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Über öffentliche und akademische Philosophen

Der soziale Faktor

Bernd Leukert


John William Waterhouse: Diogenes (1882), wikimedia commons

Der öffentliche Philosoph sitzt nicht mehr in der Tonne und sagt seinem König, er solle ihm aus der Sonne gehen. Er sitzt vielmehr in Fernsehstudios, im Radio, in vielen Internetkanälen und verteilt Vernunft, Esoterik, Lebenshilfe und Provokationen, die er auch in seinen Büchern vertreibt. Der akademische Philosoph übt sein Amt in der Uni aus und bleibt unbekannt. Bernd Leukert hat einige Aspekte zu einer uralten Kontroverse zusammengetragen.

Das berufsmäßige Meinen

Die Liebe zur Weisheit hat zu jahrtausendelangen Streitereien unter den Liebhabern geführt, denn – wie im richtigen Leben – will niemand die Geliebte mit anderen teilen. Tatsächlich ist die Angelegenheit komplizierter, selbst komplizierter als der Gegensatz zwischen akademischen und öffentlichen Philosophen, der immer wieder mal eskaliert, nach gründlichem Bedenken aber in eine versöhnlichere Anerkennung der Differenzen mündet.

Diese Differenzen gründen auf unterschiedlichen Arbeitsmethoden und dem damit verbundenen drohenden Verlust von Anerkennung und Ansehen. Die Auseinandersetzung ist dementsprechend polemisch:
„Oberflächliche Kulturen gedeihen auch auf hohem gesellschaftlichen Niveau. Der Analphabetismus hat viele Formen. Er reicht von der Lese- und Schreibschwäche bis zur Denkschwäche, und wo das Denken aufhört, beginnt das Geschwätz, z.B. im Dauerreigen der Talkshows und der Modephilosophen. In unserer Gesellschaft nimmt eine exhibitionistische Geschwätzigkeit beunruhigend zu und ein ernstes Nachdenken ab. Die Zeit wird durch das Maß des Aktuellen, oft des Seichten, nicht durch das Maß des Beständigen und des Wesentlichen geteilt – als ob es darauf ankäme, die Dummheit statt den Verstand zu demokratisieren.“1

So beurteilt der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Jürgen Mittelstraß diejenigen Medienphilosophen, die man öffentliche Philosophen, Illusionisten, Populärphilosophen oder Modephilosophen nennt. Dabei ist die Palette der Tätigkeitsfelder für frei Philosophierende riesig – von den Gurus, die, ausgestattet mit den Sprüchen bekannter Denker, jedem Gegenargument mit einem Zitat begegnen, über jene, die als Wissende Lebenshilfe anbieten, bis zu den Universalisten, die den Kosmos der Alltäglichkeiten zu Buche schlagen lassen und eine Philosophie des Singens, des Kochens, des Laufens, des Radfahrens, des Lippenstifts, des Streichholzes oder des Kletterns publizieren, so, daß Christian Geyer am 24. Mai 2023 in der FAZ schreiben konnte: „Öffentliches Philosophieren wird gerne missverstanden als ein berufsmäßiges Meinen zu allem und jedem. ... Selbst in Philosophiemagazinen werden um der leichteren Anknüpfbarkeit an öffentlich eingespurte Fragestellungen willen politische und psychologische Herangehensweisen fälschlicherweise als Philosophie ausgegeben.“

Plato widmet den Animositäten zwischen der Akademie und den Sophisten ein eigenes Buch. Die Akademie war gedacht als eine Lehr-, Lern- und Lebensgemeinschaft. Die Sophisten dagegen ließen sich dafür bezahlen, mit rhetorischen und nicht immer lauteren Mitteln bestimmte Ansichten, auch Falschnachrichten zur gezielten Beeinflussung wichtiger Entscheidungsträger plausibel zu machen und zu verbreiten, – ein Vorgang, den man seit der Gegenreformation Propaganda nennt.

Nun hat sich seit der Antike fast alles für die nicht-akademischen Philosophen, die gegenwärtig als geistige Influencer in den Medien auftreten, verändert: methodisch, weshalb sie auch nicht mehr Sophisten heißen, und gewerblich, da sie ihr Einkommen über Vorträge, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen, sowie über den Zeitschriften- und Buchmarkt erwirtschaften müssen.

Doch schon das platonische Streitgespräch zur Definition des Sophisten, das mit der Bemerkung des Fremden aus Elea endet: „Denn unter den Wissenden war der Sophist nicht, wohl aber unter den Nachahmenden. (267e)“2, verläuft nicht so parteiisch, wie der schlechte Ruf, den die Sophisten letztlich hinterließen, nahelegt.

Daniel-Pascal Zorn schreibt: „Sokrates trifft in Platons Dialogen manchmal auf Gesprächspartner, die ihm auf den Kopf zusagen, dass er ein Sophist, ein Meister der täuschenden Rhetorik sei. Es gibt sogar Lehrerfiguren wie den Fremden aus Elea im Dialog Sophistes, der zwar Sokrates nicht nennt, aber seine Herangehensweise als „edle und vornehme Sophistik“ charakterisiert. (Zorn S.46)3

Und so geht es fort bis heute, indem ein Autor den anderen zum Pop-Philosophen erklärt; wenn etwa Uwe Justus Wenzel in der FAZ vom 15.01.2020 feststellt:
„Ein anderes Beispiel verkörperter Pop-Philosophie hat weniger Ähnlichkeit mit einem massenwirksamen Propheten und mehr mit einer Sphinx oder einem Orakel. Im Rechts-links-Spektrum ist es eher auf der Hardt und Negri gegenüberliegenden Seite zu lokalisieren: Peter Sloterdijk. ... Es ist auch seine mediale Durchlässigkeit für Zeitströmungen und deren Unterströmungen, die Sloterdijk zum Paradebeispiel einer eigenen Spielart der Pop-Philosophie qualifiziert.“4

Sloterdijk schrieb aber seinerseits schon in „Zeilen und Tage III“:
„Agambens Beiträge auf dem Podium von Istanbul stellen etwas von der okkulten Mission heutiger publikumswirksamer Philosophie unter Beweis. Was soll sie denn anderes liefern als verschlüsselte Angebote für die Sehnsucht nach der großen Alternative? Die Welt ist eben doch nicht alles, was der Fall ist.“

Oder, anläßlich des griechischen Referendums 2015:

„Habermas wäre nicht der Illusionist, als den man ihn kennt, würde er nicht jetzt auch die „Position der griechischen Regierung“ unterstützen.“5

Das Ungenügen an der akademischen Philosophie wiederum gründete noch im 17. Jahrhundert auf deren sophistischer Rabulistik und der gegenreformatorischen Aneignung universitärer Freiräume.

Deshalb konnte Voltaire schreiben:
„Der Kanzler Bacon ... hatte schon frühzeitig abgelehnt, was die Universitäten als Philosophie bezeichneten; und er tat, was er konnte, daß diese Gesellschaften, eingerichtet zur Vervollkommnung der menschlichen Vernunft, nicht fortführen, sie zu verderben mit ihren Quidditäten, ihrem Schrecken der Leere, ihren substantiellen Formen und all den anmaßenden Worten, die nicht nur die Unwissenheit ansehnlich machte, sondern die eine lächerliche Vermengung mit der Religion fast heilig gemacht hatte.“6

Der Gewährsmann der freien Philosophen, Arthur Schopenhauer, der mit seiner zu Hegel in Konkurrenz gesetzten Dozentur scheiterte, konnte allerdings von seinem geerbten Vermögen und deshalb als freier Philosoph leben, ohne sich und seine Philosophie prostituieren zu müssen. Doch wer hörte sie, wer las sie?

Der Journalist Henning Ritter folgerte: „Aber kann eine Philosophie Schopenhauers, die es ausdrücklich verbietet, universitären und akademischen Gebrauch von ihr zu machen, einen anderen Adressaten haben als die Menschheit?“7

Dieser Gedanke öffnet das Tor zur öffentlichen Philosophie.

Claus Langbehn
Kultur des Selbstdenkens
Versuch über öffentliche Philosophie
136 S., brosch.
ISBN 978-3-95832-307-0
Velbrück Wissenschaft,
Weilerswist-Metternich 2022

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Daniel-Pascal Zorn
Shooting Stars
Philosophie zwischen Pop und Akademie
100 S., brosch.
ISBN 978-3-465-04398-0
Klostermann Essay 2
Klostermann, Frankfurt am Main 2019

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Erstellungsdatum: 04.08.2024