MenuMENU

zurück

Aus dem Notizbuch

Bügeln, Liebe und Liebhaberei

Eldad Stobezki


Hippolyte Bellangé. Druck: Villain, veröffentlicht: Gihaut Frères. wikimedia commons

Wer an ein Leben nach dem Tod glaubt, kann berechtigterweise bezweifeln, ob er noch lebt. Das nachzuweisen, indem man sich in den Arm zwickt, um den Schmerz zu spüren, beseitigt den Zweifel nicht. Sollte das tägliche Aufschreiben des Datums, wie On Kawara das betrieb, Gewissheit bringen? Oder schreibt er möglichweise noch immer? Eldad Stobezkis Notate zum Datumskünstler nehmen aber auch noch den Clown im Palast mit, Strippenzieher, Körperkontakte, Herzkranzgefäße und vor allem das Bügeln.

 

Bügeln ist ein Akt der Liebe, dachte ich, als ich klein war. Mein Vater war Busfahrer und hatte oft Spätschicht. Dann stand meine Mutter spätabends, wenn es kühler wurde, in der Waschküche und bügelte seine Hemden, denn Klimaanlagen gab es noch nicht. Dampfbügeleisen gab es ebenfalls nicht. Jahre später, ich ging schon ins Gymnasium, kam ich eines Abends von einem Konzert zurück und hörte die Nachbarn ruhig und freundschaftlich über ihre Scheidung sprechen. Sie waren jenseits jeglichen Streits. Während des Gesprächs bügelte sie seine Hemden.

Ich erinnere mich an einen amerikanischen Film: Wütend auf seine Frau, die gerade ein Kleid bügelte, drückte ihr Mann das Bügeleisen so lange auf den Stoff, bis das Kleid zu brennen begann.

Er war Anfang vierzig, als ein Bekannter in Israel starb. Die Beerdigung war sehr traurig. Dem Brauch folgend, kehrten alle Verwandten nach 30 Tagen zum Grab zurück. Die Ehefrau des Verstorbenen kam mit einer großen Tasche, öffnete den Reißverschluß, warf alle seine Hemden auf das frische Grab und murmelte „Jetzt kannst du deine Hemden selbst bügeln“.

./.

Israelische Soldatinnen nähen einen Messias-Sticker auf ihre Uniformen. Fremde Elemente sind in der Armee zwar verboten, doch niemand hindert sie daran. Die Theokratie gewinnt in Israel sowohl an Einfluss als auch an Zustimmung. Soldaten plündern ungestraft palästinensische Häuser und töten deren Bewohner. Dazu zitiere ich Peter Bichsel über die Schweizer Armee:

„Die Schweizer Armee halten wir nicht für notwendig, schon gar nicht für notwendige Übung, sondern wir lieben sie. Sie ist unser Volksgut, unsere Folklore. Durch die Rekruten-Tour wird ein Schweizer zum Erwachsenen. Sie tue jedem gut, sagt man, man merkt es einem lebenslang an, wenn er keine gemacht hat. Die Schweizer Armee ist eine teure Liebhaberei.“

./.

Die Herzkranzgefäße umschließen das Herz und versorgen den Herzmuskel mit Blut und dadurch mit lebensnotwendigem Sauerstoff. Ihren Namen tragen sie aufgrund ihrer kranzförmigen Anordnung. Als Kind verstand ich nicht, warum die Erwachsenen so besorgt aussahen, wenn sie von der herzkranken Großmutter sprachen. Ich dachte, sie sprechen von einer Vase mit einem ganz besonderen Blumenstrauß.

./.

Als ich neulich einen Freund fragte, woher er eine bestimmte Person kennt, antwortete er: „Ich kenne ihn nur als eine Zoom-Kachel aus der Coronazeit.“

./.

Der japanische Künstler On Kawara (1932–2014) wollte sich stets vergewissern, dass er noch da ist und wo er sich im endlosen Fluss der Zeit befindet. 1966 begann er seine heute legendäre Today-Serie, für die er so oft wie möglich das aktuelle Datum auf eine einfarbig grundierte Leinwand malte. Einerseits ein formal kühles Konzeptkunst-Projekt, andererseits eine poetische Meditation über die Existenz in einem bestimmten Moment. Bis zu seinem Tod fertigte Kawara über 3000 dieser Datumstafeln an. Das Frankfurter Museum für Moderne Kunst stellte lange viele dieser Bilder aus. Anfangs fand ich sie zwanghaft und langweilig. Erst als mir bewusst wurde, dass ich mich morgens beim Aufstehen nach dem Datum frage, erschienen sie mir sinnvoll.

./.

Auf dem Weg zum Wochenmarkt in einem anderen Stadtteil, stieg ich in den Bus, der bis auf der letzten Platz von Studenten auf dem Weg zur Universität besetzt war. Ich musste stehen. Als der Fahrer plötzlich bremste wurde ich nach vorne geschleudert und landete in den offenen Armen eines Studenten, der mich festhielt. Seine blitzschnelle Reaktion hatte mich vor einem Sturz bewahrt. Ich roch seinen jungen Schweiß, durchtränkt von billigem, starkem Aftershave und Testosteron. Die Wärme seines Körpers fühlte sich angenehm an. Als ich wieder auf den eigenen Beinen stand, ließ er mich los. An der Haltestelle vor der Uni stiegen alle Studenten aus, auch mein freundlicher Helfer, der mir einen schönen Tag wünschte. Ich erwiderte den Gruß und fragte mich schon, in welche Arme ich beim nächsten plötzlichen Stopp fliegen würde.

./.

Der Frieden ist ein Unobtainium. Dieser Begriff bezeichnet ein Material, das praktisch nicht beschaffbar ist – sei es, weil es nicht existiert, unerschwinglich teuer ist oder sich an einem unerreichbaren Ort befindet. Wörtlich ließe er sich mit „Nichtzukriegium“ oder „Unbeschaffbarium“ übersetzen.

 ./.

Wenn Politiker und Industrielle als Strippenzieher bezeichnet werden, habe ich das Gefühl, dass es sich nur noch um ein Puppentheater handelt. Angesichts der peinlichen Machthaber dieser Welt fällt mir ein türkisches Sprichwort ein: „Wenn ein Clown den Palast betritt, wird er nicht zum König. Der Palast wird zum Zirkus."

Eldad Stobezki
Rutschfeste Badematten und koschere Mangos

Gebunden, 150 Seiten
ISBN 9783949671159
Edition-W, Frankfurt, Frankfurt 2024

Buch bestellen

Erstellungsdatum: 08.05.2025