Humor kann uns in Distanz zu den eigenen Schieflagen bringen und das Absurde bewusst machen. Zum Thema „Humor als Widerstand“ hat das Literaturfest Textland kurze Video-Interviews mit einigen Autor:innen geführt. Martin Piekar rechnet damit, dass wir „in den nächsten Jahren eine Renaissance der Romantik erleben … weil die Menschen müde geworden sind von Inflation, Kriegen, der Pandemie – kurz: von jedem großweltlich politischen Irrsinn.“
Was bringt dich zum Lachen?
Komische Situationen. Situationen, über die die Menschen gar nicht nachdenken, obwohl sie sich in ihnen befinden. Aber leider auch ab und zu die schreckliche Weltlage, weil Lachen in dem Moment die einzige Möglichkeit sein kann, eine Emotion rauszulassen.
Kommst du beim Schreiben nicht ohne Humor aus?
Manche schreiben mir Humor zu, andere nicht. Ich finde es schwierig, weil ich das Gefühl habe, dass Humor nichts ist, was ich planen kann. Es gibt beim Schreiben nichts Schlimmeres als geplante Witze. Irgendwie muss der Witz in der Sache, in der Sprache entstehen. Der Humor ist eigentlich schon da, er kommt nur in den Text.
Wie lässt sich der Humor in deinen Texten beschreiben?
Ich schreibe mittlerweile so, wie ich lebe. Es war ein Prozess, beides zu synchronisieren. Ich komme im Leben nicht ohne Humor aus und daher auch beim Schreiben nicht. In meinen Texten gibt es drei verschiedene Formen von Humor: Es gibt Ironie, aber es ist nicht die Ironie, bei der man hinterher nicht weiß, was ich gemeint habe, sondern eine Ironie, die entsteht, wenn man sich einer Sache nicht mehr sicher ist. Manchmal werde ich zynisch, wenn ich wütend bin, und diese Welt, vor allem die menschliche, birgt leider sehr viel Wutpotenzial. Und dann gibt es noch den Sarkasmus, der, wie ich finde, auch als politisches Mittel sehr effektiv ist.
Gab es Reaktionen auf deine Veröffentlichungen, die dich überrascht haben?
Ich erlebe häufig Momente, in denen Menschen mir eine Interpretation eines Texts von mir geben, die ich selbst überhaupt nicht bedacht habe. Als Dichter ist es meine Aufgabe, Texte zu schaffen, die interpretierbar sind. Dazu müssen sie so offen sein, dass auch ich nicht sämtliche Lesarten kennen kann. Die Leute sind dann erstaunt darüber, dass ich nicht alles über meinen Text weiß. Ich glaube, das kann man überhaupt nicht. Das geht nur, wenn man den Text von anderen lesen lässt.
Sind schon Interpretationen an dich herangetragen worden, bei denen du plötzlich eine tiefe Erkenntnis hattest?
Mir geht es sehr oft so, dass ich etwas schreibe, und erst hinterher wird mir bewusst, warum ich das tun musste, warum ich so einen inneren Drang, so eine Dringlichkeit empfunden habe. Der Sankt Petersburger und Frankfurter Dichter Oleg Jurjew hat es perfekt ausgedrückt: „Ich schreibe Gedichte, um zu erfahren, wovon sie handeln.“ Ich glaube, genau so geht es mir auch. Ich muss viele Texte erst mal schreiben, damit ich selber erfahre, worum es mir geht, worum es im Text geht und was daran wichtig ist. Und manchmal weiß ich es, selbst nachdem ich den Text fertiggestellt habe, immer noch nicht. Dann ist eine Interpretation von jemand anderem immer sehr hilfreich.
Haben neben persönlichen auch gesellschaftliche Krisen Einfluss auf dein Schreiben?
Ich betrachte das Persönliche und das Gesellschaftliche nicht als getrennt. Die persönliche Krise ist eigentlich immer vorhanden. Wir alle haben sie, wie auch immer sie beschaffen sein mag. Parallel dazu verlaufen die gesellschaftlichen Krisen, mit denen wir irgendwie klarkommen müssen. Und das ist ein Haufen Arbeit, das ist schwer, nervig, bringt zur Verzweiflung und lässt die Hoffnung manchmal schwinden. Ein wichtiger Stil von mir besteht darin, beides parallel laufen zu lassen, also zu zeigen, wo es das Persönliche ist, das uns zwickt, und wo es die Gesellschaft ist, die viel zu häufig ein Problem darstellt.
Gibt es unpolitische Literatur?
Nein, es gibt keine unpolitische Literatur, die kann es gar nicht geben. Ich werfe jetzt eine These in den Raum: Wir werden in den nächsten Jahren eine Renaissance der Romantik erleben, weil die Menschen müde geworden sind von Inflation, Kriegen, der Pandemie unlängst – kurz: von jedem großweltlich politischen Irrsinn. Wie wird eine Kunst aussehen, die versuchen wird, uns abzulenken, während im Hintergrund alles brennt? Das ist so wie das Orchester auf der Titanic, mit dem Unterschied, dass die keinen Ausweg mehr hatten. Jetzt, so mein Gefühl, haben wir noch Handlungsraum, aber sobald der verschwindet, wird es unheimlich romantisch werden. Dann werden neue Welten erfunden – was sowieso schon die ganze Zeit über geschieht –, oder es wird dann umso mehr darum gehen, diese Welt zu verschleiern. Aber das ist dann eine Form von politischer Literatur, weil sie bestrebt ist, sich komplett von der Realität abzuwenden. Häufig ist es ja so, dass gerade das, wovor wir uns ganz und gar verschließen wollen, irgendwann direkt vor uns auftaucht, und deswegen sage ich mit Rosa Luxemburg: Auch unpolitisch sein heißt politisch sein.
Was kann man von Literatur erwarten?
Generell finde ich es am gesündesten, wenn man nichts erwartet, aber auch nicht mit allem zufrieden ist. Ich bin ein Fan von Enttäuschungen, weil Enttäuschung beinhaltet, dass man vorher getäuscht wurde. Wenn Täuschung sich auflöst, stellt sich häufig ein durchaus schmerzhafter Zustand ein, aber ich will trotzdem dafür eine Lanze brechen. Gleichzeitig ist es falsch, gar nichts zu erwarten. Meiner Meinung nach sollte man mit den eigenen Erwartungen so umgehen können, dass sie einem bei der Wahrnehmung von etwas Neuem nicht im Wege stehen. Was erwarte ich von Literatur? Ich glaube, ich erwarte von ihr, dass sie mir meine Weltsicht überprüfen hilft, wobei ich am Ende nicht alles verloren, sondern eine erweiterte Perspektive gewonnen habe.
Welche Rolle spielt Humor in deinem Leben?
Humor ist eigentlich eine Überlebenstaktik. Man muss lachen können in dieser Welt, weil es eine Form von Ventil ist. Manchmal muss man einfach herzlich lachen können, um wieder weinen, wieder wütend und überhaupt bereit sein zu können, etwas zu tun. Das Lachen ist auch eine Form, die Welt zu verarbeiten. Man akzeptiert in dem Moment, wie irre sie ist, lebt aber gleichzeitig sein Leben weiter, möchte sie verändern, aushalten, bewältigen, überwinden – wie auch immer. Ein Leben ohne Humor wäre nur noch traurig, weil Lachen großen Spaß macht.
Erstellungsdatum: 08.05.2025