MenuMENU

zurück

Das Grundgesetz ist das Volk

Begriffe, die uns meinen

Matthias Buth


Garten der Vernunft im Schwetzinger Schloßgarten. Foto: Bernd Leukert

Nach der Uraufführung am 18. Juni 1821 beschrieb man den „Freischütz“ von Carl Maria von Weber schon als „Deutsche Nationaloper“. Das war etwas voreilig, denn die deutsche Nation gab es noch gar nicht. Aber, wie so oft, eilte die Kunst der Politik davon, und Leo Wieland bemerkte in der FAZ: „Eine Kulturnation ist einem Staat gedanklich vorgelagert und von staatlichen Grenzen unabhängig, sie existiert auch ohne eigenen Nationalstaat.“ Deutschland gehört zu den verspäteten Nationen und beging unter dem Nationalsozialismus die schlimmsten Verbrechen. Begriffe wie Volk oder Nation haben ihre Unschuld verloren. Matthias Buth fordert mit seinem leidenschaftlichen Grundsatz-Essay Klarheit.


Wir Deutsche gelten als begriffsverliebt, wollen alles, zumindest vieles, „auf den Begriff bringen“. Und das in der Erwartung, sich und den anderen besser verständlich zu machen, was wir denken und meinen. Begriffe sind sogenannte Bausteine des Denkens, aber schon das ist ein Sprachbild, so als könne Denken bauen. Wenn wir Begriffe als „gedankliche Einheiten“ verstehen, wird es auch nicht klarer, denn Denken ist diffus, bedarf sprachlicher Formen, um Verständigung überhaupt zu ermöglichen, Und sie wandeln sich ständig. Sprache ist ein Fließen von Bedeutungsinhalten und Bezeichnungen, die Teile von Präpositionen und Gedanken sind. Propositionen haben als wichtigste Eigenschaft, dass sie einen Wahrheitswert annehmen, d.h. wahr oder falsch sein können.
Indes doch wollen wir die Dinge auf den Punkt bringen, dies besonders jene, die der Sprache und so den Begriffen mehr an Umgrenzung oder besser an Verfassung geben wollen, als sie leisten können, gleich in welcher der 7.000 bis 7.100 Sprachen der Welt wir uns bewegen. Und auch das Deutsche, geadelt durch Johann Wolfgang von Goethe, der vom „geliebten Deutsch“ schrieb, ist in stetem Wandel und kein homogener Block. Am 21. Februar 1938 sagte Thomas Mann im US-amerikanischen Exil bedeutungsschwer und imperial: „Wo ich bin, ist Deutschland“, ergänzte aber, „Ich trage meine deutsche Kultur in mir.“ Am 29. Mai 1945 hielt er in der Forschungsbibliothek des US-Kongresses seine Rede „Deutschland und die Deutschen“, drei Wochen nach der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 8. Mai, noch weit entfernt von den Erkenntnissen des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985, der diesen Tag als „Tag der Befreiung“ bezeichnete und so neue historische Horizonte eröffnete. Thomas Mann dachte anders. Er zog einen Bogen von der deutschen Innerlichkeit und Romantik, wo er Eigenarten des deutschen Wesens erblickte, und definierte seelische Konstanten, die sowohl die Bedeutung der deutschen Kultur wie die verhängnisvolle, schuldhafte Verstrickung in den Nationalsozialismus begreifbar machen sollten. „Verstrickung“, der Begriff sollte Karriere machen und so beschwichtigen und eingrenzen. Der Nationalsozialismus war für Mann als Teil der Geschichte von der deutschen Innerlichkeit getragen, die sich in der Reformation und der romantischen Bewegung gezeigt habe. Den Nationalsozialismus mit der deutschen Romantik (sie war ein europäisches Phänomen, wie Rüdiger Görner in seiner Studie von 2021 „Romantik. Ein europäisches Ereignis“ darlegte) zu begründen, ist verstiegen und vermag Hitler nicht als dekadenten Scharlatan, gescheiterten Künstler – als „Viertel-Künstler im Essay „Bruder Hitler“ bezeichnet – zu demaskieren, als einem Mann, der sich in politischen Irrationalismus verstiegen und bei den Deutschen eine Art Gottgläubigkeit evoziert habe.

Erstellungsdatum: 16.06.2025