TEXTOR veranstaltete in Verbindung mit der Frankfurter Galerie Hübner + Hübner einen Abend mit Elliott Sharp. Sharp, Komponist, Produzent, Multiinstrumentalist, bildender Künstler und Pädagoge, der Gruppen wie SysOrk, Orchestra Carbon, Terraplane oder Tectonics gründete und leitet, schrieb nach „IrRational Music“ aus dem Jahr 2019 ein zweites Buch „Feedback: Translations From The IrRational“, das er in Frankfurt vorstellte. Hans-Jürgen Linke hat den Abend mit Lesung und Gitarrenmusik mit Gewinn besucht.
Einige erinnern sich bestimmt noch an die Konzertreihe „Materialausgabe“ in der Batschkapp der 1980er Jahre. Elliott Sharp war in diesem Rahmen zum ersten Mal in Frankfurt zu Gast. Er hat seitdem in vielen Kontexten Gitarre gespielt, Orchesterstücke und Opern geschrieben sowie zwei Bücher und eine riesige Menge an tagebuchartigen, assoziativ und weiträumig und pointiert zugleich reflektierenden Texten, hat zahlreiche Alben veröffentlicht und ein enormes musikalisches Einzugsgebiet bearbeitet.
Einen großen Unterschied zwischen Musik und Reflexion hat es in seiner Arbeit nie gegeben. In der Frankfurter Galerie Hübner + Hübner, wo er sein aktuelles Buch „Feedback: Translations From The IrRational“ (Wesleyan University Press) vorstellte, zeigt sich, wie nahe alles bei ihm zusammengeht: Musik und Mathematik, Reflexion und Gitarre spielen, Zeit, Rhythmus und Vorstellungsräume in Texten und Klangfeldern. Alles tut er mit dem gleichen pathosfreien Ernst.
Auch wenn seine weiträumigen Assoziationen voller naturwissenschaftlich genährter Fiktionalität, intelligenter Ironie und manchmal frei drehender Gedankenspiele stecken, gibt es keine Geste, die irgendetwas zurücknehmen will. Elliott Sharp meint alles gleich ernst, das Musikalische und das Verbale, und er hütet sich, angesichts der aktuellen politischen Situation in Amerika und überall, zu schwadronieren. Die Vereinigten Staaten von Amerika nennt er inzwischen übrigens nicht mehr so. Und wenn er „Faschismus“ sagt, denkt er an Nazi-Deutschland als Blaupause für aktuelle Entwicklungen.
Text und Musik stehen in einem dramaturgisch ausgeglichenen Verhältnis. Elliott Sharp spielt auf seiner achtsaitigen (selbst entworfenen) Gitarre. Er behandelt das Instrument sowohl als Quelle für elektronische Klangschichten, Hereinbrüche, polyphone Drones wie auch klassisch und sehr virtuos als Instrument, das im Blues zu Hause ist. Die Saiten werden mit verschiedenen Anschlagstechniken und Gegenständen zum Schwingen, Brummen, Trommeln gebracht, es gibt polyphone und polyrhythmische Phasen mit fast stochastisch wirkendem Acht-Finger-Tapping, das die Saiten zugleich anreißt, Tonhöhen definiert und ein klares Konglomerat aus verschiedenen Idiomen und elektronischen Schichten produziert. Jedes Zwischenspiel errichtet ein eigenes Klanggebäude, jeder vorgetragene Text lässt ein eigenes Gedankengebäude entstehen. Musik und die gedankenreichen Kurz-Erzählungen, Klanggewitter und Klangwegbegleiter wechseln einander ab und erlösen sich gegenseitig von ihrer bezwingenden Präsenz. Elliott Sharp will mit seiner Musik niemanden fesseln, er will sein Publikum mitnehmen.
In den Texten (und entsprechend wohl auch in seiner Musik) denkt er nach über freie Improvisation, die eigene Geschichte, künstliche Intelligenz („Intelligenz“?), die komplexen und ziemlich lustigen ethischen Implikationen von Laborfleisch (Gibt es bald ein Hannibal-Lecter-Kochbuch? Lebt Elvis?). In diesem letzteren Kontext kommt übrigens einmal, ein einziges Mal, der Name des aktuellen Präsidenten des Landes, das Sharp nicht mehr „USA“ nennen mag, vor.
Am Anfang aber steht nicht das Wort und auch nicht der Klang, sondern Mathematik: „Das Asymptotische Manifest“. Es beginnt mit dem Satz: „Das Ende ist nahe. Es ist nur noch eine unendliche Anzahl von Punkten entfernt.“ Und endet mit „Fortsetzung folgt.“
Zuerst erschienen am 30.09.2025 in der FR
Siehe auch:
Porträt über Elliott Sharp
Erstellungsdatum: 11.10.2025