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Der Adel in Deutschland ist nicht nur Gegenstand von Spott und Belustigung, er versorgt auch einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung über die bunte Klatschpresse mit Märchen, die ihr offensichtlich sonst fehlen. Doch auch seriöse Medien können ihren Durst nach blauem Blut und den politischen Legenden, die sich als Patina auf die edlen Menschen gelegt hat, nicht verleugnen. Die Repräsentanten der Ungleichheit sind aber, erklärt Matthias Buth, in einem demokratischen Rechtsstaat unpassend.
Wir waren nicht im Widerstand, denn wir waren nicht adelig. –
Das hörte man oft in den 60er Jahren, als die sogenannte 68-Generation begann zu fragen: Wo war Papa, Opa, wo der Onkel, was hat die Familie gesehen, nicht sehen wollen und wer wo mitgemacht? Wo war der Widerstand, derjenige in unsere Familie? Kein Adel, kein Widerstand, das war die Formel. Entlasten konnte sie jedoch nicht, war Nimbus und Attitüde bei beiden, die half: den Mitläufern und Tätern sowie dem Adel. So, als wären die Vons und Zus bessere, edlere Menschen (gewesen). Diese Vorstellung wurzelt bei einigen tief, hat jedoch keinen Grund.
In der Wehrmacht besetzten Personen mit adeligen Namen viele Schlüsselpositionen, zuvor, in der Reichswehr der Weimarer Republik, lag der Anteil adeliger Offizier bei konstant 20 Prozent. Wer heute Namen nennt, die in der deutschen Armee (Heer, Luftwaffe und Marine) des NS-Staates eine Rolle spielten, spricht sogleich von Stauffenberg, der den entscheidenden Wurf, der 1944 mit seinen Mitverschwörern den Staatsstreich wagte. Doch das Attentat misslang. In den 50er Jahren wurde er als Hochverräter verunglimpft, erst allmählich stieg er zum Attentäter aus edler Gesinnung auf, wurde zu einem Menschen, der uns Deutsche ein wenig aufatmen ließ. Als Stauffenberg noch Generalstabsoffizier in Wuppertal war, schrieb er seiner Frau (eine geborene v. Lerchenfeld), wie sehr er den sogenannten Polenfeldzug im September 1939 begrüßte. Sein Blick auf die Polen war der eines Herrenmenschen, der das Nachbarvolk als minderwertig sah. Der Wandel zum Kopf der Verschwörung und zum Attentäter vollzog sich langsam und entsprach der Einsicht, dass der Krieg nach dem Untergang des 6. Armee in Stalingrad verloren ging , dass die Angst vor dem persönlich-familiären und kollektiven Ende der Deutschen sein Handeln bestimmte. Er sah „die Vernichtung der materiellen und blutsmäßigen Substanz des deutschen Volkes“. Der Verschwörerkreis um Claus Schenk Graf v. Stauffenberg war keineswegs eine „kleine Clique“, wie Goebbels meinte, sondern ein verzweigtes Netzwerk aus vielen beruflichen und sozialen Gruppierungen.
Stauffenberg war die treibende Kraft für die Tötung Hitlers. Am 1. Juli 1944 wurde er Chef des Stabes beim Befehlshaber des Ersatzheeres (BdE). Damit hatte er alle Möglichkeiten, die für den Fall innerer Unruhen vorbereitete Aktion „Walküre“ auszulösen. Dieser Plan sah vor, dass im Falle eines Zusammenbrechens der bisherigen Ordnung in Deutschland stehende Wehrmachtsverbände innerhalb von eineinhalb Tagen die Staatsgewalt übernehmen sollten. Den Operationsplan erarbeitete Stauffenberg gemeinsam mit General Friedrich Olbricht, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Henning von Tresckow. Ziel der Verschwörer war die politische Neuordnung Deutschlands. Der Jurist Carl Friedrich Goerdeler sollte Übergangskanzler und der General Ludwig Beck Staatsoberhaupt werden.
Die Passauer Historikerin Linda von Keyserlingk-Rehbein hat ca. 650 Kontakte unter 132 Akteuren ermittelt und in Nur eine „ganz kleine Clique"? Die NS-Ermittlungen über das Netzwerk vom 20. Juli 1944, Berlin 2018 dargestellt. Und dennoch wird heute der „Aufstand des Gewissens“ meist als Adelsverschwörung wahrgenommen und treten Familiennamen aus dem Adel bei den Gedenkveranstaltungen zum 20. Juli 1944 auch besonders in Erscheinung. Namen von der Schulenburg, von Witzleben und von Hassel klingen nach NS-Widerstand, fast so, als wären die Mitläufer-Familien dabei gewesen, waren und sind zumindest aber in beflissen „dafür“. Von den Hohenzollern indes war keiner im Bannkreis des charismatischen Stauffenberg. 50 der 150 von der NS-Schergen im Zusammenhang mit dem 20. Juli 44 Hingerichteten kamen aus adeligen Familien.
Jedoch waren viele Mitglieder aus Adelskreis mit dem NS-Staat verbunden. Der Zeithistoriker Stephan Malinowski hat in seiner Studie Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat, Berlin 2003 nachgewiesen, dass insbesondere der ostelbische Adel, das östliche Landjunkertum die NSDAP massiv unterstützten, er zählte 3592 Adelige als PGs. 26,9 Prozent hatten schon vor 1933 ein NS-Parteibuch. Die Deutsche Adelsgenossenschaft (DAG) umfasste mit 1700 Mitgliedern rund 20 Prozent des Adels und stand klar auf der Grundlage des NS-Rassismus, so dass besonders Familien aus Pommern beklagten, dass der Adel „an manchen Stellen verjudet“ sei, was aufzuhören habe. Adolf Fürst zu Bentheim-Tecklenburg-Rheda, der „Adelsmarschall“ der DAG, bekundete Hitler bereits am 22.Juni 1933 „die Gefolgschaftstreue des deutschen Adels“. Karina Urbach gibt in Hitlers heimliche Helfer. Der Adel im Dienst der Macht , Freiburg 2023, eine differenzierte Innensicht der NS-affinen deutschen Adelsgesellschaften und geht der Frage nach, welchen Einfluss u.a. Carl Eduard von Sachsen Coburg und Gotha auf die britische Appeasement-Politik ausübte und wie sich diplomatisch Adelige wie Prinz Max von Baden oder Wilhelm von Hohenzollern dem NS-Regime andienten und diesem Vorschub leisteten. In Der Kronprinz und das Dritte Reich: Wilhelm von Preußen und der Aufstieg des Nationalsozialismus Geschichte einer Kollaboration, München 2023, hat Stephan Malinowski Fakten ausgebreitet, die erschüttern und maßgeblich dazu geführt haben, dass die heutigen Familienmitglieder der Familie von Preußen (das sich wie andere Vons und Zus rechtlich irrelevant als „Haus“ Preußen nennen) von Restitutionsansprüchen gegenüber dem Land Brandenburg und der Bundesrepublik Deutschland abgelassen haben. Sprachregelungen, Rituale und sogenannte Hausgesetze, ein elitäres Selbstverständnis, fundamentiert in Ländereien, Industriebesitz und Schlössern sowie einer Abstammungstradition des unveränderten Codes von „Noblesse oblige“ sind aber geblieben, bis in die Gegenwart. 80.000 adelige Personen soll es in unserer Republik geben. Aber schon die Formel „adelige Familie“ greift daneben. Seit 1919 sind die Adelsvorrechte abgeschafft. Aber das Namensrecht – anders als in Österreich – garantiert ein Fortleben der Hochwohlgeborenen, der Erlauchten und Durchlauchten, gar der Hoheiten. Eine kleine Umstellung der Fürsten-, Prinzen-, Grafen- und Freiherren-Titel im Namen und die eingemauerte Adelsgesellschaft (man bleibt unter sich) ist geblieben.
Doch gibt es seit 1919 eigentlich nur Bürgerinnen und Bürger, eben Staatsbürger. Der Adel ist historisch.
Alle adelsrechtlichen Privilegien wurden nämlich durch Art. 109 Abs. 3 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (RGBl. S. 1383; sogenannte Weimarer Reichsverfassung) aufgehoben.
Dies ist auch Ausfluss der Bestimmung des Art. 109 Abs. 1 und 2, wonach „alle Deutschen vor dem Gesetze gleich (sind)“ und „Männer und Frauen grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten (haben)“. Die bei Inkrafttreten der Weimarer Verfassung geführten Adelsbezeichnungen wurden Bestandteil des Familiennamens. Art. 109 der Weimarer Reichsverfassung gilt gemäß Art. 123 des Grundgesetzes als einfaches Bundesrecht weiter (vgl. z. B. das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11. März 1966 - VII C 85.63 -, BVerwGE 23, 344, 345).
Und doch adelt es weiter. Geradezu irrlichternd ist das Agieren der Regensburger Unternehmerin und Selbstdarstellerin Frau v. Thurn und Taxis, die, als Maria Gloria von Thurn und Taxis, geborene Gräfin von Schönburg-Glauchau (mit amtlichem Familiennamen ‚Prinzessin von Thurn und Taxis‘) seit 1982 überwiegend als Fürstin von Thurn und Taxis durch die Gazetten geistert, aber auch von TV-Sendern mit Aufmerksamkeit bedacht wird. Mit 29 Jahren erbte sie von ihrem 35 Jahren älteren Mann ein riesiges Vermögen (mit Privatbanken, Immobilien, Industriebeteiligungen und einer Brauerei), zu dem das Schloss Emmeram in Regensburg mit einer Wohnfläche von 21.500 Quadratmetern gehört, das auch von der CSU-Prominenz gern besucht wird. Zu den Schlossfestspielen war im Sommer 2025 war auch AfD-Chefin Alice Weidel eingeladen. Auf rund drei Milliarden Euro wird das Gesamtvermögen geschätzt. Es gibt kaum ein deutsches Medium, welches ihren inzwischen AfD-getränkten Verlautbarungen nicht wahrnimmt und ihr Sendezeiten einräumt. In einem Interview mit der ZEIT im Mai 2024 bezeichnete sie den rechtsextremen Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke als „deutschen Idealisten“, und an dessen SA-Ausspruch „Alles für Deutschland“ fand sie nichts. Sie sage ja auch „Alles für Regensburg“.
Die ehemalige sogenannte Punk-Fürstin hat ihre Schulbildung mit der Mittleren Reife abgeschlossen, was man ihren Äußerungen anmerkt. „Afrika hat Probleme nicht wegen fehlender Verhütung. Da sterben die Leute an AIDS, weil sie zu viel schnackseln. Der Schwarze schnackselt gerne!“ Das war am 9. Mai 2001 in der Hessische Rundfunk-Sendung von Michel Friedman.
Frau von Thurn und Taxis ist eine prägende Repräsentantin derjenigen, die sich in unserer Republik zum Adel zählen. Und es gibt nicht nur die sogenannten Häuser Oldenburg, Sachsen-Coburg-Gotha, Welfen, Wittelsbach, Hohenzollern, sondern Grafen- und Freiherren-Familien und unzählige Klein-Adelige, es sind ja über 80.000. In der DDR spielten diese Familien natürlich keine Rolle, es ist also ein westdeutsches Phänomen. Gazetten der Yellow-Press lassen keine Adelshochzeit und entsprechende Scheidungen und Begräbnisse aus. Der FAZ-Leser wird vor allem in den Wochenendausgaben gewahr, wie sich Durchlaucht und andere Edle – oft unter Missachtung des geltenden Namensrechts – präsentieren. Elisabeth Plessen (geboren als Elisabeth Charlotte Auguste Marguerite Gräfin von Plessen am 15. März 1944 in Neustadt in Holstein) hat 1976 mit dem Buch „Mitteilung an den Adel“ Aufsehen erregt durch ihre Innenansicht standesbewusster Familien aus dem adeligen Milieu. Und doch ist dem nichts gefolgt.
Das Faszinosum ist geblieben. Das gilt besonders für den ehemaligen Bundesverteidigungsminister, der durch seine plagiierte Dissertation aus der Bahn geworfen wurde. Die Wehrdienstzeit beendete er als Unteroffizier und stieg noch zum Stabsunteroffizier auf, konnte also die Reserveoffizier-Laufbahn nicht erreichen und studierte sodann Rechtswissenschaften, ließ es mit dem Referendarexamen bewenden, ohne die Große Staatsprüfung, das zweite juristische Examen, abzulegen. Seine politische Laufbahn von der CSU (als Generalsekretär) bis zum Wirtschafts- und dann Verteidigungs-Ressort ist atemberaubend. Seine Auftritte in den Medien, zuweilen begleitet von seiner attraktiven Frau (geborene Stephanie Gräfin von Bismarck-Schönhausen) waren es auch. Nun ist er fast omnipräsent bei TV-Talkrunden von Maybrit Illner, Markus Lanz oder Sandra Maischberger. Er wird ausnahmslos als ‚Herr zu Guttenberg‘ (manchmal als ‚Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg‘ angesprochen. Aber er heißt gar nicht so, obwohl sein richtiger Name kein Geheimnis ist, im Netz kann man das nachlesen. Und doch wird er im SPIEGEL, so in der Rehe „Spitzengespräch“ vom kompetenten Journalisten Markus Feldenkirchen so vorgesellt, ebenso bei der ZDF-Sendung „Markus Lanz“. Nicht anders bei der beflissenen Sandra Maischberger. Der neue Welterklärer heißt nämlich Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg. Der Name ist also kein Adelsname, er firmiert aber unter Weglassung des Namensbestandteils Buhl. Tatsache ist aber: Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg wurde testamentarisch von der Winzerin Frieda Piper adoptiert, die zuvor den Unternehmer Franz Eberhard Buhl geheiratet hatte. Nach dem Tod von Frieda Piper erbte Karl Theodor Buhl von und zu Guttenberg das Weingut. Adoption, um Knete zu machen, könnte man spöttisch sagen. Adelskonform? Und so hat er um lieben Geldes wegen den Adelsnamen abgegeben, ist eben nun der liebe Herr Buhl, der erst nach dem Bindestrich an sein Herkommen erinnert darf.
All das ist bekannt. Ehrenrührig ist das alles nicht. Aber warum macht unsere Presse in Funk- und Printmedien den „KT“ (so wurde er gerne in der CSU angesprochen) aus dem Dorf Guttenberg weiterhin zum Freiherrn? Das wirft Fragen auf an das Presseverständnis und an die journalistische Sorgfaltspflicht. Markus Lanz und Markus Feldenkirchen reagieren auf entsprechende Nachfragen nicht. Warum nicht? Es legt den Verdacht nahe, dass der Adel immer noch so viel Glanz in ein Gespräch hineinwirft, dass man sich erlaubt, journalistisch zu verkürzen, um Guttenberg als Adelsmarke am Tisch zu haben, zumal er ja ein eloquenter Gesprächspartner ist und nach seiner Scheidung mit seiner Vor-vor-Gängerin im Wirtschaftsressort Katharina Reiche liiert sein soll.
Das Adelsgetue der Yellow-Press und von Formaten wie „Brisant“ im ZDF kann man ja belächeln, aber wenn unsere Topmedien sich so an den Laden legen und sich so veradeln lassen, muss man das republikanisch-demokratische Selbstverständnis in Zweifel ziehen. Der Satz „Adel verpflichtet“ ist ja gut und schön, Recht und Gesetz aber verpflichten weitaus stärker. Diese Prinzipien gelten für alle 60 Millionen Staatsbürger der Bundespublik Deutschland und ebenso für alle, die darüber hinaus mit uns zusammenleben. Es gibt keine rechtsfreie Parallelgesellschaften, weder bei den sogenannten Migranten, noch bei den Familien, die seit 1919 keine Vorrechte haben, auch nicht im gesellschaftlichen Umgang. ARD und ZDF sowie die First-Class-Medien wie FAZ und Süddeutsche Zeitung und Magazine wie Der Spiegel sollten sich besinnen. Der Adel gehört integral zur deutschen Historie, keiner will das ignorieren, aber er ist eben Geschichte.
Erstellungsdatum: 25.12.2025