Offensichtlich haben unterschiedliche Kulturen auch unterschiedliche Auffassung davon, was und wie wichtig Poesie ist. Jede Übersetzung ist Interpretation. Das sei ein Problem, das nicht lösbar ist, sagte der syrisch-libanesische Philosoph, Lyriker und Übersetzer Fuad Rifka: „Jeder Übersetzer muss ein Dichter sein. Denken und Dichten bauen die Brücken.“ Fuad, der zu den Erneuerern der arabischen Lyrik gehörte, verstarb am 14. Mai 2011 mit 80 Jahren. Matthias Buth stellt den Dichter mit seinen Versen vor.
Der biblische König Salomon wusste, was die Zedern aus dem Libanon auszeichnete. Deshalb nutzte er diesen schönen und hohen Baum für den Bau seines Tempels und seiner Paläste. Das Zedernholz ist sehr haltbar und duftet betörend. In Psalm 104,16 wird auf die Zeder besonders Bezug genommen: „Es werden gesättigt die Bäume des HERRN, die Zedern des Libanon, die er gepflanzt hat." Zedern sind ein Stück Libanon, ein Synonym für das nahöstliche Land, das seit den Bibelversen des Hohen Liedes Salomons poetischen Glanz bewahrt hat.
Die Bibel ist pure Dichtung und verwoben mit einer Vorstellung, die im Menschennahen die Dimension Gott erfahrbar macht. Die Schönheit der Sprache, die in einfach anmutenden Versen emporhebt in eine überirdische Sphäre, wird in dieser Stelle des Liedes der Lieder erkennbar:
„Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz
Und wie ein Siegel auf deinen Arm.
Denn Liebe ist stark wie der Tod, und ihr
Eifer ist fest wie die Hölle.
Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn,
dass auch viele Wasser nicht mögen
die Liebe auslöschen noch die Ströme sie ertränken.
Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben
wollte, so gölte es alles nichts.“
Einander den Vers hinhalten (Reiner Kunze), das ist das Metier des Übersetzens, von einer Sprache zur anderen und auch, vielleicht im eigentlichen Sinne, im Über-setzen von einem Menschen zu anderen, von Mensch zu Gott. Und wer in einer, wer in seiner Sprache zu Hause ist, sie ausgemessen und beleuchtet hat, findet rasch Zugang zu anderen, also zu jenen Sprachen, die erst fremd sind und mit der Übung des Übersetzens immer vertrauter werden. Dem arabischen Dichter, Literaturwissenschaftler und Philosophen Fuad Rifka ist dies meisthaft gelungen, ein wirklicher Pontifex, ein Brückenbauer. Und so einer, der im Deutschen und Arabischen Brücken zu sich selbst errichten wollte.
„Ursprünglich bin ein Dichter. Aber gleichzeitig hatte ich eine große Neigung, die Philosophie zu studieren. Mein persönliches Gefühl ist, dass in manchen Fällen die Dichtung die Existenz des Menschen viel tiefer ausloten kann… Weil in der Dichtung das ganze Sein des Menschen aktiv ist,“ eine Confessio und poetologische Selbstbestimmung. Rifka war in der Tat ein poeta doctus, der indes seine Bildung und Belesenheit nicht in seine meist kurzen Gedichte hineinmengt, sondern ein arabischer Lyriker geblieben ist, der orientalischen Bildersprache nahe, der sich stets zurücknahm, fast in Demutsgeste seine Texte schrieb. Nichts trumpft auf, sondern lauscht die Natur ab, die Sprache, die mehr weiß als er.
Wer das Glück hatte, mit ihm zu sprechen, lernte einen so überaus liebenswürdigen und wirklich weisen Menschen kennen, der zuzuhören verstand und etwas wissen wollte, der in der Sprache lebte. Der 1930 in Beirut geborene Dichter und Denker brachte den Orient mit nach Tübingen. Dort promovierte er 1965 über die Ästhetik bei Heidegger mit einer Arbeit, die in die Denkweise des Mannes aus Todtnauberg hineinleuchtete, der uns Deutschen immer noch ein wenig unheimlich ist wegen seiner zeitweisen Nähe zum Nationalsozialismus. Dass er nach dem Weltkrieg II. einmal von Paul Celan besucht wurde, erstaunte lange Zeit.
Fuad Rifka steht für ein vergangenes Beirut, eines, das vielsprachig, vielreligiös mittelmeerische Grandezza hatte, fern von allem Fanatismus und jihadistischer Strategie. Dort hatte er als junger Autor 1957 die literarische Avantgarde-Zeitschrift SHI´R (das Wort für ‚Dichtung‘) zusammen mit Adonis und Yusuf al-Khal gegründet. Wenn sich ein weltgewandter Sprach-Könner, ein Philosoph (er lehrte Philosophie in Beirut ab 1966) und Dichter dem Deutschen zuwendet wie ein Liebender, rührt das an, manchen mag es irritieren, vor allem, wenn er deutsch für unrettbar NS-kontaminiert hält. Rifka aber sagte: „Die deutsche Lyrik ist ein Freund, mit dem ich ruhig im selben Haus wohnen kann.“ Er ging auf die deutsche Dichtung zu mit Sprachbeherrschung, Wärme und Begeisterung, die ersten Übersetzungen in der Beiruter Zeitschrift. Wer die Lyrik Friedrich Hölderlins versteht und ins Arabische übertragen kann, muss nicht nur ein Liebhaber, er muss ein Könner sein. Die Konstanzer Germanistin Norina Procopan (geboren in Clujs /Klausenburg), die über die Donau-Hymnen promovierte, sagte es mir: Hölderlin ist für einen Nicht-Muttersprachler fast verschlossenen und erfordert hohes Können in der deutschen Sprache.
Große Übersetzungen, besser ist wohl von Nachdichtungen zu sprechen, von Rainer Maria Rilke, Georg Trakl sowie von Johann Wolfgang von Goethe sowie des frühromantischen Nachthymnen-Dichters Novalis folgten. Das Werk Rifkas als Nachdichter ist erstaunlich und gibt der arabischen Welt einen tiefen Einblick in die deutsche Lyrikwelt. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung zeichnete ihn 2001 mit dem Friedrich Gundolf-Preis aus.
Ob Rifkas Dichtungen in deutscher Sprache tatsächlich so Hölderlin affin sind, daß man diese als Hölderlin in Arabisch lesen könnte – wie Stefan Weidner meint – , scheint mir recht kühn, auch wenn Rifka in „Tal der Rituale“ manche Texte mit „Hymnen“ überschreibt und „O Erde“-Aufrufe einbringt. Vielleicht sollte man eher andere mediterrane Dichter wie Guiseppe Ungaretti und Garcia Lorca aufrufen, um Nachbarkeiten mit der Lyrik Rifkas zu suchen.
Die gut wahrgenommenen Auftritte in Deutschland als Lyriker gelangen Fuad Rifka 1990 mit dem Band „Tagebuch eines Holzsammlers“ und 1994 mit „Gedichte eines Indianers“ (übersetzt von Ursula und Simon Yussuf Assaf) im verdienstvollen Heiderhoff Verlag (Eisingen), der umsichtig und liebevoll bis 2015 von Roswitha Theresa Heiderhoff geleitet und nun vom Bacopa Verlag übernommen wurde.
Liebende
Seit Jahren
altern beide unter einem Dach.
Morgens bewässern sie das Feld,
pflücken Blumen.
Abends
ihre Hand in seiner Hand,
den Mond betrachtend,
werden sie nie müde.
In Tübingen
Über ihre Geige beugt sie sich,
ihre Haare gemähte Ähren,
ihre Finger Körper der Saiten.
Wenn sie den Bogen zieht,
schließt sie die Augen,
zieht Nebel an und wandert,
wird Melodie und Lied.
Unter einem Steg,
in einer Welt versteinerten Blutes
flammt ihre Stimme auf:
Bésame Mucho
Stern
Vom Fischen
kehren die Schiffe zum Hafen zurück,
vom Donnerstag
kehrt der Regen zum Flussbett zurück,
von den Ebenen
kehren die Flügel zu ihren Nestern zurück,
vom Reisen
kehren die Lippen zu den Lippen zurück.
Und du?
Zum Stern dort
Zu ihm allein – deine Augen,
und kein Weg!
Diese herbstlichen Liebesgedichte haben etwas Erdnahes, Archaisches, ihre Einfachheit zeigt die hohe Kunst der Reduktion auf den sinnlichen Kern. Er macht die existentielle Botschaft fest und zugleich eine geradezu schwebende Religiosität. Die nahöstliche Landschaft wirft dem Gedicht Bildworte zu, die einfliegen, als gäbe es nur diese.
27. Januar 1983
Den Wüsten sagt er:
Weitet euch!
Meine Blicke sind Samen,
in meiner Hand
Wolken meiner Gedichte,
Tenne und Lorbeer.
Den Winden sagt er:
Ruht aus
an meiner Feuerstelle
und verbindet
eure Wunden!
Den Jahreszeiten sagt er:
Werdet ein Lied
auf meinen Lippen!
Hier ist mein Körper
ein Feld!
Die Sprache der Bibel schreitet oft mit erdnahem Pathos, das in seiner Schlichtheit innig und anrührend wirkt. Die Liebeslieder, die König Salomon zugeschrieben werden, haben ähnlichen Duktus. Und so ist es bei Fuad Rifka, der zudem aus Novalis` „Hymnen an die Nacht“ zu kommen scheint, aus der Weltentgrenzung romantischen Sprechens. Der Dichter war bis zu seinem Tod im Jahre 2011 ein Fährtensucher und ging gerne auf andere zu, so auf die 1923 in Prag geborene und 2003 in Köln gestorbene Dichterin Olly Komenda-Soentgerath, die im damaligen Heiderhoff Verlag drei beachtliche Lyrikbände vorlegte und eine Lyrik schrieb, die den klaren Klang suchte, ohne Ornamente, reine Anschauung mit reduzierter Sprache. Das war die Brücke zwischen beiden Autoren, Rifka übertrug deren Gedichte und erkannte in Olly eine Wesensverwandte.
Der 1941 in Stettin geborene Komponist und Musikwissenschaftler Klaus Hinrich Stahmer aus Würzburg wurde wohl durch Komenda-Soentgerath – beide Mitglieder der Esslinger Künstlergilde, ein Zusammenschluss von Autoren, Bildenden Künstlern und Komponisten aus den historischen deutschen Kulturlandschaften im östlichen Europa – auf Rifka aufmerksam. Auch er ließ sich von dessen Dichtung inspirieren, und so kam es zu einer besonderen Kooperation.
Bei dem in Zusammenarbeit mit Rifka entstandenen Zyklus Gesänge eines Holzsammlers (2009) bringt Stahmer die arabische Zither Quanun und Rahmentrommel zu Gehör und unterstreicht so den orientalischen Klang der Verse. Stahmer schreibt sich mit seinen Werken oft in die Welt, in asiatische und afrikanischen Kulturräume hinein und nimmt deren Instrumente in seine Klangsprache; Transkulturalität könnte der passende Begriff sein.
In einem Gesträuch
ein verliebter Spatz.
Er stimmt die Saiten
und sagt der Dichtung:
„Unter meinen Federn ruh dich aus
Und bemale die Blumen
Als Geschenk
für eine Frau,
deren Augen Regengüsse sind.“
Ein Spatz,
seine Federn sind der Kosmos.
Ein zauberhafter poetischer Einfall von Rifka in Versen, die Salomon auch gern gedichtet hätte. Dichtung ist immer Musik und Bild.
Siehe auch Lyrikline
Dem Bacopa Verlag sei gedankt für die Genehmigung zum Abdruck der Gedichte.
Erstellungsdatum: 23.08.2025