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Textland: Video-Interview mit Noemi Somalvico

Humor hebelt die Traurigkeit aus

Noemi Somalvico


Noemi Somalvico. Foto: Alexander Paul Englert

Humor kann uns in Distanz zu den eigenen Schieflagen bringen und das Absurde bewusst machen. Zum Thema „Humor als Widerstand“ hat das Literaturfest Textland kurze Video-Interviews mit einigen Autor:innen geführt. Für Noemi Somalvico ist Humor ein wichtiger Begleiter im Alltagsgeschehen. „Ich benutze Humor, um Entlastung in Situationen zu bringen, die der Lächerlichkeit preisgegeben sind oder in denen Menschen in eine Schieflage geraten.“ 

 

Was bringt dich zum Lachen?

Ich lache über Situationen, die unvorhergesehen eintreten. In jeder Sekunde kann das passieren. Das Letzte, worüber ich gelacht habe, war heute Morgen, also in der Schule. Ein Kind hat mir erzählen wollen, wie Tiere Menschen retten. Es hat nach einem Beispiel gesucht und – es ist etwa acht Jahre alt – ziemlich lange gebraucht, bis es diesen Satz herausgebracht hat: Einmal hat ein Gangster eine Frau bedroht und ein Reh ist dazwischengegangen. Das fand ich so wunderschön, Poesie kann eng mit Humor zusammenhängen. Eine kindliche Sicht auf Dinge, die erfrischend wirkt, kann ich sehr lustig finden.

 

Welche Funktion hat Humor für dich beim Schreiben?

Für mich ist Humor ein Mittel, um Distanz herzustellen, um überhaupt schreiben zu können.

 

Gab es überraschende Reaktionen auf deine Veröffentlichungen?

Ich hatte einmal eine Lesung in Stralsund vor einer Gymnasiumklasse, die mein erstes Buch Ist hier das Jenseits, fragt Schwein im Unterricht gelesen hatte. Die saßen da in diesem Saal und haben alle aufs Handy geguckt. Und ich dachte: O je, die können wahrscheinlich gar nichts damit anfangen. Aber ich habe die Lesung trotzdem durchgezogen, als wären sie die interessierteste Fangemeinde. Mittendrin habe ich mal in die Runde gefragt: Habt ihr inzwischen schon Fragen und seid ihr noch da? Da sind die Hände in die Luft geflogen, und ich habe gecheckt, dass sie sich auf ihren Handys Fragen notiert haben, die sie mir stellen wollten. Das war ein Schockmoment, der mir gezeigt hat, wie man sich täuschen kann.

 

Haben gesellschaftliche Krisen Einfluss auf dein Schreiben?

Ich habe den Eindruck, dass ich sehr durchlässig durch die Welt gehe und aufnehmen muss, was da kommt. Und so fließen Krisen, ob persönlich erlebt oder in der Zeitung gelesen, natürlich sofort in mein Schreiben ein, und ich muss einen Umgang damit finden, was ich als sehr anspruchsvoll empfinde. Sollen zum Beispiel die vielen Überschwemmungen, von denen berichtet wird, einen Platz in meinen Texten erhalten? Wie gehe ich mit den neuesten Nachrichten um, und was muss ich überhaupt aufnehmen? Was möchte ich aufnehmen? Das beschäftigt mich sehr.

 

Wofür brauchst du Humor? Was ist Humor für dich?

Ich benutze Humor, um Entlastung in Situationen zu bringen, die der Lächerlichkeit preisgegeben sind oder in denen Menschen in eine Schieflage geraten. Ich setze mich gern mit dem Prekären auseinander, denn die Norm oder das Genormte interessiert mich nicht. Humor hebelt die Traurigkeit aus. Ich liebe den Balanceakt zwischen dem Leichten und dem Schweren, und vielleicht ist diese Gratwanderung Humor. Manchmal ist es gar nicht nötig, etwas Lustiges zu schreiben, man muss nur hinsehen. Was man dabei beobachtet, kann total komisch sein, weil der Mensch unglaublich komisch ist und ganz komische Dinge sagt und es gar nicht bemerkt, weil es sich als Selbstverständlichkeit eingeschlichen hat. Als Schreibende ist man in einer Doppelrolle: Man ist zwar drinnen in der Situation, aber man ist auch Beobachterin und stellt als solche fest: Ah, so sagt man das, so macht man das also …

 


Noemi Somalvico im Textland-Video. Regie: Nina Werth © Textland

Erstellungsdatum: 28.05.2025