Er verkaufte sieben Millionen Alben und war mit seinen Filmrollen sehr erfolgreich. Und doch oder vielleicht deshalb: Kris Kristofferson (1936-2024) war der wandelnde Widerspruch, wie es in einem seiner besten Lieder hieß. Musik drehte sich immer schon um Sex, auch im Country. Aber die freizügige, bekifft-unbeschwerte Spielart hielt in Nashville erst mit dem Texaner Einzug. Ein Nachruf auf den Songwriter und Schauspieler von Martin Wimmer.
Das erste Album nahm er auf, da war er schon Mitte Dreißig. Kein Wunder, dass seine Lieder schnell auch Brücken schlugen in andere erwachsene musikalische Welten: Frank Sinatra, Dean Martin, Sammy Davis Jr., Elvis und viele andere Pop-Größen bedienten sich früh aus seinem Repertoire. Auch für die Soul-Welt erwiesen sich seine Balladen als anschlussfähig: Percy Sledge und Wilson Pickett, Richie Havens oder Gladys Knight griffen zu. Die Mega-Hits hatten Janis Joplin (Me And Bobby McGee), Johnny Cash (Sunday Morning Coming Down), Sammi Smith (Help Me Make It Through The Night) und Ray Price (For The Good Times). Nur ein Erfolg als Interpret sollte sich für den schönen Mann mit der nicht recht tonsicheren Stimme nicht einstellen. Zwei heute vergessene Duette mit Ehefrau Rita Coolidge brachten ihm Grammys ein. Ansonsten floppten die eigenen Singles weitgehend durch die Siebziger.
Don't look so sad
I know it's over
But life goes on
And this old world will keep on turning
Let's just be glad
We had some time to spend together
Doch da war der Einzelgänger, der sich nie vereinnahmen ließ, schon längst über seinen Karrierestart im Show Business hinausgewachsen. Der Schauspieler überstrahlte den Songwriter. Dennis Hopper gab ihm die erste Rolle, es folgten namhafte Regisseure wie Peckinpah, Scorsese, Cimino, Pakula, Burton – und Schwarzenegger. Die erfolgreichen Alben und Touren als Teil der Supergroup The Highwaymen wurden angereichert mit einem lauen TV-Remake des Western-Klassikers Stagecoach, in der die vier das Country-Rat-Pack gaben. Bis ins hohe Alter war das markante, bärtige Gesicht im Kino zu sehen, zuletzt etwa in der Blade-Trilogie oder in der Verfilmung des Lebens von Blaze Foley durch Ethan Hawke (2018).
In Convoy war er das erste Mal eine unbezwingbare moralische Instanz. Und er bekam Ali MacGraw, die schönste Frau der Welt. Ja, es gab gute Gründe, sich Kris Kristofferson zum Vorbild zu nehmen. Ende der 80er war Kristofferson da, wo auch Peter Gabriel mit „Biko“ oder die Simple Minds mit „Mandela Day“ waren. Lieder über Mahatma Gandhi oder die Sandinisten in Nicaragua von den beiden grandiosen politischen Alben Repossessed und Third World Warrior positionierten ihn am progressivsten Rand der USA. Das war für einen Country-Sänger dieser Zeit mindestens so unerhört wie seine Songs über Anhalter und ihre dirty red bandanas in den 60ern. Dieses Image kulminierte 1992. Die Stelle auf dem selbst mitgeschnittenen VHS-Video des Dylan-Tributes, als der Mittfünfziger der halb so alten Sinead O‘Connor sein „Don‘t let the bastards get you down“ zuflüsterte, als der Saal diese grausam niederbuhte, hab ich damals jedem gezeigt, der je vor diesem Fernseher saß. Das war Texas, wie ich es verstand. Männlich, zärtlich, poetisch, links. Niemand verwob Politik und Country, Highway und Hollywood so wie er. Dylan war auch politisch, aber ein Womanizer? Townes Van Zandt war auch ein trinkender Philosoph, aber politisch? Johnny Cash und Willie Nelson waren auch Country, aber einen Golden Globe als Best Actor in A Musical (für A Star Is Born)?
Zweimal habe ich ihn in München live gesehen, herausragend mit den Highwaymen, ein bitterer Abend war es in irgendeiner Halle draußen auf dem alten Flughafengelände in Riem, da traf er keinen Ton. Er war halt schon eher ein Songwriter denn ein Singer. Von seinen eigenen Platten waren viele, naja, medioker. Aber auch im Spätwerk sind funkelnde Perlen wie „A Moment Of Forever“ zu finden, eines der schönsten Liebeslieder, die ich kenne. Musikalisch kam er mir am nächsten in schmutzigen Southern Soul- und Mitgrölnummern wie „Don‘t Cuss The Fiddle“ und „The Pilgrim / Chapter 33“.
Aus letzterem Song stammen auch die Zeilen, mit denen er sich und vielen seiner KollegInnen ein viel zitiertes Selbstportrait gewidmet hat:
He's a poet, he's a picker
He's a prophet, he's a pusher
He's a pilgrim and a preacher
And a problem when he's stoned
He's a walkin' contradiction, partly truth and partly fiction
Im Intro zählt er eine ganze Garde von Freunden auf, die er damit unsterblich gemacht hat: Von Chris Gantry über Funky Donnie Fritts bis Ramblin Jack Elliott. Songwriter gibt es viele. Nur wenn einer, bei dem’s grad läuft, einem noch Unerkannten zum richtigen Zeitpunkt vertraut, ihm uneitel gegen alle Wahrscheinlichkeit die Tür öffnet, dann kann was Großes draus entstehen. Kristofferson förderte viele andere Künstler. Er entdeckte John Prine, widmete ihm ein Lied, finanzierte das erste Album von Billy Joe Shaver. „If You Don‘t Like Hank Williams (You Can Kiss My Ass)“ – das war die Attitüde, mit der er den späteren Outlaws den Weg bereitete.
Zu seiner eigenen Diskografie: Wie fast immer gilt, am Besten von allen Alben die Finger zu lassen, in deren Titel „Demos“, „Sessions“ oder „Live“ vorkommt. Wer sich für ein Album entscheiden muss, nimmt das Debut oder eine Best Of aus den Siebzigern. Wer drei schafft, nimmt noch Third World Warrior und A Moment Of Forever dazu. Streaming-Geheimtipp ist The Bottom Line Archive Series, ein sensationeller Mitschnitt eines intimen, moderierten Stelldicheins mit Lou Reed.
Die Tribute-Alben: Willie Nelson Sings Kristofferson – der unverzichtbare Klassiker. The Life And Songs of Kris Kristofferson – ein eher langweiliger Konzertmitschnitt, aber mit Starbesetzung (Alison Krauss, Rosanne Cash, Emmylou Harris…). Nothing Left To Lose – eine Hommage von Indiebands der Zeit (Calexico, Souled American, The Handsome Family…), die den Nummern Neues abgewannen, je nach Geschmack, weil oder wenn auch teils arg experimentell. Die goldene Mitte wäre Don‘t Let The Bastards Get You Down (Chuck Prophet, Kelly Hogan, Chip Taylor…). Ein besonders lässiger Tribute gelang der Düsseldorfer Rockabilly-Band Rocket To Stardom (2013), die Kristofferson zur Belohnung live auf Tour begleiten durfte. Daneben gibt es unzählige Folkies, die Tributealben einspielten, besonders geschmackvoll z. B. der Niederländer Dick van Altena.
Was bleibt? Wer Kristofferson noch als Zeitgenossen erlebte, für den werden seine strahlende Persönlichkeit, sein rebellisches Charisma, sein einprägsames Äußeres ein zentrales Element der Erinnerung bleiben. In der Fachwelt wird man schreiben über seine originäre Leistung, in den späten Sechzigern explizite Liedtexte über Sex, Drogen und den Hippie-Lifestyle in Nashville durchgesetzt zu haben. Und solange Menschen um Lagerfeuer sitzen, wird einer anfangen zu singen: „Take the ribbon from your hair…“, „Busted flat in Baton Rouge…“
Noch ein persönliches PS:
DJ Borderlord – unter diesem Namen habe ich unzählige Male Musik aufgelegt, vom Blauen Haus in Tüßling bis zum Literaturhaus in Frankfurt. Einige meiner Bücher erschienen im Selbstverlag „The Borderlord Books“. „Border Lord“, das war der Titelsong von Kris Kristoffersons drittem Album:
When you're headin' for the border, lord
You're bound to cross the line
Good lookin' women every time you stumble
Waitin' there to catch you when you fall
Das hat mir immer sehr eingeleuchtet und tut es immer noch. RIP, Kris Kristofferson!
Erstellungsdatum: 03.10.2024