Beim Mitteln streichen die Statistiker die extremen Abweichungen weg, um aussagekräftige Ergebnisse vorzeigen zu können. Beziehen sie sich auf Personen, ist nicht auszuschließen, dass die Aussage des angestrebten Mittelbereichs auf keinen einzigen Menschen zutrifft, weil alle sich anderswo aufhalten. Statistik kann also menschenbereinigt fiktiv sein. Eldad Stobezki hat sich Notizen zu Schwarzweißträumen, Regenwasser, Versäumnissen, Tansania, zur Sprachlosigkeit und eben zur Bereinigung gemacht.
Kalenderbereinigt verzeichnete das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands im Jahr 2024 einen Rückgang von 0,2 %. Kalenderbereinigt bedeutet in der Statistik, dass Zeitreihen um Effekte der unterschiedlichen Anzahl von Kalender- oder Arbeitstagen in verschiedenen Monaten oder Jahren bereinigt wurden. Dadurch werden Vergleiche zwischen verschiedenen Zeiträumen erleichtert, da die Auswirkungen von saisonalen Schwankungen und Unregelmäßigkeiten im Kalender eliminiert werden.
Mit der Wirtschaft kann man statistisch spielen – von vorne oder von hinten bereinigen. Was wäre „kalenderbereinigt“ in Bezug auf das Leben? Kann ich die Zeit abziehen, in der ich in der Armee diente? Die Zeit, in der ich auf verspätete Züge wartete? Wann ich bestellt und nicht abgeholt wurde? Als ich eine ältere Freundin nach ihrer Gesundheit fragte, antwortete sie: „Altersbereinigt geht es mir gut.“
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Ein fünfzigjähriger Mann, eine Online-Bekanntschaft, schrieb mir aus Gaza: „Wir warten auf unseren Tod. Seit über zwei Monaten essen wir nur Linsen und Reis. Wir werden krank, ohne Vitamine haben unsere Körper keine Kraft mehr. Ich versuche, Lebensmittel für meine Kinder zu finden. Vielleicht sterben wir durch eine Bombe. Vielleicht verhungern wir einfach. Und die Welt? Sie sieht zu. Sie schweigt. Warum lässt man Israel das tun?“ Wird die Statistik auch die Zahl der Toten in Gaza bereinigen – so, dass es juristisch kein Völkermord mehr ist?
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Im Traum stand ich vor der Mauer, hinter der sich der alte jüdische Friedhof erstreckt. Auf dem großen Vorplatz waren Kiesel und neuerdings viele ungeschliffene Basaltsteine in verschiedenen Größen verstreut. Es waren keine Grabsteine – nichts war in die Steine gemeißelt. Die Sonne schien auf die schwarzen Steine und die weißen Kiesel leuchteten.
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Nach einem trockenen Monat regnete es endlich wieder. Es roch, wie es in meiner Kindheit nach dem ersten Regen in Israel roch. Auf Hebräisch gibt es für den ersten und den letzten Regen der Saison eigene Worte. Wir sammelten das Wasser für meine Großmutter. Sie wusch ihre Haare lieber mit Regenwasser.
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Die Vernissage der Fotoausstellung versäumten wir leider. Umso schöner war die Einladung zur Dernière.
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Beim Einschlafen stellte ich fest, dass ich nicht wusste, in welchem afrikanischen Land der Kilimandscharo liegt.
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Warum ich nichts über Trump schreibe, werde ich jetzt immer wieder gefragt. Bei Trump – und einer ganzen Reihe anderer Staatsoberhäupter und ihrer Spießgesellen – bleibe ich sprachlos. Genauso wie ich sprachlos blieb, als ich im Fernsehen einen Bericht sah, in dem Schaulustige eine „Watching Tour“ buchten – um auf Flüchtlingsboote im Mittelmeer zu gaffen und sie zu fotografieren.
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Ich erzählte einer Freundin, dass ich eine Sendung über Schloss Schönbrunn gesehen habe. Sie sagte: „Ich bin Wienerin, aber ich war noch nie in Schönbrunn.“ Den Wiener Zentralfriedhof besucht sie immer wieder, wenn sie „nach Hause“ fährt.
Eldad Stobezki
Rutschfeste Badematten und koschere Mangos
Gebunden, 150 Seiten
ISBN 9783949671159
Edition-W, Frankfurt, Frankfurt 2024
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Erstellungsdatum: 02.06.2025