Nicht viel, aber keine Kleinigkeit: Stig Dagermans „Trost“. Gegen Ende seines kurzen Lebens schrieb der schwedische Journalist und Schriftsteller: „Alles was ich besitze, ist ein Zweikampf, und in jedem Augenblick meines Lebens tobt dieser Zweikampf zwischen den falschen Tröstungen, die bloß die Ohnmacht steigern und meine Verzweiflung vertiefen, und diesen echten Tröstungen, die mich hinführen zu einer flüchtigen Befreiung“. Kerstin Lücker hat das Buch gelesen.
Eine Krankheit, schreibt Javier Marias in Mein Herz so weiß, verändert unseren Zustand so sehr, „dass sie uns bisweilen zwingt, alles zu unterbrechen […] und die Welt nur noch von unserem Kopfkissen aus zu betrachten“.
In einer Ausgabe der schwedischen Zeitschrift Husmodern (Die Hausfrau) erschien 1952 der kurze Essay „Vårt behov av tröst är omättligt“ (Unser Bedürfnis nach Trost ist unstillbar) des schwedischen Schriftstellers Stig Dagerman. Der Fischer Verlag hat ihn unter dem Titel Trost neu aufgelegt und Felicitas Hoppe um eine Erwiderung gebeten. Etwas Besseres hätte dem Text, und seinen Lesern, nicht passieren können.
Dagerman blickt vom Krankenbett des von Depression und Todessehnsucht gezeichneten auf den Trost; nur wenige Jahre später wird sich der hochbegabte, literarisch erfolgreiche Schriftsteller mit 31 Jahren das Leben nehmen. Er bekennt sich in dem kurzen Text offen zu seiner Krankheit, auch wenn er seine unstillbare Sehnsucht mit einem anderen Bild einleitet: „Ich selbst jage Trost wie ein Jäger Wild. Wo immer ich ihn in den Wäldern auftauchen sehe, schieße ich.“
Ein Dreivierteljahrhundert später und deutlich älter, nimmt Hoppe ihm sanft das Gewehr aus der Hand, subtile Kritik an seiner Großjägermannssucht übend, und teilt ihm mit: Ich bin Sammlerin geblieben.
In Frankreich, so erzählt es der Verleger, sei der Text bei Neuauflage zum Kassenschlager geworden. In Zeiten des „erschöpften Selbst“ (Alain Ehrenberg) stößt Dagermans wortgewaltiges Bekenntnis zu Depressionen und Todessehnsucht offenbar auf Resonanz. Hoppes Erwiderung aber entpuppt sich nach wenigen Seiten als Entlarvung: „Denn in Wahrheit ist nicht unser Bedürfnis nach Trost, sondern unser Wunsch nach menschlicher Anerkennung und Bedeutung unstillbar.“
Das ist plausibel, und doch überraschend; warum, könnte man fragen, vollzieht der Autor dieses Ablenkungsmanöver, anstatt, da er sich schon so offen bekennt, die Sucht nach Aufmerksamkeit beim Namen zu nennen? Literarisch ist es produktiv: Wer Aufmerksamkeit heischt, hat ein Problem mit seiner Eitelkeit. Wer Trost sucht, begibt sich in den Bereich philosophischer und theologischer Fragen, die beide, Dagerman wie Hoppe, weidlich sezieren. Für Leser – jagdfreudig oder nicht – ist das ein Genuss! So ist es vielleicht müßig zu spekulieren, ob Dagerman sich für das Übermaß seines Geltungsbedürfnisses schämt. Er ist sich der Banalität psychischen Leidens bewusst, seiner falschen Gefühle, die wie ein überschäumender Fluss rechts und links über die Ufer treten. In einer philosophischen Abhandlung voll poetischer Wucht nimmt Dagerman der Sucht nach Aufmerksamkeit etwas von ihrem Stachel, verkauft sie uns als Sehnsucht nach Trost, und führt uns bildreich vor Augen, dass die Welt vom Kopfkissen des Krankenbetts anders aussieht. „Wie viel Schönheit lässt sich aus Unbehagen, Verzweiflung und Schwäche pressen?“
Hoppe wird zwar davongetragen, lässt sich jedoch nicht blenden; von der Wucht nicht und nicht vom Fluss, der das Maß verliert und über seine Ufer tritt. Ihre feine, präzise, poetisch reiche und zutiefst ehrliche Replik rückt die Dinge zurecht und weist dabei weit über sie hinaus.
Stig Dagerman
Trost
Deutsch von Paul Berf
mit einer Erwiderung von Felicitas Hoppe
64 S., geb.
ISBN: 978-3-596-71161-1
Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2025
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Erstellungsdatum: 12.05.2025