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Circus Roncalli mit neuem Programm: ARTistART

Der wundervollste Circus der Welt

Walter H. Krämer


Roncalli-Plakat. Foto Walter H. Krämer

Hereinspaziert! Der klassische Circus lebt von Komik und Gefahr. Und da der Circus Roncalli, der noch bis zum 29. Juni in Frankfurt am Main gastiert, keine Tiere mit sich führt, geht nicht nur die Komik, sondern auch die Gefahr vom Menschen aus. Walter H. Krämer, der das neue Programm „ARTistART“ besucht hat, schreibt über den Roncalli-Gründer Bernhard Paul, der sein Leben dem Circus gewidmet hat, und über Details aus der Manege.

 

Das mit den Tieren gehört der Vergangenheit an. Jetzt setzt der Circus Roncalli ganz auf Artistik und seine Clowns und begeistert mit einer Hommage an die Kunstszene.

Während eines Gastspiels des Circus Roncalli 1988 in der Alten Oper, schaute der US-amerikanische Künstler Keith Haring bei Roncalli-Gründer Bernhard Paul vorbei und bemalte kurzerhand dessen Zylinderhut. An diesen weißen Hut mit der Filzstiftmalerei und die Begegnung mit dem Cartoonisten erinnert sich Paul jetzt nach 40 Jahren gerne wieder, denn der Circus Roncalli gastiert noch bis zum 29. Juni erneut in der Stadt am Main. Und bei dieser neuen Show - „ARTistART“ – kommt auch der besagte weiße Zylinder vor.

Zweieinhalb Stunden Zirkusluft schnuppern und Kunst genießen, wenn die Artist*innen „einen Bogen zwischen dem Zirkus und der Kunst schlagen“ – so jedenfalls ist es vom Roncalli-Gründer Bernhard Paul angedacht. Er habe Musik gehört, die Augen geschlossen und dabei die einzelnen Nummern vor seinem inneren Auge gesehen.

Lili Paul-Roncalli, die Tochter des Zirkusgründers, ist eine der beteiligten Artistinnen und bekannt dafür, dass sie als „Schlangenmensch“ ihren Körper auf akrobatische Weise verbiegen kann. Für ihren Auftritt wurde das Motiv der schmelzenden Uhr von Salvador Dali überdimensional nachgebaut, sodass sich die 27-jährige Paul-Roncalli darauf bewegen und verbiegen kann.

Um die Zukunft des Zirkus sollte sich Bernhard Paul wenig sorgen, denn die Paul-Roncalli-Erb*innen sind bereit, in einem „schleichenden Übergang“ die Führung zu übernehmen, und wollen weiterhin im Zirkus arbeiten und dabeibleiben und haben sich bereits jetzt in verschiedene Bereiche aufgeteilt. Aber an Ruhestand denkt der Gründer noch lange nicht und plant selbst noch an der Zukunft des Unternehmens. Ein Traum dabei ist, einmal einen fest verankerten Zirkus zu betreiben.

„Nur wer brennt, kann entzünden!“ war und ist ein Lebensmotto von Roncalli-Gründer Bernhard Paul. Und Überzeugungskraft brauchte es auch, bis 1976 erstmals ein Circus unter dem Namen Roncalli das Licht der Manege erblickte. Anfangs von den etablierten Zirkusunternehmen belächelt, war Circus Roncalli bald ein ernstzunehmender Konkurrent für die Zirkusidole seiner Kindheit Althoff, Barum und Krone. Und sie wehrten sich mit Intrigen, Verrat und öffentliche Demontage gegen den neuen „Player“. Und so steht der Traum von Bernhard Paul, einen eigenen Zirkus zu etablieren, immer wieder auf der Kippe. Doch zunächst gelingt es Bernhard Paul gegen alle Widerstände seinen Traum von Roncalli wahr werden zu lassen. Dank und durch die Unterstützung des Schokoladenfabrik-Erben und Schlagerstars André Heller. Als André Heller den Zirkus nach Zerwürfnissen verlässt und die Zeitungen schreiben „Die Poesie ist tot“ leeren sich die Zuschauer*innenreihen, und Paul steht vor dem finanziellen Ruin mit einem Berg voller Schulden.

Doch Bernhard Paul gibt nicht auf. Er ist mutig und kämpft erfolgreich gegen alle Widrigkeiten, denn seinen Traum vom eigenen Zirkus lässt er sich nicht zerstören. Bei einer Premiere im Jahr 1980 tritt er vor sein Publikum mit den Worten: „Ich bin der, der ins Gefängnis geht, wenn das hier schief geht!“

Aber es geht nicht schief, und Bernhard Paul feiert nicht nur als Zirkusdirektor Erfolge, sondern auch als Clown Zippo mit seinen Partnern Angelo Munoz und Francesco Caroli in „Bienchen gib mir Honig“, eine legendäre Nummer der drei Clowns. Daß einer seiner Partner ihm die Nummer „klaut“ und anderswo vermarket – sie also im Circus Roncalli nicht mehr gezeigt werden kann – schmerzt und enttäuscht ihn sehr – aber haut ihn nicht um.

Mit Kreativität, einer gehörigen Portion Schlitzohrigkeit und eisernem Willen kämpft Paul für die Wiederauferstehung von Roncalli. Während die neue Form des Zirkus von Prominenten und Publikum gefeiert wird und schließlich sogar als erster westlicher Zirkus der Welt nach Moskau eingeladen wird, explodiert erst die Konkurrenz – und dann Tschernobyl. Die Reaktorkatastrophe bringt das erste internationale Gastspiel von Roncalli beinahe zum Scheitern.

Doch aus dem Wanderzirkus der Anfangszeit wird eine florierende Traumfabrik, die im Jahr 2025 mit Poesie und Magie und dem Programm „ARTistART“ im laut Andy Warhol „wundervollsten Circus der Welt“ die Zuschauer*innen verzaubern kann.

Und der Ankündigungstext der Show auf der Webseite des Circus weckt Erwartungen:

„Mit „ARTistART“ bringt das Circus-Theater-Roncalli die Kunst großer Künstler zurück in die Manege. Inspiriert von Keith Haring, Frida Kahlo, Picasso oder Henri de Toulouse-Lautrec verschmelzen deren weltbekannte Motive mit den artistischen Darbietungen zu einem einzigartigen Gesamtkunstwerk. Poetisch inszeniert im nostalgischen Circuszelt und nach wie vor „tierfrei“.


Circus Roncalli. Foto: Walter H. Krämer

 

Schon von weitem leuchtet das Zirkuszelt in den für Roncalli typischen Farben blau und weiß. Gewohnt traumhaft ist das gesamte Ambiente. Die nostalgische Circusstadt ist auf Hochglanz poliert. Aus einer Jahrmarktsorgel klingt Musik und ist ein Beispiel dafür, dass es dem Gründer von Roncalli ein Anliegen ist, die Tradition des Circus zu bewahren, den Zuschauer*innen davon einen Einblick zu geben. Dafür steht die nostalgische Architektur, die restaurierten alten Circuswagen, blattvergoldete Ornamente, Jugendstilfenster, verzierte Messingkandelaber und die tausend Glühbirnen rund um das Chapiteau.

Vor dem Einlass lädt das rollende Café zum Besuch, nach der Ticketkontrolle nimmt einen die Roncalli-Magie dann vollends gefangen. Die Artist*innen sind zur Begrüßung gekommen. Färben einem auf Wunsch die Nasenspitze rot, lassen Konfetti regnen oder man darf in einem Zylinder mit Schokobonbons greifen. Stellwände und Schaukästen dokumentieren die Geschichte des Circus und einzelner Künstler*innen. Das Vorzelt hält außerdem kulinarische Genüsse sowie eine Fülle an Souvenirs bereit. Musik, begleitet von einer Sängerin, erklingt und stimmt einen auf den Abend ein, ehe man dann das Chapiteau betritt und überwältigt ist von der Größe und der liebevollen Ausgestaltung. Im prächtigen Chapiteau herrscht schon beim Einlass eine wunderbare Atmosphäre. Sturmstangen und gepolsterte Holzbänke sind dabei Teil des historischen Konzepts.

Über dem Artisteneingang ist das Roncalli Royal Orchester platziert und sorgt unter der Leitung von Georg Pommer für den Sound, begleitet die die einzelnen Nummern musikalisch und setzt dabei auch eigene Akzente.

Das Ensemble kommt zu einem bunten, lebhaften Charivari herein. Sogar ein kleiner Circuswagen mit Zugmaschine davor, ist dabei. Es wird getanzt, jongliert, Luftakrobatik zelebriert und einfach ausgelassen gefeiert. Den Schwung daraus darf Noel Aguilar direkt aufgreifen. Der junge Jongleur aus Mexiko im Torero Outfit – die Oper Carmen lässt grüßen – macht seine Sache mit jugendlichem Charme ganz ausgezeichnet. Zunächst arbeitet er mit bis zu sechs Keulen, dann mit Tischtennisbällen, die er mit dem Mund in die Luft schnalzt und wieder auffängt. Bei der rasanten Jonglage von Strohhüten bezieht er einzelne Zuschauer ein.

Die nächsten Minuten sind Frida Kahlo gewidmet. Die Kostüme des Balletts sind bei diesem Auftritt im Stil der Werke der mexikanischen Malerin gehalten. Alisa Shehter verkörpert die Künstlerin sogar in Gänze, wenn sie ihre traumhafte Kür am Luftring zeigt. Bei dieser verzaubert sie uns mit Gleichgewichtskunst, der Biegsamkeit ihres Körpers und einer Portion Wagemut. Ein wahrer Genuss.

Andrey Romanovski, ein hochgewachsene Klischnigger, geht bei jedem Schritt in den Querspagat. Er trägt den Zylinder, den Keith Haring einst mit seinen ikonischen Pop-Art-Figuren bemalt hat, zwängt sich durch eine zylinderartige Röhre und macht dabei dem seltenen Genre Klischnigg, bei dem der Körper über das normale Maß nach hinten verbogen wird, alle Ehre.

Als Kunstvermittler führt Gensi seine beiden Clownskollegen durch ein Museum. Zu besichtigen gibt es dabei die Statuen von Charlie Chaplin, einem Samurai und einem Pharao. Nachdem die Gäste die Ausstellung verlassen haben, macht sich ein Einbrecher an den Exponaten zu schaffen, schießt etwa Selfies mit Charlie Chaplin. Die drei Figuren erwachen zum Leben und zahlen es dem Einbrecher mit roboterhaften Bewegungen heim.


Circus Roncalli. Foto: Walter H. Krämer

 

Pariser Atmosphäre entsteht mit Cancan und einem Hauch des legendären Moulin Rouge Dieses liegt im Künstlerviertel Montmartre. Maler stehen an ihren Staffeleien, Köche sind unterwegs, feine Damen flanieren durch die Szenerie, und Gendarmen sorgen für Ordnung. Sängerin Nathalie Bru interpretiert Chansons. Ebenfalls dabei ist Henri de Toulouse-Lautrec, dem diese Inszenierung gewidmet ist. Verkörpert wird der französische Maler von Prof. Wacko. Dieser wiederum ist Trampolin-Artist und zeigt waghalsige Sprünge rund um das Trampolin als Slapstick – Nummern. Hier ist das vermeintliche Scheitern und Stürzen Programm und strapaziert die Lachmuskeln der Zuschauer*innen.

 „Magic in Wonderland“ steht auf der Dampflok, mit der Alexandra Saabel hereinfährt und das Publikum in eine Welt voller Magie entführt. Menschen verschwinden auf wundersame Weise unter Tüchern oder aus Käfigen und tauchen genauso überraschend wieder auf. Der Körper einer Akteurin wird zusammengestaucht, um wenige Augenblicke später wieder in voller Lebensgröße dazustehen. Einzigartig werden diese Zaubereien durch die fantastischen Kostüme, allesamt Kreationen von Alexandra Saabel, die an Figuren aus den Zauberwelten und Fantasy-Filmen erinnern.

Dmytro Turkeiev begehrt die Frau in einem Gemälde und siehe da, sein Traum wird wahr, und die Angebetete durchbricht die Leinwand und steht aus Fleisch und Blut vor ihm. Es handelt sich um seine Partnerin Julia Galenchyk und als Duo Turkeev erzählen sie eine poetisch-romantische Geschichte zweier Liebenden mit traumhafter Akrobatik an den Strapaten hoch oben unter der Circuskuppel. Sie zeigen gemeinsam ihre anspruchsvollen Tricks in der Luft, oder Julia schwebt alleine über der Manege – etwa im Spagat oder bei Drehungen um die eigene Achse, bei der sie mit einem Fuß in einer Schlaufe hängt und dabei einen Glitterwirbel erzeugt. Weltklasse.


Circus Roncalli. Foto: Walter H. Krämer

 

Die drei Musikclowns Gensi, Matute und Canutito Jr. haben von Anfang an das Publikum fest im Griff. Hier wird mit den Menschen gelacht und nicht über sie. Immer auch eine Gratwanderung, wenn man mit dem Publikum spielt oder einzelne Zuschauer*innen in eine Performance einbezieht. Hier gelingt es auf einfühlsame Weise, und ehe es mit der „musica classico“ klappt, gibt es noch viel zu tun und zu lachen.

Zum Schluss geht es mit dem sympathischen Zhenyu Li hoch hinaus. Er ist ein Meister der Handstandakrobatik. „High Crutches“ nennen sich die ineinander gesteckten Handstäbe, die letztendlich einen schwankenden Turm ergeben. Darauf hält sich Zhenyu Li in den verschiedensten Varianten im Gleichgewicht, immer mit einem Lächeln auf den Lippen.

Nicht alle Artist*innen und Nummern sind hier aufgeführt – deshalb bleiben Sie neugierig und lassen sich überraschen.

Nach einer Liebesbezeugung an Frankfurt fällt der letzte Vorhang, und das Publikum applaudiert minutenlang stehend.

Alles in allem eine gelungene Vorstellung, die begeistern kann und die zeigt, daß Zirkus auch ohne Tiere funktioniert – und wenn dann doch, dürfen Elefant, Elefantenbaby und Pferde als Hologramm über das Manegenrund flimmern – und daß mit der Zeit gehen auch heißen kann, auf Themen wie Nachhaltigkeit und fleischlose Ernährung zu setzten ohne dabei die Traditionen des Circus außen vor zu lassen.

Begeisterung kommt auch auf, weil man sich wohl fühlen kann in diesem Circus und das Gefühl hat, man ist herzlich willkommen, und die Artist*innen geben ihr Bestes – manchmal auch unter Lebensgefahr.

Auch das Einbeziehen von bildender Kunst und deren Künstler*innen geht auf und schafft so manchen Wiedererkennungswert. Werke der Kunst und Kunstgeschichte werden verbunden mit den poetischen und artistischen Elementen der Roncalli Welt. So entsteht letztlich der Eindruck, dass die Verbindung von Circus und Kunst geeignet ist, für einige Stunden die Lebenswirklichkeiten außen vor zu lassen, Perspektiven zu wechseln und den Blick zu weiten. Was will man mehr in diesen krisengeschüttelten Zeiten.

 

 

 

Circus Roncalli gastiert noch bis zum 29. Juni in Frankfurt am Ratsweg: Siehe TEXTOR-Kulturtipp

Programmhinweis:

„Roncalli - Macht der Manege“ - Die dreiteilige Dokumentation erzählt, wie Bernhard Paul eine der beliebtesten deutschen Entertainment-Marken aufgebaut hat: eine Reise, die vor 50 Jahren mit einem Traum vom Zirkus beginnt und in zahllosen Kämpfen hinter der Manege gipfelt. Die dreiteilige Serie steht noch bis zum 18. Juni in der ARD-Mediathek.

https://www.ardmediathek.de/serie/roncalli-macht-der-manege/staffel-1/Y3JpZDovL25kci5kZS81MDYy/1

 

Erstellungsdatum: 12.06.2025