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Udo Bregers „Extraterritorial. Zeiten mit Carl Laszlo“

Einmal Hölle und zurück

Wolfgang Rüger


Carl Laszlo (Screenshot)

Fünf Jahre mit einem hedonistischen, kunstbesessenen Psychoanalytiker, der sich als Teil der Avantgarde der 60er- und 70er-Jahre sieht. Da gibt es einiges zu erzählen. Die Berichte und Dokumente aus dieser Zeit haben Kultstatus. Der Übersetzer, Verleger und Beat-Generation-Experte Udo Breger hat mit „Extraterritorial. Zeiten mit Carl Laszlo“ ein weiteres Erinnerungsbuch veröffentlicht. Wolfgang Rüger hat es gelesen.

 

Im Mittelpunkt dieser Erinnerungen steht der 1923 in Pecs geborene ungarisch-jüdische Psychoanalytiker, Kunsthändler, Sammler und Autor Carl Laszlo, der sein Leben in einem Interview mit Udo Breger so auf den Punkt brachte: „Ich habe Hitler besiegt, ich habe ihn überlebt und fühle mich nicht beschädigt.“ Die beiden kannten sich noch nicht sehr lange und standen in einem freundschaftlichen Verhältnis zueinander.

Laszlo sah in dem 18 Jahre jüngeren Breger die Chance, an William S. Burroughs und Brion Gysin, zwei für ihn „maßgebliche Künstlerpersönlichkeiten“ heranzukommen. Im Sommer 1977 lud er Breger in sein Haus im Baseler Sonnenweg ein, man trank einen Mokka und rauchte einen Joint, und es begann für Breger eine fünf Jahre dauernde „teils anstrengende, vorwiegend aber anregende Beziehung zu einem in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Zeitgenossen: eines kunst- und scharfsinnigen, blitzgescheiten und provokanten Mannes mit rascher, treffsicherer Zunge und einer unglaublichen Chuzpe“.

Breger, der sich als Übersetzer, Inhaber des Expanded Media Editions Verlags und Beat-Generation-Intimus im deutschen Underground einen Namen gemacht hatte, war kurz zuvor von Göttingen nach Basel übersiedelt. Laszlo, wohlhabend und damals schon ein bunter Hund in der Schweizer Kunstszene, bot dem mittellosen Deutschen die Chance, sich in der Baseler Kulturszene zu etablieren und sich ab und zu etwas dazuzuverdienen. Breger wurde für Laszlo eine Art Mädchen für alles: er hütete das Haus, verrichtete Putzdienste und avancierte zum Drogenkurier. Ein gegenseitiges Geben und Nehmen begann. Breger arrangierte zum Beispiel diverse Treffen mit Burroughs und Ginsberg in New York, Laszlo übernahm die Reisekosten.

„Extraterritorial. Zeiten mit Carl Laszlo“, geschrieben im gewohnten Breger-Sound, einem gentlemanhaften Parlieren, mäandert durch die späten siebziger und frühen achtziger Jahre. Im Mittelpunkt stehen die 5 Jahre, die Breger intensiv mit Laszlo zu tun hatte. Man liest von Trink- und Essensgelagen, Drogenexzessen, rauschenden Partys in wechselnder Starbesetzung. Die Handlungsorte sind hauptsächlich Basel und New York.

Daneben gibt es zeitliche Sprünge vor und zurück. Und wie immer bei Breger begegnet man dem Who is who der Avantgardeszene (John Cage, Richard Avedon, Andy Warhol, John Giorno, Herbert Huncke, Anne Waldman). Die Lektüre des Buches ist wie ein intimer Blick in sein Tagebuch. „In Erinnerungen zu stöbern ist durchaus vergleichbar mit dem Blättern in Fotoalben. In dem Zusammenhang fällt mir ein Besuch an der 48, Howard Street ein, ein Nachmittag bei Christo und Jeanne-Claude.“

Breger hat sein gesamtes Leben minutiös und detailreich protokolliert. Man sitzt förmlich mit am Tisch und blickt auf die Speisenfolge. „Aufgetischt wurden Beluga-Kaviar und Geschwellti (Pellkartoffeln), dazu trank man einen raren Champagner Rosé. Das Kilo Kaviar kam in einen porzellanen Nachthafen versenkt auf den Tisch und sorgte für Erstaunen, Freude, Gelächter und Hochgenuss, jeder schöpfte sich à discrétion.“

Einen kaum überbrückbaren Kontrast zu diesem frivolen Laissez-faire bietet ein zweites großes Thema in diesem Memoirenbuch: die Judenvernichtung unter den Nazis. Laszlo war ein Auschwitz-Überlebender, hatte über seine Erfahrungen in diversen Konzentrationslagern das Buch „Ferien am Waldsee“ geschrieben. Breger war bis zur Begegnung mit Laszlo eher unbedarft, was dieses Thema anbelangt. „Mit mir als zeitgeschichtlich eher unberührtem Gegenüber hatte der psychologisch und psychoanalytisch Geschulte leichtes Spiel: indes er die Gräueltaten der Nazis ausgehalten hatte, tat ich mich damals noch schwer damit, dem ab etwa 1969 ins allgemeine Bewusstsein gelangten Begriff Holocaust (und später Shoah) jene Bedeutung beizumessen, die er verdiente.“ Breger begreift im Zusammensein mit Laszlo seine Verantwortung als Nachgeborener. Arbeiten, die er für Laszlo übernimmt und die er in anderem Zusammenhang als Demütigung begriffen hätte, erledigt er als einen Akt der Wiedergutmachung. „Ein Deutscher zumal, der sich im Laufe der Zeit mehr und mehr verpflichtet fühlen würde, historischen Tatsachen nicht auszuweichen, sondern sich mit ihnen auseinanderzusetzen.“

Die Wiederveröffentlichung von Laszlos lange vergriffenem Buch „Ferien am Waldsee“ im von ihm gegründeten und von Pociao weitergeführten Verlag E.M.E. war sicher auch dieser Einsicht geschuldet. Trotzdem hat man als Leser von Bregers Erinnerungen nie das Gefühl, daß sich die beiden auf Augenhöhe begegnet sind. Zu groß sind die Unterschiede zwischen ihnen. Vieles, was unterschwellig abläuft, bleibt unausgesprochen. Die schon immer vorhandenen Spannungen kulminieren schließlich an der Arbeit zu Laszlos Zeitschriftenprojekt RADAR. Es kommt zum endgültigen Zerwürfnis zwischen beiden, und die fünfjährige gegenseitige Befruchtung findet ein Ende. Fortan geht man sich in Basel aus dem Weg.

Mit Jahrzehnten Abstand fallen Bregers Schilderungen der erlebten Kränkungen und Enttäuschungen milde aus. „New York – Für die gemeinsamen Besuche Ende 70er, Anfang 80er Jahre bin ich Carl zu Dank verpflichtet. Sie wogen alles auf, was ich an nicht entlohnten Tätigkeiten im Haus am Sonnenweg leistete und weiterhin einbrachte.“ Alle, die Laszlo besser kannten, erzählen das Gleiche. Nach der Befreiung aus dem KZ verschrieb sich der debattierfreudige und auch streitlustige Ungar vollkommen dem Hedonismus. Sein „Leben war nämlich singulär auf Genuss, Schönheit, auf Rausch, auf allenfalls durch kurze Schlafpausen unterbrochene Dauerekstase ausgerichtet“, schreibt Alexander von Schönburg. „In seiner bis zur Decke vollgestopften Bibliothek im ersten Stock seines Hauses, im unter Bücherstapeln ächzenden Empire-Schreibtisch, lagerten, stets griffbereit, dicke Bündel von 1000-Franken-Noten. Karcsi sah sich geradezu in der Pflicht, jederzeit kurzfristig einen über Tage andauernden dionysischen Vergnügungsmarathon in Szene setzen zu können.“

Im Buch dokumentiert sind viele der erzählten Meetings durch Fotos vor allem von Ulrich Hillebrand, der als Fotograf all die Jahre dabei war. Ein Foto zeigt „den Kokainforscher Carl Laszlo, den LSD-Entdecker Albert Hoffmann und den Drogen-Poet Allen Ginsberg“ einträchtig nebeneinander in der berühmt-berüchtigten Bodega, dem „Basler Koks-Hotspot“. Für Freunde der Beat-Generation ist dieses Anekdoten- und Bilderbuch eine Bereicherung.

Allen Lesern empfehle ich aber auch die Lektüre von Laszlos „Ferien am Waldsee“. Es ist über die Jahrzehnte in 4 Auflagen erschienen, hat aber nie die literarische Anerkennung erhalten, die es verdient hätte. Was Laszlo über die Abgründe menschlichen Tuns im Mikrokosmos KZ erzählt, ist aktueller denn je. Eigentlich müßte es auf dem Lehrplan jeder deutschen Schule stehen. Im eingangs erwähnten Interview mit Breger faßt er seine Intention zum Buch so zusammen: „Ich habe das Ganze angeschaut wie einen Fellini-Film; ich habe gesagt, wir sind in der Hölle; das ist ein unglaubliches Erlebnis, in die Hölle zu gehen, und ich bin aus der Hölle zurückgekommen. Das hat mich fasziniert, das Wort ‚fasziniert‘ klingt ein bisschen überheblich, trifft aber den Sachverhalt. Ich habe immer gesagt, man muss ganz genau zuschauen, sowas haben bisher ja nur ein Dante oder Orpheus gesehen.“

 

 


Ein Porträt von Carl Laszlo/Károly László

Udo Breger
Extraterritorial
Zeiten mit Carl Laszlo
138 S., brosch.
ISBN:9783910431829
Moloko Print, Schönebeck 2025
 
 
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Erstellungsdatum: 23.04.2025