlagader
treibt Gift durch die nutzlose Zerstörung
seiner Zellen das Rauschmittel
probiert Siegermasken an in der
hinfälligen Nacht inmitten
von Lustbarkeiten aus Leugnung
im Hautgrab das beim Gastmahl
vergiftet zittert
unter verdorrten Zellblüten
in denen ein Feuerwerk 
gezündet wird mit Funken
von bengalischem Licht
das in Strömen zieht
und gefeiert wird im Klopfen
der Schläfen das Zeit kostet
und die Zahl so vieler Jahre
 
(aus „Perücke der Liebe – Ein Gesang“, Topicana 2004, S. 54f.)


Durrangs Manuskriptregal. Foto: Bernhard Bauser

 

Durrang schrieb nicht nur Gedichte, sondern auch Romane (von denen wahrscheinlich keiner erhalten ist) und Stücke. Eins davon wurde im Frankfurter Kellertheater uraufgeführt. Seine Wohnungen hingen voller Bilder, die Regale waren vollgestopft mit Manuskripten, zusammen mit zerfledderten Büchern, quer liegenden Ordnern und Erinnerungsstücken wie Puppen, Münzen oder Ansichtskarten. Einen Eindruck davon erhält man im späten Video „Auf schwarzen Strümpfen durchs Weltall“ https://www.youtube.com/watch?v=r7fNHSrO2L8, als Text auch erschienen im Gonzo-Verlag, Wiesbaden 2016.
 
Schon in den Achtzigern veröffentlichte er den Band „Worttropfen“, der vergriffen ist. Vielleicht befindet er sich im Vorlass/Nachlass im Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsaß der Universität des Saarlandes, den er Ende der zehner Jahre noch selbst organisierte. Nach „Perücke der Liebe“ folgten in den Jahren vor der Pandemie noch vier Gedichtbände, „Der tätowierte Himmel, Edition Razamba,  2017, „In der Hölle ist der Hund der DJ“, Edition Autographs Bar 2018, „Die steinernen Männer“, Axel Dielmann Verlag 2019 und „Der Gesang der Schweine“, Edition Autographs Bar 2019. 
 
Den Schalk, der sich in einem fast unmerklichen Lächeln oder auch nur in einer gehobenen Augenbraue zeigte, bewahrte er sich Joachim bis zuletzt. Er bleibt in Erinnerung als Freund, Kollege, unermüdlicher Ideenwirbel - Dichter, Zeichner, Maler und Mensch. 
 
 
Grablegung
 
Meinen Tod überlebe ich natürlich
gerate nicht in Panik
wenn der Knochenmann tanzt
Ich überlebe sie alle
Tode und Tödinnen
gebe artig dem Höllenpersonal Pfötchen
und warte ab verfolge
meine Grablegung die schiefen
Köpfe der Handvoll Trauernden
sag küss die Hand schöne
Witwe der Vögel
und summe mit den Bienen
von Kranz zu Kranz

Erstellungsdatum: 25.09.2025