Das Land, wo die Zitronen blühen, lassen wir Touristen uns nicht vom Tourismus vermasseln. Dieses Land ist angefüllt mit Geschichte, Augenbalsam in Stadt und Land und wunderlichen Merkwürdigkeiten – wozu auch die Bewohner gehören. Auf seiner Reise durch Italien stößt Eldad Stobezki in Mantua auf Salomone Rossi und Kindesmissbrauch, in Rom auf MeToo im Alten Testament, in Sutri auf Horaz und in Trevignano auf Moskitos.
Meine ungeschriebene Wunschliste hat zwei Spalten: Die Autoren, von denen ich noch nichts gelesen habe und die Städte, die ich noch sehen möchte. Mantua zum Beispiel. Warum gerade Mantua? Wegen der drei künstlichen Seen, die die Stadt umgeben? Wegen der gut erhaltenen Renaissance-Architektur? Weil sich in Mantua bekanntermaßen die erste Stufe zur Durchdringung kabbalistischen Denkens im Judentum auf dem Weg nach Deutschland und Polen findet? Wegen des jüdischen Komponisten und Geigers Salomone Rossi, der am Hof von Vincenzo Gonzaga gewirkt hat? Jetzt war ich da und genoss die urbane Atmosphäre zwischen den vielen Piazze, Kirchen und Arkaden, die die Bürger vor Sonne und Regen schützen. Hier spürt man den Unterschied zwischen „dolce far niente“ und „Chillen.“
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Auf meiner Autorenliste stand Alice Monroe. Ich liebe Kurzerzählungen, und nachdem sie bereits 2013 den Nobelpreis bekam, nahm ich mir vor, sie endlich zu lesen. Ein Buch ist da – noch unberührt. Nach dem Tod der Schriftstellerin im Mai erhob ihre Tochter, Andrea Robin Skinner, schwere Vorwürfe gegen ihre Mutter. Nachdem sie ihr erzählt habe, dass sie von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht worden sei, hätte diese geschwiegen und sei mit dem Mann zusammengeblieben. „Wir haben einfach alle so getan, als ob nichts passiert ist.“ In den sozialen Medien gab es daraufhin die Diskussion, ob man Alice Monroe noch lesen soll und darf, oder ob man die Person vom Werk trennen soll. Ich werde das Buch zunächst weiter im Regal ruhen lassen – ungeöffnet.
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Die Museen sind voll von Gemälden mit neutestamentarischen Motiven. Zu meiner Freude finde ich hin und wieder eine Szene aus dem Alten Testament. In der Galleria Borghese, die ich wegen Berninis Skulptur „Apollo e Dafne“ zum zweiten Mal besuchte, entdeckte ich das Gemälde „Josef und Potifar's Frau“ von Ludovico Cigoli aus dem frühen 17. Jahrhundert. Die Geschichte wird im 1. Buch Mose, Kap. 39 erzählt. Der attraktive Sklave Josef und die schöne Frau des Ägypters Potifar – hat Josef sie bedrängt, hat sie ihn verführt? Immer wieder hat diese Szene Künstler, Dichter und Schriftsteller angeregt. Für mich ist das die erste missbrauchte MeToo-Geschichte.
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Unweit von Rom, in Sutri, einst wichtige Zwischenstation zwischen den Gebieten der Römer und der Etrusker, liest man auf einem antiken Tor in der Altstadt die Inschrift „Rapit hora diem.“ Zu Hause entdecke ich, dass es ein Zitat aus den Oden IV, 7 von Horaz ist und heißt „Die Stunde, die den Tag dahinrafft.“ Ein Hinweis, dass man nicht auf das ewige Glück warten soll. Sollte ich Latein lernen?
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Das Stadttor zu Trevignano aus dem 12. Jahrhundert heißt Torre dell'Orlogio. Orlogio kommt ursprünglich aus dem Griechischen und fand seinen Weg ins Latein und ins Hebräische mit dem schönen, poetischen Wort: „Orlogin.“
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In Trevignano ging ich zur Apotheke, um eine Salbe gegen Moskitostiche zu kaufen. Ich las den Namen des Apothekers laut und er sagte mir, dass er aus Iran kommt. „Ich komme aus Israel“, antwortete ich. Sofort streckte er mir seine Hand entgegen und wir begrüßten uns mit einem kräftigen Händedruck. Er lächelte und sagte: „Mi piace“. Auch mir gefiel diese spontane Begegnung.
Erstellungsdatum: 12.10.2024