Es sind Grauzonen, drückt man es höflich aus, in denen die bundesdeutsche Kulturförderung navigiert. Denn die Verfassung hat die Kulturhoheit den Ländern zugewiesen. Jeder Eingriff in diese Zuständigkeit kann als kulturelle Aneignung interpretiert werden. Doch die Macht des Geldes bewirkt einen eigenwilligen Umgang mit den Vorschriften und Gesetzen, die sich der Bund selbst gegeben hat. Matthias Buth bietet in seinem Essay einen Einblick in das seltsame Geflecht aus Willkür und Fiktion im Bundeskanzleramt.
Er läuft schon eine Zeit, und ein Ende ist nicht abzusehen: der Rechtsstreit der renommierten Literaturzeitschrift Lettre International gegen den Staat, gegen das Bundeskanzleramt, gegen eine Institution im rechtlichen Graubereich, nämlich die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM). Dem Herausgeber der Zeitschrift geht es nicht um einen schnellen Erfolg, d.h. um Geld. Es geht ihm um Grundsätzliches, nämlich um die Frage, was ist Presse, was ist Kultur und aufgrund welcher rechtlichen Kompetenz finanziert sie der Staat. Damit öffnet er ein weites Feld, eines, um das sich die Bundesregierung als Ganzes allzu intensiv noch nicht gekümmert hat. Und auch der Bundesrechnungshof hat sich den Bundeskulturförderungen noch nicht so analytisch zugewandt, wie es erforderlich wäre. Denn es geht um eine Verfassungsfrage von Bedeutung, um eine Frage, die an manche Säulen unseres Verfassungsverständnisses rührt.
Die Akademie der Künste (AdK), welche die Zeitschrift „Sinn und Form“ herausgibt, wird als intentionelle Empfängerin von Bundeszuwendungen seit 2005 gefördert. Die Gesamtsumme – bezogen auf die Zeitschriftenförderung – kann nur geschätzt werden; sie dürfte bei mehr als 10 Millionen € bis heute liegen. Frank Berberich von „Lettre“ klagte gegen das Konkurrenz-Unternehmen „Sinn und Form“ vor dem Landgericht Berlin und gewann – in erster Instanz.
Das Landgericht erkannte, dass Lettre zu recht die Nichtverbreitung der konkurrierenden Zeitschrift „Sinn und Form“ verlangen kann und stützte sich dabei auf § 8 Abs.3 Nr. 1 UWG. Das Gericht stellte fest, dass die Verbreitung von „Sinn und Form“ eine geschäftliche Handlung sei. Eine gesetzliche Ermächtigung der öffentlichen Hand, also des Staates, diese zu fördern, liege hier aber nicht vor. Das Bundesgesetz, mit dem die AdK als bundesunmittelbare Stiftung des öffentlichen Rechts geschaffen wurde, reiche nicht aus, auch nicht die interne Satzung. Das Gebot der Staatsferne sei eine Marktverhaltensregel gem. § 3 a UWG und ausgehend von Artikel 5 Abs. 1 S. 2 GG seien dem staatlichen Handeln auf dem Gebiet der Presse enge Grenzen gesetzt.
Dieses Gebot der Staatsferne hat die Bundesregierung mittels der AdK-Förderung mit Verbreitung ihrer Zeitschrift verletzt. Das ist ein Wort. Und wörtlich heißt es: „Die öffentliche Hand kann nicht einfach gesetzlich einen Rechtsraum schaffen, in dem die Grundrechte nicht oder nur eingeschränkt gelten.“
Es ist zu fragen, welche Kulturkompetenzen die Bundesregierung hat, welche Bundesressorts was fördern neben der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), deren Rechtsstatus nach der Geschäftsordnung (GGO) der Bundesregierung an sich eindeutig ist, sich jedoch nach erstaunlichem Selbstverständnis als Bundesressort (= Oberstes Bundesbehörde) ausgibt.
Die Diskussion über die Kulturkompetenzen der Bundesregierung ist auch geprägt durch das Selbstverständnis und politische Handeln der fünf Staatsministerinnen und Staatsminister beim Bundeskanzler, die für den Bereich der Kultur und Medien zuständig waren und sind. Dies waren seit 1998 der Verleger Michael Naumann (1990-2000), der ehemalige Kulturreferent der Landeshauptstadt München, Julian Nida-Rümelin (2001-2002), die Literaturwissenschaftlerin Christina Weiss (2002-2005), der Grund- und Realschullehrer Bernd Neumann aus Bremen (2005-2013), die Münsteraner Germanistin Monika Grütters (2013-2021) und seit 2021 die Pop-Musikmanagerin Claudia Roth.
Regierungsbeauftragte sind kein verfassungsrechtliches Nullum, sie sind Organe, die einem Bundesminister beigegegeben werden und diesen bei der Wahrnehmung von Regierungsaufgaben unterstützen und beraten, so die Auffassung der Bundesregierung (BT-Drs. 19/2270, S. 3). Die Rechtsgrundlage für die Errichtung und Tätigkeit, also ihre Beauftragung, ist in der Regel ein Kabinettsbeschluss oder Organisationserlass der Bundesregierung, manchmal auch ein Bundesgesetz, z.B. der Bundesdatenschutzbeauftragte.
Das Beauftragtenwesen der Bundesregierung hat mit über 42 Posten inzwischen überhandgenommen, das BMI hat nach § 21 Abs. 3 GGO eine Liste der Regierungsbeauftragten zu führen, in den Aufzählungen wird aber der bzw. die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien nicht genannt. Aus gutem Grund: BKM sieht sich als mehr, rechtlich und politisch. Bei Schaffung dieser Konstruktion im Bundeskanzleramt hatte man die massiven Vorbehalte der 16 Länder zu berücksichtigen, die auf ihre „Kulturhoheit“ pochten (Naumann machte sich darüber gerne lustig). Insbesondere der bayerische Staatsminister Hans Zehetmair war politisch sehr präsent und betonte, der Bund könne auf keinen Fall ein Bundesministerium für Kultur einrichten, dies sei mit der föderalen Ordnung und Kompetenzen der Länder (und somit auch der Kommunen) nicht vereinbar. Das wirkte.
Deshalb der Kunstgriff BKM. Aber die Staatsministerinnen und -minister beim Bundeskanzler litten politisch alle darunter, keine Bundesminister zu sein, eben nicht nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung (GGO) – ein Bundesgesetz – an den Kabinettsentscheidungen über Gesetzesvorhaben mit Sitz und Stimme mitwirken zu können; sie durften und dürfen „dabei“ sein, sich auch zu Wort melden, mehr aber nicht. Abstimmen über Gesetze dürfen nur Bundesminister.
Ihr Rechtsstatus ist im Gesetz über Parlamentarische Staatssekretäre festgeschrieben, ein Gesetz, das 1999 extra für Michael Naumann geändert wurde, denn die Staatsminister im Kanzleramt und AA mussten zuvor Mitglieder des Bundestages sein, das war Naumann nicht, also wurde das Gesetz umgestellt in „sollen“ Mitglieder des Bundestages sein. Und so – endlich – kam der Verleger an die Dienstbezeichnung „Staatsminister“, eine Regelung, die dann auch Christina Weiss und den Philosophie-Professor Nida-Rümelin – beide nicht Mitglieder des Bundestages – erreichte. Und alle waren sehr auf die korrekte Anrede bedacht.
BKM wurde 1998 durch Organisationserlass von Bundeskanzler Schröder durch Heraustrennung der Kulturabteilung K und der Unterabteilung Vt II – zuständig überwiegend für die Kulturförderung nach § 96 Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz (BVFG) – aus dem Bundesinnenministerium geschaffen mit einem Haushaltsvolumen von weit unter einer Milliarde (etwa bei 700 Millionen €, wobei der Hauptansatz auf den Bundeszuschuss an den deutschen Auslandssender, die Deutsche Welle, entfiel.
Wenn seit 1998 von den Förderungen des Bundes im Bereich der Kultur gesprochen wird, tritt in der Öffentlichkeit stets nur BKM in Erscheinung, so, als wenn andere Ressorts nicht auch kulturfördernd tätig würden.
Für das Jahr 2023 verkündete Staatsministerin Roth, dass nunmehr 2,39 Milliarden Euro zur Verfügung stünden, eine weitere Steigerung um 4 Prozent und betonte: „Mit diesem deutlichen Zuwachs im Kultur- und Medienetat des Bundes haben wir ein starkes Fundament geschaffen, die die Vielfalt der Kultur unseres Landes und die kulturelle Teilhabe für die ganze Gesellschaft zu ermöglichen und zu stärken“. Damit werde der „gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt.“
Das stetige Anwachsen der Förderansätze des bzw. der BKM wurde von Claudia Roth politisch flankiert mit der Forderung, im Grundgesetz eine Staatszielbestimmung zur Kulturförderung zu implementieren, darin einig mit ihre Vorgängerin Monika Grütters. Ende 2022, kurz vor Weihnachten, kam von ihr die bemerkenswerte Forderung: „Um ein Stück weit eine Immunität aufzubauen“, sei nun die Aufnahme der Kultur als Staatsziel ins Grundgesetz eine unmittelbare Aufgabe. Schon die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ hatte sich 2006 dazu geäußert, der Gesetzesentwurf der FDP („Der Staat schützt und fördert die Kultur“) blieb aber ebenso auf der Strecke wie die SPD-Initiative, wonach „der Staat ebenso die Kultur und den Sport“ schützen und fördern solle.
Die Staatszielforderung und der milliardenschwere Haushalt der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (sie ist eben nicht vom Bundestag (!) ernannte Bundesbeauftragte) kommt direkt aus dem Kanzleramt, ist also unmittelbar Sache von Kanzler Scholz. Den in den Medien verwendete Begriff „Staatsministerium“ gibt es in der Staatsorganisation des Bundes nicht. Also was ist die BKM denn nun?
Die KI-Auskunft, die sich per Algorithmus alles aus dem Internet herausgreift, muss nicht der Weisheit letzter Schluss sein, ist aber doch zur Kenntnis zu nehmen. Dort heißt es als Antwort auf die Frage, ob BKM ein Bundesressort für Kultur sei:
„Nein, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien ist kein eigenes Bundesressort für Kultur und Medien.“
So ist es, BKM ist eine Stabsstelle im Kanzleramt. Die Personalhoheit hat und somit zuständig für die Entlassung und Einstellung der Beamten und Angestellten ist der Kanzler. Dieser steht auch zu recht über dem BKM-Organigramm.
Dennoch lässt dieser verfassungsrechtlich die Zügel schleifen. Frau Roth ist ihm im Range einer Parlamentarischen Staatssekretärin zugeordnet, soll aber zugleich Chefin einer obersten Bundeshörde sein.
Zu den obersten Bundesbehörden zählen aber nur die Bundesministerien, das Bundeskanzleramt, das Bundespräsidialamt, der Bundesrechnungshof. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie bereits durch das Grundgesetz eingerichtet wurden. Das ist bei der BKM erkennbar nicht der Fall.
Die BKM regiert über eine Vielzahl von Institutionen, verfügt sogar über einen „Geschäftsbereich“ von sogenannten nachgeordneten Behörden, an sich typisch für Bundesressorts wie bei AA und BMI. Als der BKM nachgeordneten Behörden gehören das Bundesarchiv (in das der BStU eingegliedert wurde), das Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (den Namensbestandteil „der Deutschen“ hat Frau Roth gestrichen); die Kunstverwaltung des Bundes, das Bundesamt für Äußere Restitution.
Dies sind Bundesoberbehörden, die auch statusbegründend sein sollen im Rahmen der Staatsorganisation, vermögen dies aber nicht zu leisten, da das Grundgesetz zur BKM keine Regelungen enthält, die haushaltsmäßige Veranschlagung in zwei obersten Bundesbehörden – Kanzleramt und BMI – erfolgt ist und sich aus dem Prinzip der Normativität des Faktischen keine grundsätzliche Umkehrung der Regelung von Artikel 28 GG ergeben kann. Die anderen dem Kanzler zugeordneten „Beauftragten“ im Kanzleramt nehmen für sich übrigens nicht in Anspruch, oberste Bundesbehörden zu sein.
Das Agieren der BKM ist rechtlich nicht in Ordnung und man fragt sich, weshalb das die Öffentlichkeit und auch der Bundesrechnungshof bisher allzu vornehm übergangen haben.
„Alles meins“, scheint der Staat zu sagen. So auch bei der Villa Massimo.
Der Status der Villa Massimo, wo in Rom Künstler sowie Autoren und Musiker (m, w, d) mit Aufenthaltsstipendien staatlich gefördert werden, als unselbstständige Anstalt des öffentlichen Rechts im sogenannten Geschäftsbereich der BKM ist nämlich mehr als problematisch, denn auch hier handelt unmittelbar der Staat, was der Ordnungsfunktion des Grundgesetzes nach Artikel 5 GG zuwiderläuft. Denn wo der Staat in Sachen Kultur handelt, läuft Art 5 GG ins Leere, statuiert diese elementare Grundrechtsnorm doch vor allem ein Abwehrrecht gegen den Staat.
Kulturpolitik und Kulturförderung sind Gestaltungsaufgaben des Staates, also der primär zuständigen Länder (im Zusammenwirken mit den Kommunen) und des Bundes. In der Rechtswissenschaft besteht Einigkeit, dass sich aus dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes (u.a. in den Artikeln 20, 28 sowie 5, 14 und 6 GG) das Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland als „Kulturstaat“ ableiten lässt. Das Sozialstaatsprinzip gehört zu den Ewigkeitsgarantien des Artikel 79 Abs. 3 GG, die auch durch verfassungsändernde Mehrheiten vom Bundestag nicht abgeschafft werden können. Diesen Grundsätzen folgend ist der Begriff „Kulturstaat“ durch Artikel 35 Abs. 1 in den Einigungsvertrag zwischen beiden deutschen Staaten aufgenommen worden. Dabei hat man sich von der Struktur der staatlichen Kulturförderung der ehemaligen DDR leiten lassen, denn Artikel 5 GG statuiert in der liberalen Tradition ein Freiheitsgrundrecht der Bürger gegen staatliche Bevormundung. Nunmehr trat der Aspekt in der verfassungsrechtlichen Diskussion hinzu, dass es eine staatliche Gewährleistungspflicht eben dieser Freiheit gäbe mit der Folge, dass der Staat im Rahmen einer föderalen kooperativen Aufgabenwahrnehmung (zwischen Bund und Ländern) zu handeln habe. Die Länder sind nach Artikel 30 GG primär zuständig für die Kulturförderung, sie sind die Gewährleister, dass sich Kunst und Kultur souverän von staatlichem Einfluss darstellen und entwickeln können. Der Bund tritt hinzu und hat wenige originäre Aufgaben, auf die nun näher einzugehen ist.
In den Jahren nach der Deutschen Einheit vom 3. Oktober haben sich eine Vielzahl von Kooperations- und Verflechtungstatbeständen zwischen den Förderaktivitäten von Bund und Länder ergeben, die den immensen Gestaltungswillen der Bundesregierung -– geleitet von immer größer werdenden Haushaltsmitteln – zum Ausdruck bringen. Ein schleichender, zum Teil klandestiner Prozess hin zu einer dominanten Kultur-Steuerung des Bundes ist erkennbar. Der Bund macht zunehmend mit Macht (= Geld) in Kultur. Diese Entwicklung muss sich an den Vorgaben des Grundgesetzes messen lassen. Die Länder haben sich immer wieder zu Wort gemeldet und sehen sich von der Förderpraxis der Bundesregierung verfassungsrechtlich bedrängt, bisher ohne Erfolg. Geld regiert die Welt.
Das Kanzleramt ist durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) der Auffassung, zur Förderung von Einrichtungen und Vorhaben von „nationaler Bedeutung“ berechtigt zu sein, ein unbestimmter Rechtsterminus, den zu füllen sich der Bund kaum die Mühe gemacht hat, denn was ist das Nationale, das hier die Förderkompetenz ergeben soll, wo doch schon Begriffe wie „deutsch“, „Deutschland“ und „Nation“ keinen öffentlichen Diskurs erfahren, der jedoch endlich vom Bund initiiert werden sollte, damit wir im In- und Ausland an staatlicher Wahrnehmung und Begründung gewinnen.
BKM verweist für sein Kulturhandeln auf die Kompetenzzuweisungen der Artikel 32 und 87 GG und holt gerne aus der Truhe der Begriffe des Kanzleramtes zwei diffuse Termini, nämlich die Förderung „aus der Natur der Sache“ oder „kraft Sachzusammenhangs“.
Im Jahre 2006 wurde mit Blick auf die Bundeshauptstadt Berlin das Grundgesetz geändert. Artikel 22 Abs. 1 S.2 und 3 heißen nun: „Die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt ist Sache des Bundes. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.“ Der Begriff „Gesamtstaat“ im Grundgesetz erstaunt, noch mehr, dass das hier angekündigte Bundesgesetz, das Näheres regeln soll, immer noch nicht vorliegt. Aber klar ist: der Bund hat hier eine originäre Kompetenz, Kultur in Berlin zu fördern, ergänzt durch Artikel 2 Abs. 1 Einigungsvertrag in der Verbindung mit dem Bonn-Berlin-Gesetz, was Auswirkungen auch auf die Bundesstadt Bonn hat.
Unter dem Tenor „gesamtstaatliche Repräsentation“ werden Kulturkompetenzen des Bundes hergeleitet, ein unbestimmter Rechtsbegriff, unter dem und mit dem sich vieles verwirklichen lässt, Dokumentationsstätten deutscher Geschichte, das Grauens der NS-Diktatur und des SED-Staates gehören dazu wie andere immobile und mobile Zeugnisse deutscher Kulturgeschichte; aber das ist ein weites Feld. Sind eine Beethoven-Partitur, ein Buchmanuskript von Else Lasker-Schüler oder ein siedlungsgeschichtlich wichtiges Bauwerk im Ruhrgebiet einzubeziehen und welches Objekt nicht? Was sind die Maßstäbe und welchem Wandel sind diese unterworfen, welche Bevölkerungsgruppen werden einbezogen und was steht „für das Ganze“, also für Deutschland als „europäisch gewachsene Kulturnation“ (siehe § 4 Deutsche-Welle-Gesetz)? Der Bund entscheidet.
Rechtsverpflichtungen ergeben sich für den Bund auch aus zwei weiteren Passagen des Einigungsvertrages (EV). So heißt es in Artikel 35 Abs. 7 EV: „Zum Ausgleich der Auswirkungen der Teilung Deutschlands kann der Bund übergangsweise zur Förderung der kulturellen Infrastruktur einzelne kulturelle Maßnahmen und Einrichtungen in dem in Artikel 3 genannten Gebiet mitfinanzieren“. Das eröffnete indes keine dauerhafte Rechtskompetenz, der Bund darf (oder durfte? Der zeitliche Rahmen ist nicht genannt) „übergangsweise“ und nur einzelne Maßnahmen finanzieren zusammen in den fünf Ländern in Ostdeutschland (es heißt ja „mit“-finanzieren). Und 34 Jahre nach der Deutschen Einheit wird weiter übergangsweise finanziert, Dauerfinanzierung ist mithin längst Praxis.
Hinzu tritt das „Leuchtturm“-Programm nach Artikel 35 Abs. 4 EV, wonach zentrale Einrichtungen von DDR-Kultureinrichtungen vom Bund finanziert werden dürfen, ohne dass klar wäre, ob dies „übergangsweise“ oder auf Dauer geschehen darf.
Politisch sinnfällig ist, dass der Bund Förderkompetenz für Gedenkstätten, Kriegsgräber und Gräber anderer Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft hat. Diese ergibt sich aus dem Sozialstaatsprinzip und ist grundgesetzlich verankert in Artikel 74 Abs. 1 Nr. 10 a GG; in der Gedenkstättenkonzeption des Bundes (BT-Drs. 14/1569) wurde diese erfasst und vom Bundestag so beschlossen. Damit korreliert die Bundesverpflichtung zur Dokumentation, Nachforschung und Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter zusammen mit den Ländern und Kommunalen Spitzenverbänden in Umsetzung deren Gemeinsamen Erklärung mit dem Bund, gestützt auf Artikel 74 Abs.1 Nr.9 GG.
Zweifellos ist Teil der Außenpolitik die auswärtige Kulturpolitik. Diese verschränkt sich mit einigen Aspekten der inländischen Kulturförderung, da Kultur oft Auslandsbezug hat bzw. sich aus der deutschen Geschichte ergibt. Das AA fördert auf der Grundlage von Artikel 32 Abs.1 und 87 Abs. 1 GG und pflegt die Kulturbeziehungen zu außereuropäischen sowie europäischen, internationalen und supranationalen Organisationen. Oft ist unklar, warum BKM im Ausland fördert (Stichworte sind u.a.: Villa Massimo in Rom und Thomas Mann-Haus in den USA), aber das vom AA geförderte Goethe-Institut auch in Deutschland tätig ist.
Die Sicherung von Kulturgut und Geschichte ehemals deutscher Kulturlandschaften im östlichen Europa sowie deren Erforschung und Präsentation ist Aufgabe des Bundes im Zusammenwirken mit den Ländern, wie § 96 Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz (BVFG) ausweist und seine verfassungsrechtliche Stütze in Artikel 32 Abs. 1 GG findet. Diese Vorschrift aus dem BVFG hatte ihre kulturpolitische Wirkung zunächst im Hinblick auf die 12 Millionen Vertriebenen und Flüchtlinge und war auch von der Illusion getragen, in einem Friedensvertrag könnten die faktisch 1945 verlorenen Ostprovinzen ganz oder teilweise in die staatliche Obhut Deutschlands zurückfallen. Die völkerrechtliche Lage wurde erst 1990/91 durch den 2 plus 4-Vertrag und die Grenzanerkennungsverträge mit Polen und der damaligen Sowjetunion abschließend geklärt. Das Selbstverständnis Deutschlands als Kulturstaat erfordert es aber weiterhin, sich der Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa nachhaltig zuzuwenden; dies sagt ja auch § 96 BVFG, der vom Bewusstsein des ganzen deutschen Volkes spricht, somit von unseren historischen Wurzeln in Ostmitteleuropa.
Auf Artikel 32 Abs. 1 und 120 Abs. 1 GG gründet sich die Bundesverpflichtung zur Rückführung kriegsbedingt verbrachten Kulturgutes wie auch die Mitwirkung an der Rückgabe ausländischen Kulturbesitzes. Damit verbindet sich die Kompetenz des Bundes zur Ausführung des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes sowie für Maßnahmen im Rahmen der zivilen Verteidigung durch die Schutzverpflichtung nach dem Gesetz zur UN-Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (Haager Konvention).
Öffentlichkeitsrelevant fördert der Bund den deutschen Film sowie das Verlagswesen und Übersetzungsförderung, was sich auf Artikel 73 Nr.9 und 74 Abs.1 Nr. 11 GG stützt.
Aus dieser Übersicht wird klar, dass der Bund kaum originäre rechtliche Kulturkompetenzen besitzt. Die wachsende Größe der Kulturaufwendungen der Bundesregierung allein durch BKM muss umso mehr erstaunen, als sie in einigen Bereichen rechtlich diffus bis frei schwebend sind.
Dieser Befund ist noch verstärkt, wenn man sich vor Augen führt, was die Bundesministerien, also die tatsächlichen obersten Bundesbehörden an Kunst fördern. Einen Überblick zu gewinnen, ist kaum möglich und offensichtlich ist Transparenz nicht gewollt. Der Bundesrechnungshof hat bereits 2007 eine klare Zuordnung der Förderfelder des Bundes gefordert und zudem eine entsprechende Darstellung zu den Ländern.
Auf Bundesseite sind fördernd tätig das Auswärtige Amt durch die Abteilung für Kultur- und Bildungspolitik (wozu u.a. Goethe-Institut, Institut für Auslandsbeziehungen, DAAD, Deutsches Archäologisches Institut, UNESCO-Kommission, Alexander von Humboldt-Stiftung gehören sowie auch das Haus der Kulturen der Welt, das aber in Berlin steht, also eher systemwidrig vom AA gefördert wird). Hinzu kommen beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zahlreiche Institutionen zu den Geisteswissenschaften – die Historischen Institute im Ausland –, der Künstlerausbildung, der kulturellen Bildung und der kulturellen Integration von Migranten (auch durch BMI). Das Justizministerium befasst sich mit dem Urheberrecht, das Bundeswirtschaftsministerium mit der wirtschaftlichen Filmförderung, das Finanzressort mit dem Spenden- und Stiftungsrecht, und auch das Verteidigungsministerium fördert Kultur durch Spezialmuseen, bei denen das Militärhistorische Museum in Dresden heraussticht. Dass auch das Innenressort kulturfördernd tätig ist u.a. im Bereich „Heimat“ sowie Kirchen- und Religionsgemeinschaften sowie im Sport, ist zum Teil bekannt, zum Teil der Wahrnehmung entglitten.
Wenn die Bundesregierung den sogenannten „weiten Kulturbegriff“ für maßgeblich hält, sollte also mit diesem Terminus für jedes Ressort genau erfasst werden, was institutionell und im Projektwege gefördert wird. Dies alles sollte dann in einen Bericht der Bundesregierung zur Förderung von Kulturmaßnahmen im In- und Ausland zusammengetragen und dem Bundestag mit Zahlen, Daten und rechtlicher Begründung vorgelegt werden.
Aber daran denkt in der Bundesregierung kaum einer, und entsprechende Initiativen des Deutschen Bundestages sind nicht bekannt. Dies ist erstaunlich und kann im Hinblick auf die Darstellungen der Enquete-Kommission von 2006 nicht als obsolet betrachtet werden, dies umso mehr, wenn eine kohärente Bundespolitik bei der Kulturförderung angestrebt wird.
Eine solche wird von der Stabstelle Kultur im Kanzleramt, der BKM, nicht geleistet, diese spielt im Konzert mit den gewichtigen Bundesressorts kaum eine Rolle und kommt aus dem Status der Geduldeten kaum heraus. Dies ist ein Manko, das sich verfassungsrechtlich herleitet, nämlich aus der Tatsache, dass grundsätzlich die Länder und nicht der Bund für Kultur zuständig sind und diese deshalb kein „Bundeskulturministerium“ dulden können und wollen.
Wie rechtlich problematisch die Zuwendungsbedingungen zwischen BKM und den Institutionen der bundesunmittelbaren und bundesmittelbaren Zuwendungsempfänger (ein obrigkeitlicher Begriff, der aber sehr sprechend ist) sind, zeigt sich an Institutionen, die mittels öffentlich-rechtlicher Stiftungen gefördert werden, wie die eingangs erörterte Akademie der Künste und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK). Beide wurden durch Bundesgesetz geschaffen. Die dort tätigen Personen sind Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, die den Maßgaben des Beamtenrechts unterworfen sind. Der Präsident der SPK wird gar vom Bundespräsidenten ernannt. Wer in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis steht – ob als Tarifbeschäftigter oder Beamter – ist dem öffentlichen Dienstrecht unterstellt und lebt und arbeitet in einem besonderen Treueverhältnis zum Staat. Dies schränkt notwendigerweise den Freiheitsraum des Artikels 5 GG ein, bis auf null. Denn diese Grundrechtsnorm statuiert ein Abwehrrecht der Kunst und Wissenschaft gegen den Zugriff des Staates. Ist die betreffende Person aber selbst Teil der staatlichen Verwaltung, läuft die Schutzwirkung des Grundrechts in Leere. Die Staatstreue geht vor.
Die nach Berliner Landesrecht errichtete privatrechtliche Stiftung zur Errichtung und Betrieb des Humboldt-Forums, des Berliner Stadtschlosses steht vor besonderen Problemen in Konkurrenz zur staatlichen SPK-Stiftung. Sie wird institutionell von BKM und dem BMI gefördert und soll in Kooperation mit der Humboldt-Universität, dem Berliner Stadtmuseum und insbesondere der SPK und der von dieser getragenen sogenannten Staatlichen (!) Museen zur außereuropäischen Kultur und Geschichte (Ethnologisches Museum und Museum für asiatische Kunst) in der seit 2009 als „Stiftung Berliner Schloss-Humboldt-Forum“ firmierende Bundeskultureinrichtung tätig sein. Die privatrechtliche Schloss-Stiftung steht in Konkurrenz zur öffentlich-rechtlichen Stiftung SPK. Das hat Auswirkungen nicht nur organisatorisch, sondern auch im personal-rechtlichen Status der SPK-Beamten und öffentlich-rechtlichen Tarifbeschäftigen, die nun im Humboldt-Forum arbeiten. Und dieses Faktum berührt auch die Begrenzungen des Artikels 5 GG und somit die Frage, ob er seine Schutzwirkung verloren hat, dies umso mehr, als das Forum unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten steht, womit die privatrechtliche Stiftung – zumindest politisch – in staatliche Höhen emporgehoben wird. Rechtlich eine Grauzone! Drei Bundesressorts sowie BKM entsenden je einen Vertreter in den Stiftungsrat, der Bundestag fünf Mitglieder, mithin neun von 15.
Die Akademie der Künste (AdK) zu Berlin hat eine lange Geschichte, sie geht auf den Preußenkönig Friedrich I. zurück, der sie 1696 noch als Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg gründete, um die Idee der Gelehrtengesellschaft zu festigen. Die nach dem Untergang des Kaiserreiches von 1926 bis 1945 bestehende „Preußische Akademie der Künste“ wurde von 1950 bis 1993 als „Deutsche Akademie der Künste“ bzw. ab 1972 als „Akademie der Künste der DDR“ fortgesetzt. In Berlin-West bestand von 1954 bis 1993 die „Akademie der Künste“. Aus den beiden Berliner Institutionen ging dann 1993 die heutige Akademie hervor. Die AdK hat seitdem den Rechtsstatus einer öffentlich-rechtlichen Stiftung; das notwendige Bundesgesetz vom 9.5.2005 ist zum 1.1.2006 in Kraft gesetzt worden. Im Verwaltungsrat hat der Bund die Mehrheit.
Die von der AdK herausgegebene und finanzierte Zeitschrift „Sinn und Form“ erscheint alle zwei Monate mit einer Auflage von 3.000 Exemplaren. Sie wurde in Berlin (Ost) 1949 gegründet, vom Gründungsjahr bis 1962 war der bedeutende Lyriker Peter Huchel der Herausgeber.
Die staatliche Dauerfinanzierung dieser Zeitschrift hat zu recht die frei finanzierte Zeitschrift Lette International aus Wettbewerbsgründen auf den Plan gerufen. Während BKM deren vierteljährliches Erscheinen als „Presseorgan“ definiert, das zu fördern dem Staat aus dem Gebot der Staatsferne verboten sei, wird die zweimonatliche Zeitschrift mit fast gleicher Zielsetzung bundesstaatlich finanziert und kein Problem mit der Staatsferne erkannt. Dies grenzt an Willkür und bedarf im Hinblick auf andere Presseorgane, die vom Bund gefördert werden, einer komplexen Untersuchung und zwar unter Einschluss der staatlich organisierten Verlagsförderung, institutionell und im Projektwege.
Das erfasst das Grundproblem, inwieweit der Staat berechtigt ist, selbst – unmittelbar und/oder mittelbar – als in Kulturdingen Handelnder tätig zu werden. Es hat sich eine Art Kulturkonzern entwickelt, den die Süddeutsche Zeitung anlässlich der 25-Jahrfeier seit Gründung der BKM kritisch angesprochen hat. Die AdK bekommt jährlich 33, 832 Millionen € an Bundeszuwendung, hat eine lange Geschichte, muss sich aber wie alle anderen Zuwendungsempfänger der Bundesregierung und besonders der BKM mit über hundert Institutionen in seinem Portfolio an die föderale sowie grundgesetzlich gebotene Staatsferne halten.
Staatsferne? Kultur ist schön, macht aber viel Arbeit, wusste Karl Valentin. Und es macht viel Arbeit, die Bundeskulturförderung demokratisch transparent und rechtsstaatlich gesichert zu machen.
Der Rechtsstreit von Lettre International gegen die AdK sollte ermutigen, damit anzufangen – Bundestag, Bundesregierung, Bundesrechnungshof – und die publizistische Öffentlichkeit, die um ihre Nischen fürchtet.
Erstellungsdatum: 21.10.2024