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Aus dem Notizbuch von Eldad Stobezki

Krieg, Honig, Sternschnuppen

Eldad Stobezki


Perseiden. Foto: Ahmed abd Elkader Mohamed. wikimedia commons

Es sind „die schweren Ereignisse“, die selbst die flüchtigen, natürlichen Vorgänge in Eldad Stobezkis Notizen grundieren: den Kibbuz, die Avocadoplantagen, das Summen der Bienen, den Buchweizen- und Avocadohonig, das Saatgut, die Zeit, die Oper und die Alpen, Unterhosen und Meisenknödel. Nicht zu vergessen: der Perseidenregen.

 

Am 31. Juli 2025 zerstörte die israelische Armee eine Vermehrungseinheit der palästinensischen Samenbank in Hebron. Dort werden traditionelle Pflanzensorten gesammelt und an Landwirte verteilt. Neben der Anbaufläche wurden bei dem Angriff auch Gebäude, Geräte und Forschungsunterlagen vernichtet.

Traditionelles Saatgut gilt als Träger biologischer Vielfalt und des kulturellen Erbes, wurde jedoch im israelisch-palästinensischen Konflikt zum Streitobjekt. Es gibt nichts Symbolischeres als diese Vernichtung, um zu verstehen, welche Ziele Israel verfolgt – und zu begreifen, dass es für den Israel–Palästina-Konflikt keine Lösung gibt.

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Wer hat schon Erdnüsse, Kichererbsen und Kümmel auf dem Feld gesehen – und gleich genascht?

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Wir sind in der Oper. Es wird ein langer Abend werden; Wagner ließ sich Zeit, besonders beim Parzival. Erste Pause. Sofort klappt das alte Ehepaar in der Reihe vor uns die Handys auf: Flugmodus raus, WhatsApp an. Alles wortlos. Was kann schon so wichtig sein oder so eilig? Lag jemand in der Familie im Sterben? Nichts dergleichen. Sie sind doch süchtig. Später süffeln sie im Foyer einen Rheingauer Riesling. Immer noch ohne Worte.

Vor Jahren flog ich aus Israel zurück nach Frankfurt. Morgens um 4 Uhr bildete sich am Flughafen eine lange Schlange vor dem Security-Check. Alle lasen auf ihren iPads. „Checken Sie ihre Aktien an der Tokioer Börse“, fragte ich die Frau, die vor mir stand. Sie schaute mich irritiert an – wortlos.

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Die Nachbarinnen meiner Eltern tratschten gerne. Dabei gab es auch Positives zu hören. Über eine Nachbarin hieß es, bei ihr sei es so sauber, dass man vom Fußboden essen könnte.

Als Fünfjähriger stellte ich mir vor, wie die benachbarte Familie auf dem Fußboden herumkroch und die Suppe von den sauberen Fliesen schleckte.

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Vor ein paar Jahren – Carmel-Markt in Tel Aviv.
Ich schlendere so herum, reiner Touri-Modus: „Tel Aviv aufsaugen.“
Ich bleibe an einem Stand stehen – Unterhosen.
Brauche ich nicht, frage aber: „Was kostet die Unterhose?“
Der Verkäufer: „Dreißig Schekel. Aber, Bruder … du siehst mir aus wie aus Europa. Ich hab hier was ganz Feines – Schiesser! Beste Unterhose der Welt. Aus Deutschland. Willste sehen?“
Ich: „Willste was sehen? Ich trag grad ’ne Schiesser. Willste sehen?“

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Die Meise ist mit dem Meisenknödel beschäftigt / Die Brombeeren sind reif / Ich lese – und schlafe ein.

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Aus der Levante kommend, dachte ich immer, Olivenöl sei das beste Fett. Dann lernte ich einen Mann aus den Bayerischen Alpen kennen, der gerne mit Butter kochte. Er meinte: „Butter ist das Olivenöl der Alpen.“

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Eine Freundin, die früher Weberin war und alt und dement wurde, sagte zu mir: „Meine Gedanken lösen sich auf wie ein fadenscheiniges Stück Stoff,“ sagte sie zu mir. „Die Zeit verformt sich in Bahnen.“ Sie hatte ein visuelles Gedächtnis, aber die Worte flogen ihr nicht mehr in den Mund.

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In einem exklusiven Gewürzladen steht eine alte Dame vor dem Honigregal, in dem exotische Honige aus aller Welt angeboten werden. Sie hält ein Glas mit dunklem Honig der Hand und spricht mich an:
„Das ist Buchweizenhonig aus Alaska. Wissen Sie, ich kann nicht mehr verreisen, meine Gesundheit lässt es nicht zu. Mein Großvater war Bauer im Hunsrück, und er hatte einige Bienenvölker. Ich verbrachte dort die Sommerferien und durfte zusehen, wenn er den Honig erntete. Das Summen der Bienen höre ich noch heute. Als Ersatz für ausbleibende Reisen kaufe ich Honig aus fremden Ländern und schaue mir dann auf 3SAT die Geo-Filme an.“

Vor Jahren kaufte ich in Israel Honig von Avocadoblüten. Die Imkerei liegt im Kibbuz Yad Mordechai, sehr nah am Gazastreifen. Auch dieser Honig war sehr dunkel, schmeckte aber nach nichts.

Am 7. Oktober 2023 konnte eine Grenzschutzeinheit die Hamas vor Yad Mordechai noch stoppen. Ein Jahr später sagte Omri Peri, Leiter der Kibbuz-Gemeinschaft, im Gespräch mit der Zeitung Maariv:
„Seit dem 7. Oktober hat der Kibbuz eine einschneidende Wandlung erlebt. Es steht außer Zweifel, dass unser gewohntes Leben nicht mehr dasselbe ist. Die schweren Ereignisse haben uns gezwungen, uns sowohl mit persönlichen als auch mit kollektiven Traumata auseinanderzusetzen. Wir waren monatelang fern von unserem Zuhause. Jetzt befinden wir uns in einem Prozess des Wiederaufbaus und versuchen, zur Normalität zurückzufinden – ein Weg, der noch lange nicht abgeschlossen ist.“

Der Kibbuz, einst Symbol für Beständigkeit und Gemeinschaftsgeist, steht nun vor der Herausforderung, ein neues Gleichgewicht zwischen Erinnerung und Neuanfang zu finden. Und mit Avocado-Plantage und Bienenzucht geht es dann auch weiter.

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Heute Morgen zwischen 2 und 4 Uhr soll es Perseiden geregnet haben. Konnten sich die Sternschnuppen nicht eine passendere Zeit aussuchen?

Eldad Stobezki
Rutschfeste Badematten und koschere Mangos

Gebunden, 150 Seiten
ISBN 9783949671159
Edition-W, Frankfurt, Frankfurt 2024

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Erstellungsdatum: 25.09.2025