Weniger bekannt ist, dass der gelernte Uhrmacher die Ankerhemmung für Taschenuhren, aber auch ein Pedalsystem für die Harfe erfand: Pierre-Augustin Caron, der sich de Beaumarchais nannte und Dramen und Komödien verfasste, darunter den „Barbier von Sevilla“. Nach Paisiello und Mozart griff auch Gioachino Rossini nach dem Stoff und komponierte innerhalb von 13 Tagen die gleichnamige, bis heute erfolgreiche Opera buffa. In Wiesbaden hat sie Walter H. Krämer jetzt auch mit Puppen aufgeführt gesehen.
„Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst“ – mit diesem Satz endet der Prolog Schillers zu seiner großen Wallenstein-Trilogie. Damit ist nicht gemeint, das Schwere zu ignorieren, sondern es in ein etwas Leichtes zu verwandeln. Damit ist auch nicht gemeint, uns mit billigen Witzen unter Niveau zu bespaßen, sondern auch für die Heiterkeit benötigt es Ernsthaftigkeit.
Eine Aufführung, die dies überzeugend einlöst, ist „Der Barbier von Sevilla“ in der Regie von Nikolaus Habjan, der mit Mitgliedern des Staatstheaters das Stück in der Landeshauptstadt auf die Bühne bringt. Hier passiert Kunst auf höchstem Niveau und öffnet für Stunden unseren Geist für die Schönheit der Welt und der Kunst – trotz alledem. Theater, verstanden als eine Schule des Dialogs, eine Einladung zum Zuhören, zum Nachdenken und zur Auseinandersetzung mit der Welt.
Die beiden Intendantinnen Beate Heine und Dorothea Hartmann haben ein glückliches Händchen für die Auswahl ihrer Stoffe und scheuen sich nicht, herausragende Produktionen anderer Häuser nach Wiesbaden zu übernehmen. So geschehen mit „Die Freiheit einer Frau“ in einer Inszenierung von Falk Richter aus Hamburg und jetzt mit dem „Barbier von Sevilla“ aus Basel in der Regie von Puppenspiel-Meister Nikolaus Habjan.
Und wie es sich für den Puppenspiel-Experten gehört, überlässt er die Bühne nicht nur den Sänger*innen, sondern sie werden von Marionetten begleitet. Die wildgewordenen Klappmaulpuppen erobern mithilfe der Sänger*innen die Bühne und ziehen alle mit in das Verwirrspiel um den Barbier Figaro. Keiner entkommt den Puppen, und das ist auch gut so, denn dadurch blickt man neu und anders auf die Figuren in der Oper. Hier entsteht kein billiger Klamauk, sondern die Marionetten im Zusammenspiel mit den Menschen begeistern das Publikum und eröffnen neue Sichtweisen auf das Geschehen auf der Bühne.
Rossinis „Il barbiere di Siviglia“ steckt voller Ohrwürmer, treibender Rhythmen und geradezu berauschender Vokalartistik. Serenaden, Duette und Ensembles unterstreichen durch vielfältige Koloraturen in den Gesangslinien den Humor der Handlung.
Diese Oper – genaue Bezeichnung: Opera Buffa – komponierte Rossini bereits im Alter von 24 Jahren. Das Libretto hierzu stammt von Cesare Sterbini auf Grundlage des Schauspiels „Le barbier de Séville“ von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais.
Figaro ist nicht nur der beste Barbier der Stadt, sondern auch Spielmacher, Intrigenspinner und Tausendsassa. Mit kalkuliertem Chaos und vielerlei Maskerade schafft er es, Rosina aus den Händen ihres Vormunds Bartolo zu befreien und sie mit dem schönen Grafen Almaviva zusammenzubringen, denn der hat sich unsterblich in das Mündel des Doktor Bartolo aus Sevilla verliebt. Um ihr seine Liebe zu zeigen, bringt er ihr jeden Morgen heimlich ein Ständchen. Rosina will sich aus ihrer Gefangenschaft befreien und versucht zu fliehen. Ihre Flucht wird allerdings von Don Basilio vereitelt. Mit einer Pistole an den Kopf bedroht, lässt sich Don Basilio überreden, als Zeuge bei der Trauung von Almaviva und Rosina aufzutreten. Bartolo kommt zu spät. Almaviva beschwichtigt ihn, indem er ihm Rosinas Mitgift überlässt, und alle freuen sich über das glückliche Ende.
Die Textvorlage für Rossini war die Figaro-Trilogie von Beaumarchais. Diese hat ihren Ursprung im französischen Jahrmarktstheater des 17. und 18. Jahrhunderts, in dem Puppenspiel und die stereotypen Figuren der Komödie wichtiger Bestandteil waren. So ist es denn auch eine kluge Idee und durchaus nachvollziehbar, die Inszenierung mit Marionetten auszustatten und diese den Sänger*innen an die Hand zu geben.
Die musikalische Fassung für die Aufführung in Wiesbaden stammt von Peter Leipold und fängt mit Gitarre, Akkordeon und Kastagnetten den szenischen Witz und die musikalischen Farben des Jahrmarktstheaters für eine Kammerbesetzung des Hessischen Staatsorchesters ein.
Obwohl der Regisseur und Puppenbauer Nikolaus Habjan bei seinen selbstgebauten Puppen einen Hang zur Groteske und zur Überzeichnung hat, freundet man sich im Laufe des Abends mit diesen Gestalten an. Kein Wunder auch, denn gerade in den Commedia dell’Arte Stücken – wie hier bei dem „Barbier von Sevilla“ – sind holzschnittartige Typen gefragt. Da gibt es den alten Lustgreis Doktor Bartolo, den bösen Intriganten Basilio, die beiden Liebenden Rosina und Graf Almaviva, der ihr aber zunächst als armer Student Lindoro vor die Augen tritt, und den clownesken Figaro. Alles eher schablonenhafte Figuren, deren Charakter durch die Puppen noch verstärkt werden.
Bei dem Spiel mit den Puppen gibt es die Möglichkeit, die Spieler*innen von den Puppen zu trennen und die bestehende Spannung zwischen beiden zu zeigen. Besonders deutlich wird das bei der Figur der Rosina, die absolut nicht einverstanden ist mit der Rolle, die ihr zugeteilt wird und dies auch handfest im Streit mit Ihrer Puppe auslebt: „Wenn man mich reizt, werde ich zur Bestie!“ Und das wird sie in einer großartigen Szene. Möglich wird eine solche Trennung dadurch, dass die Puppenspieler Max Konrad und Angelo Konzett den Sänger*innen und Marionetten hilfreich zur Seite stehen und an deren Führung und Bewegung beteiligt sind.
Bei allem Spaß, der hier auf der Bühne vorgeführt wird, gibt es auch ernste Töne und Szenen. Basilio rät, um einen Nebenbuhler auszuschalten, zur Verleumdung.: „Die Verleumdung ist ein Lüftchen, ein Hauch, kaum wahrnehmbar. (…) Schlussendlich platzt sie und explodiert wie ein Kanonenschuss! Ein Erdbeben, ein tosendes Gewitter, das die Luft dröhnen lässt. Der arme Kerl wird öffentlich erniedrigt, zertreten und völlig vernichtet!“ (Don Basilio, 1. Akt) Diese Szene geht unter die Haut, schon allein deshalb, weil Don Basilio dabei immer größer und mächtiger zu werden scheint.
Die Sänger*innen in der Wiesbadenern Aufführung arbeiten mit den natürlichen Schwerpunkten der Puppen. Von diesen ausgehend erhalten die einzelnen Glieder ihren Impuls, dem sie, wie Pendel in harmonischen Bogen schwingend, folgen. Und selbst eine zufällige, ungewollte Erschütterung auf Seiten des Puppenspielers bringt eine nahezu tänzerische Bewegung der Marionette hervor. Man spürt die Leichtigkeit der Marionetten, die von Menschen geführt, ihrer Schwerkraft enthoben sind. Der Tanz zwischen den Menschen und den Marionetten kann beginnen und nimmt seinen Lauf.
Das Sänger*innen-Ensemble zeigt singend und puppenspielend sein komödiantisches Talent, während die Puppen selbst sich immer mehr ein Eigenleben neben ihren singenden Pendants erstreiten.
Mit Kniebundhosen und Schnallenschuhen (Kostüme Denise Heschl) ganz in Schwarz füllen die Mitglieder des Chores nach und nach die Bühne – von Jakob Brossmann mit zwei ineinander verschlungenen Treppenhäusern mit zwei Eingängen auf einer kleinen Drehbühne gestaltet.Slapstickartige Momente begleiten den Anfang, ehe sich Joshua Sanders als Graf Almaviva – ein Tenor mit angenehmem Timbre und ideale Besetzung für diese Partie – in die Herzen und Ohren der Zuschauer*innen singt.
Jack Lee ist ein Figaro mit kraftvoll-saftigem Bariton und begeistert mit der Auftrittsarie „Largo al factotum“ gleich zu Beginn die Menschen im Theatersaal.
Camille Sherman ist mit hellem Mezzosopran eine fabelhafte Rosina, und selbst die Buffo-Partien sind mit Sängern besetzt, die technisch keinerlei Kompromisse machen müssen.
Hovhannes Karapetyan ist mit seinem kernigen Bariton als Doktor Bartolo genau der Greis, den man als junge Frau nicht heiraten will.
Inna Fedorii kann es stimmlich als Haushälterin Berta an Geläufigkeit und Kunstfertigkeit mit dem restlichen Ensemble durchaus aufnehmen, und Young Doo Park meistert die Partie des Basilio mit seinem sonoren Bass und verleiht der Figur die ihr innenwohnende Gefährlichkeit glaubwürdig.
Das Kammerorchester unter dem musikalischen Leiter Albert Horne sitzt auf der Vorbühne ganz nah am Publikum und wird zum Mitspieler in dieser Inszenierung, denn es ist für den Regisseur Nikolaus Habjan bedeutsam, das Orchester mit in das Spiel einzubeziehen. Auch das zeigt einmal mehr den spielerischen Charakter dieser Operninszenierung. Die Inszenierung als Spiel im Spiel.
Ein großes Vergnügen und ein großer Opernabend, nach dem man beschwingt nach Hause gehen und gestärkt mit einem Hauch von Optimismus den Widrigkeiten des Lebens und der Zeit ins Auge sehen kann. Denn, wir erinnern uns, „ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst“.
Rossinis Barbier von Sevilla. Joshau Sanders und Camille Sherman. Foto: Maximilian Borchardt
Gioachino Rossini
Der Barbier von Sevilla
Opera buffa in zwei Akten (1816)
Bearbeitung für Kammerensemble von Peter Leipold
Libretto von Cesare Sterbini nach dem gleichnamigen Schauspiel von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais
Musikalische Leitung: Albert Horne
Inszenierung: Nikolaus Habjan
Szenische Einstudierung: Marvin Mohrhardt
Bühne: Jakob Brossmann
Mitarbeit Bühne: Marlene Lübke-Ahrens
Kostüme: Denise Heschl
Dramaturgie: Meret Kündig/Katja Leclerc
Puppencoach: Manuela Linshalm
Licht: Klaus Krauspenhaar
Chor: Albert Horne
Vermittlung: Oliver Riedmüller
Graf Almaviva: Joshua Sanders
Doktor Bartolo: Hovhannes Karapetyan
Rosina: Camille Sherman
Figaro: Jack Lee
Basilio: Young Doo Park
Berta: Inna Fedorii
Fiorello / Ein Offizier: James Young
Puppenspieler: Max Konrad/Angelo Konzett
Chor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Hessisches Staatsorchester Wiesbaden
Statisterie des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Nächste Aufführungen am 5. + 18.06. jeweils um 19:30 Uhr und am 6.07. um 16 Uhr. Weitere Aufführungen in der Spielzeit 2025/2026
https://www.staatstheater-wiesbaden.de/spielplan/a-z/der-barbier-von-sevilla/
Erstellungsdatum: 07.05.2025