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Aus dem Notizbuch

Die persönliche Urne

Eldad Stobezki


Urne aus Keramik im Rahmen der Azul Glorieta. Parque de María Luisa, Andalusien, Spanien. Foto: CarlosVdeHabsburgo. wikimedia commons

Spirituosen. So nennt man geistige Getränke. Und tatsächlich gesellt sich auch der Weingeist, wenn er sich nicht als Gespenst erweist, gerne zu anderen geistigen Medien wie den Büchern. Eldad Stobezkis vagabundierende Notizen streifen Sicherungskopien, das messerscharfe Maß, den Maulbeerbaum, selbstgetöpferte Urnen, den Tod von Schmetterlingen und Menschen.

 

„Das einzig Beständige ist die Veränderung“ zitierte meine israelische Freundin Dassy Heraklit von Ephesos und erzählte mir am Telefon, dass sie zurzeit bei Freunden in Portugal ist. Das Männerpaar, beide Israelis und Töpfer von Beruf, sieht in Israel keine Zukunft mehr für sich. Anlässlich ihres 75. Geburtstags schuf Dassy auf deren Töpferscheibe ihre persönliche Urne und schickte Fotos und ein Video, in dem sie lange über Leben und Tod sinnierte. Vor dem Tod fürchtet sie sich nicht. Als Künstlerin kann sie die Standarisierung des Todes nicht ausstehen. Ihre glasierte und gebrannte Urne sieht nicht nur originell aus, sie ist auch schön und würdig. Wenn ich in meiner Straße die Urnen im Schaufenster des Beerdigungsinstituts sehe, denke ich oft, dass ich zwar eingeäschert werden möchte, meine Asche aber einen schöneren Behälter verdient hat. In der Tat gibt es Ateliers, die einem eine selbstgestaltete Urne anbieten. Die Kosten halten sich im Rahmen. Ich überlege es mir noch. Immerhin war meine Mutter Töpferin – ich bin sicher, die Idee hätte ihr gefallen. Als ich einer Frankfurter Freundin diese Geschichte erzählte, sagte sie lapidar: „Mir ist es egal, wie die Urne aussieht. Ich sehe sie doch nur von innen.“

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Ich bekam ein neues Allround-Profi-Messer mit einer 8,5 cm langen Klinge geschenkt. Ich schnitt mich. Messer sind wie Menschen, wenn man sie kennt, passieren beim achtsamen Umgang keine Unfälle. Vielleicht sollte man Messer maßanfertigen, genau wie Schuhe?

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Das Grünflächenamt gestaltet das lange brachliegende Grundstück an der nördlichen Fahrgasse neu. Es liegt direkt an der Staufenmauer. Ob die Menschen von der Zeil aus tatsächlich dorthin gehen werden, um sich eine kleine Pause zu gönnen, bleibt abzuwarten. Der prachtvolle alte Maulbeerbaum musste leider weichen. Ihn liebte ich ganz besonders, weil ich diese Bäume aus Israel kenne. Als Kind sammelte ich immer die Früchte und aß sie gleich auf. Viel später erfuhr ich, dass sie daran erinnerten, dass es in ihrer Nähe früher ein arabisches Dorf gab.

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Wegen des verstärkten Einsatzes von Insektiziden, des Klimawandels und des Verlusts von Lebensräumen für Tiere verlor die USA, laut einer Studie, ein Fünftel ihrer Schmetterlinge. Das Gleiche passiert auch in Israel. Die Entwicklung von Wohnraum und Landwirtschaft, invasive Arten und die Klimakrise gehören zu den Hauptursachen für schwere Schäden in der biologischen Vielfalt. Von dem italienischen Schriftsteller Matteo Corradini erschien 2017 ein Roman über die Kinder von Theresienstadt: „Im Ghetto gibt es keine Schmetterlinge“ (Übersetzung: Ingrid Ickler). Mit diesem Titel hatte Hana Volavková schon 1959 in Prag eine Sammlung von Bildern und Gedichten von Kindern in Theresienstadt (1942-1944) herausgegeben.

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Zurzeit laufen im Netz viele Videos, die Trump und Musk belächeln und verspotten. Über Trump kam der Spruch: „Sein Kopf ist eine Sicherungskopie vom Arsch.“

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„Hast du alle diese Bücher gelesen?“, fragen mich neue Freunde, die zum ersten Mal in unsere Wohnung kommen. Es folgt eine lange Erklärung über schon gelesene, noch nicht gelesene und nie gelesene Bücher. Wie soll man vor dem Aperitif die Lesegewohnheiten und beruflichen Lesezwänge erklären? Wie vermittle ich, warum ich lese und was ich in den Büchern suche? Manchmal weiß ich das selbst nicht. Wie einfach hatten es die Menschen früher. In ihrem Herrenzimmer stellten sie Buchattrappen ins Regal und wahrschlich nahm die nie jemand heraus, denn zu Hause hatten sie auch Buchattrappen. Mein Großvater in Leipzig machte mit diesen Büchern ein gutes Geschäft. Als meine Großmutter alt und dement war, erzählte sie mir, dass mein Großvater eine Flasche Birnenbrand in einer Buchattrappe vor ihr versteckte.

Erstellungsdatum: 07.04.2025