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Sibylle Bergs „RCE #RemoteCodeExecution“ am Berliner Ensemble

Das abgründige Gute

Walter H. Krämer


RCE #RemoteCodeExecution. Ensemble. Foto: Marcel Urlaub

Wenn Goethe Mephisto sich mit den Worten vorstellen lässt, er sei „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“, so erfahren wir im Alltag auch das teuflische Gegenteil, nämlich Gutwillige, die stets kräftig das Böse schaffen. Sybille Bergs Roman „RCE #RemoteCodeExecution“, der in der Bearbeitung von Kay Voges und Sibylle Baschung beim Berliner Ensemble auf die Bühne kam, arbeitet diese Erkenntnis aus, wie Walter H. Krämer berichtet.

 

Der neue Roman RCE #RemoteCodeExecution von Sibylle Berg führt tief hinein in eine Welt, die der unseren auf beunruhigende Weise ähnelt, und ist eine messerscharfe Analyse einer durch den Neoliberalismus verheerten Welt, in der jeder Widerstand zwecklos zu sein scheint. Vor allem aber ist dieser Roman ein furioser, literarischer Bauplan, wie es doch noch möglich wäre, Europa neu zu starten. Klar ist allerdings auch, nur wer in der Lage ist, das System umzuschreiben, kann es stürzen.

Dunkelheit hat sich über die Welt gelegt. Nur in einem abhörsicheren Container brennt noch Licht. Hier sitzen Hacker vor ihren Rechnern und coden. Und was sie Schritt für Schritt entfesseln, ist nichts Geringeres als die Weltrevolution. Nerds machen sich auf, die Welt zu retten. Wer anders könnte das auch im digitalen Zeitalter.

Den 700-Seiten Roman der Autorin Sibylle Berg hat der Regisseur Kay Voges zusammen mit der Dramaturgin Sibylle Baschung auf wenige Seiten und genau 72 Minuten verdichtet – eine synchronisierte Timeline aus Ton, Musik, Text und Video und ein videoästhetisches Bühnenwunderwerk, das Theater-Sehgewohnheiten sprengt.

Video nicht als Beigabe, sondern als Gesamtwerk. Verantwortlich dafür nicht zuletzt der Bühnenbildner Daniel Roskamp, die Videodesign-Chefin Andrea Schumacher und eine ganze Reihe von sogenannten „Digital Artists“. Tommy Finke lieferte dazu einen stimmigen Soundtrack, der Ohrwurmcharakter in sich trägt und der einem noch lange im Kopf bleibt.


RCE #Remotecodeexecution. Ensemble. Foto: Marcel Urlaub

 

In einer begeh- und erklimmbaren Wabe – einem achteckigen Tunnel - schweben die fünf Schauspieler*innen / Erzähler*innen / Avatare/ Nerds Maximilian Diehle, Max Gindorff, Pauline Knof, Amelie Willberg und Paul Zichner durch Zeit und Raum. Mit strikter Zeitvorgabe rappen und sprechen sie sich durchs All und durch Hochhausschluchten. Mal mit Computerstimme oder auch mal eindringlich und emotional gefärbt. Die Schauspieler*innen bekommen ihre Texte via Kopfhörer auf‘s Ohr, damit die exakt vorgegebenen 72 Minuten auch eingehalten werden. Eine wahre Meisterleistung.

Es droht die menschengemachte Apokalypse, und genau diese gilt es zu verhindern. Die Reichen und Schönen beuten aus Gewinnsucht und Egoismus alles und jeden aus und richten dabei die Welt und den Planeten Erde zugrunde. Derweil haben die Tech-Konzerne nichts Besseres im Sinn, als die übrige Bevölkerung abzulenken, die sich ahnungslos gibt und das auch ist. Da bleiben nur noch die Nerds, um die Welt vor dem Untergang zu retten. Mittels Fernsteuerung (Remote Code Execution) hacken sie sich ins System ein und setzen alles auf Anfang zurück.


RCE #Remotecodeexecution. Ensemble. Foto: Moritz Haase

 

Die Welt braucht einen Neustart! Darin sind sich die fünf Hacker*innen einig. Doch wie die Massen aus ihrer Lethargie reißen? Unabhängig davon, ob die Menschen überhaupt gerettet werden wollen, egal wie größenwahnsinnig oder naiv ihre Weltrettungspläne daherkommen mögen, die fünf Nerds hacken, was das Zeug hält.

Doch ganz so einfach ist das nicht, und die Nerds sind nicht nur die Guten. Kay Voges' Fassung arbeitet pointiert und mit viel Ironie heraus, wie abgründig das vermeintlich Gute ist.

Größenwahn und Anmaßung bis hin zu faschistoidem Gedankengut und Verhalten stellen sich ein, wenn Volksaufstände bewusst provoziert, Abweichler auf Kreuzfahrtschiffe verbannt und sich dort selbst überlassen werden. Da bekommt der Slogan „Es braucht eine Revolution, zu der man tanzen kann“ leicht einen faden Beigeschmack und dient dazu, die Wahrheit zu verschleiern.

Und obwohl vieles KI-generiert ist an und bei dieser Produktion – ohne Kay Voges und seinem Team wäre allein aus künstlicher Intelligenz kein spannender Theaterabend geworden. Und um den Avataren Leben einzuhauchen, braucht es exzellente Schauspieler*innen, die neben dem Sprechen auch in der Lage sind, die vorgegebene Choreographie ausdrucksstark auf der Bühne / im achteckigen Tunnel umzusetzen. Letztlich war der Anspruch – so Tommy Linke – „mit künstlicher Intelligenz eine intelligente Künstlichkeit zu erschaffen.“

Dieser Abend nimmt einen visuell mit auf einen Pfad der Algorithmen, wo es nicht immer leichtfällt, zwischen Mensch und Maschine zu unterscheiden. „Der Abend geht ordentlich auf die Fresse, ist aber dafür kurz“ so der Regisseur Kay Voges während einer der letzten Proben. Gemeint ist damit die schier überbordende Bilder- und Informationsflut, die Überforderungscharakter hat und keinesfalls beim einmaligen Sehen in Gänze erfasst werden kann.

Sibylle Berg hat für diesen Roman extrem genau recherchiert, und zwar auch mit Hilfe von Mitarbeiter*innen des Chaos Computer Clubs. Diese bestätigen, dass alles, was in diesem Roman vorkommt, sowohl technisch möglich ist, als auch schon tatsächlich in der Praxis genutzt wird. Das sollte uns schrecken und bewusst machen, dass wir uns bereits jetzt in eine totale digitale Abhängigkeit begeben haben. Man stelle sich nur einmal vor, was jeder von uns ohne Smartphone und Computer alles nicht mehr erledigen könnte. Werden wir gehackt oder bricht gar das Stromnetz zusammen, sehen wir dunklen Zeiten – gar dem Ende der Zivilisation – entgegen.

Sibylle Berg dreht in ihrem jüngsten Roman Tendenzen sowie Fakten der Gegenwart fiktiv um eine Schraube weiter, und Regisseur Kay Voges bringt sie auf die Bühne getreu dem Motto: „Es braucht eine Revolution, zu der man tanzen kann!“ Tanzen sie mit!

 

 

Foto: Moritz Haase

RCE #RemoteCodeExecution von Sibylle Berg
Regie: Kay Voges, Bühne: Daniel Roskamp, Kostüme: Mona Ulrich, Musik: Tommy Finke, Dramaturgie: Sibylle Baschung, Videodesign: Andrea Schumacher, Licht: Hans Fründt, Digital Artists: Voxi Bärenklau, Stefano DiBuduo, Andrea Familari, Max Hammel, Michael Klein, Arne Körner, Julius Pösselt, Max Schweder, Mario Simon, Jan Isaak Voges, Robi Voigt. Mit: Maximilian Diehle, Max Gindorff, Pauline Knof, Amelie Willberg, Paul Zichner.
Dauer: 1 Stunde 12 Minuten, keine Pause

https://www.berliner-ensemble.de/inszenierung/rce

RCE #RemoteCodeExecution von Sibylle Berg / in einer Bearbeitung von Kay Voges und Sibylle Baschung / Regie: Kay Voges / Gastspiel des Berliner Ensembles im Rahmen des Heidelberger Stückemarktes im Marguerre-Saal von Theater Heidelberg am

Freitag den 25.+ Samstag, den 26.04. jeweils von 20;30 – 21:45 Uhr

Weitere Vorstellungen in Berlin ab dem 8. Mai 2025

 

 

Erstellungsdatum: 19.04.2025