An dem mechanistisch-materialistischen Menschenbild, das sich der Philosoph de La Mettrie ausgedacht hatte, hat der Schriftsteller der schwarzen Romantik, E. T. A. Hoffmann, sich immer wieder abgearbeitet. Einige seiner Frauenfiguren, zum Verlieben schön, entpuppen sich schließlich als Automaten. In seinem Märchen „Das fremde Kind“, das als multimediales Kunstwerk erschienen ist, sind es der mechanische Jäger oder der aufziehbare Harfenist, die im Schrott landen. Walter H. Krämer hat sich daran erfreut.
„Es war einmal …“ so fangen Märchen an. Auch Das fremde Kind, ein romantisches Kunstmärchen „für kleine und große Kinder“ von E.T.A. Hoffmann, beginnt mit diesen drei Worten. Er schrieb es 1817, und es erschien – von ihm selbst illustriert – noch im gleichen Jahr erstmals in einem Berliner Verlag.
Im Jubiläumsjahr 2022 – der Todestag von E.T.A. Hoffmann jährte sich zum 200. Mal – brachte der Secession Verlag eine multimediale Ausgabe (Text + Bild + Ton) dieser Erzählung mit zauberhaften Illustrationen der bulgarischen Künstlerin Katina Peeva heraus. Das aufwendig mit hervorragendem Schutz- und Bildumschlag ausgestattete Buch enthält auch einen Soundtrack – über einen QR-Code im Buch abrufbar – mit Kompositionen nach Motiven aus dem Quintett für Harfe in d-Moll von E.T.A. Hoffmann und aus der Oper Hoffmanns Erzählungen.
Inspiriert von E.T.A. Hoffmanns Leidenschaft für Musik und Literatur möchte die Opernsängerin Ina Kancheva im Rahmen ihrer Konzeptreihe Musik im Buch einem nicht nur jungen Publikum das zeitgleiche Erlebnis von Belletristik, klassischer Musik und Illustrationen sinnlich erfahrbar machen. Zu überprüfen in der hier vorgestellten Ausgabe des Märchens.
Die Geschwister Felix (Junge) und Christlieb (Mädchen) leben glücklich mit ihren gütigen Eltern in einem schönen Häuschen auf dem Lande, inmitten einer von ihnen geliebten und zum Spielen einladenden Natur. Ihr reicher Onkel Cyprianus von Brakel kommt zu Besuch, schenkt ihnen neuestes, mechanisches Spielzeug und kündet einen Hauslehrer an, der die Bildung der beiden Kinder übernehmen wird. Die Geschenke, die die hochnäsigen Verwandten mitgebracht haben, erweisen sich tags darauf im gewohnten Spiel im Wald als nutzlos: Der mechanische Jäger geht in den Händen von Felix ebenso rasch entzwei wie der aufziehbare Harfenist, und Christliebs neue Puppe hält kaum länger, weshalb die Geschwister alles ins Gebüsch und in den Teich werfen.
Die Kinder erwarten den angekündigten Hauslehrer und ahnen Böses. Und es bewahrheitet sich. Im dunklen Gewand des Magisters Tinte steckt ein sadistischer Kinderfeind, der mit der Natur wenig anfangen kann und will. Zum Glück sind die Kinder nicht allein im Kampf gegen diesen Magister Tinte. Sein Gegenspieler ist das fremde Kind, mit dem sich Felix und Christlieb im Wald angefreundet haben und gemeinsam viele fantastische Abenteuer erleben konnten. Auch in der Not steht ihnen das fremde Kind letztlich hilfreich zur Seite.
Diese Geschichte um die Geschwister Felix und Christlieb, die im Wald mit dem plötzlich auftauchenden fremden Kind spielen und in ihrem fliegenhaften Hauslehrer einen feindseligen Gnom erkennen, eröffnet einen Fantasieraum und man kann das Buch schwerlich aus der Hand legen. Die Geschichte lässt einen nicht mehr los. Die den Text kongenial ergänzenden Illustrationen unterstützen das. Diese sind sehr detailreich und feinsinnig gemalt und es macht Freude, sich immer wieder in ihnen zu verlieren und Neues zu entdecken.
Auch zum Vorlesen eignet sich das Buch und man sollte es auch tun. Egal ob Großeltern, Freunde, Geschwister oder Eltern – das Vorlesen dieses qualitativ hochwertigen Textes stärkt die Lese- und Sprachkompetenz der jungen Zuhörer*innen. Etwas was in der heutigen Zeit, in der digitale Medien weit verbreitet sind und genutzt werden, nicht hoch genug eingeschätzt werden kann und sollte.
E. T. A. Hoffmann
Das fremde Kind
Ein multimediales Kunstwerk
96 S., geb.
ISBN 978-3-96639-047-7
Secession Verlag, Zürich und Berlin 2022
Erstellungsdatum: 11.11.2024