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Austria-Nachtgedanken

Liebe ist ein süßes Licht

Matthias Buth


Flagge des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. wikimedia commons

„Kriege lass andere führen, du glückliches Österreich, heirat‘! / Denn was den anderen Mars, Venus, die Göttin gibt’s dir.“ Mit diesem Distichon – im lateinischen Original heißt es „Tu felix Austria“ – umschrieben die Habsburger ihren Landgewinn durch Heiratspolitik. Venus hat sich jetzt offenbar entfernt. Die politischen Verhältnisse haben einen rechtsextremen Mann an die Regierung gebracht, der aus Österreich ein ganz anderes Land machen will. Matthias Buth kommentiert die Situation.

 

Denk ich an Öst ‘reich in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.

 

Heinrich Heine kam nicht aus Wien, er kam aus dem Rheinland, aus Düsseldorf und starb 1856 in Paris, im Marseillaise-Land, das ihn aufnahm. Seine Heimat hatte er mitgenommen: seine Sprache. Sie hielt ihn über Wasser bis zum Tod, dieses mitreisende Vaterland blieb ihm. Deutschland „das kerngesunde Land“ ist Heine-Land, das Sprachland, keine ethnische Wagenburg.

Aber spricht Heine heute nicht auch von der Alpenrepublik, das uns Deutschen Heimat ist, auch Heimat ist, weil auch hier die deutsche Sprache wohnt? Wer will eine „Festung Österreich“, wer sprach nochmal von der „Alpenfestung“? Nein, wir haben in Berlin, Köln, Hamburg, Dresden oder München immer Sehnsucht nach Österreich, ein Mutterland, ein Land der Musik und des Unterwegsseins zu sich. Und umgeben von Tabus.

Erwin Chargaff, 1905 in Czernowitz geboren, als die Bukowina noch Habsburger Kronland war, er also Österreicher, der große Essayist und Biochemiker, der die DNA entschlüsselte und fast hundertjährig 2002 in New York starb, hat allen in Österreich und Deutschland eine klassische Erkenntnis hinterlassen, nämlich: „Wer zuweilen im Zwischenreich leben darf, verlässt es niemals ganz. Es ist, als lebte er glücklich gespalten in zwei Welten“. Herrlich, ein Satz wie eine Lupe – auf Österreich, auf Deutschland, ja, auf jeden Menschen. Das ist ein Denken in der Geistestradition des Böhmen Karl Kraus, der 1936 in Wien zu Grabe getragen wurde und damit die Zeitschrift „Die Fackel“, die er 37 Jahre herausgab und überwiegend selbst schrieb.

Österreich ist uns in Deutschland nie egal, nie irgendwie abseitig, sondern ist ein Kristallisationspunkt für unser nationales Selbstverständnis. Wir sind eben verschwistert. Das wollen manche nicht wahrhaben, meinen, wir seien die „Piefkes“ und Österreich sei von der deutschen Kulturnation (von der „europäisch gewachsenen Kulturnation“, wie es im Deutsche Welle Gesetz heißt) weit entfernt.

Blickt man auf die Geschichte, stellen sich andere Befunde ein. Besonders das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war mehr als eine Klammer, es bildete einen politischen wie kulturgeschichtlichen Gestaltungsraum vieler Völker, besonders der dominierenden sieben deutschen Kurfürstentümer. Der Zusatz „Deutscher Nation“ wurde ab dem späten 15. Jahrhundert gebräuchlich (auch im sogenannten Kölner Reichsabschied von 1515 dokumentiert) zur Selbstbezeichnung jenes Reiches, das dem Imperium Romanum folgen sollte unter christlichem Impetus. Der Zusatz „Deutscher Nation“ wird in der Wiener Geschichtsschreibung schon mal weggelassen aus Sorge um das eigene staatliche und so österreichische Selbstverständnis.

Zehn Herrscher aus der Dynastie der Habsburger waren Kaiser eben dieses Reiches. Als Napoleon das Heilige Römische Reich zerschlagen wollte und mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 die Enteignungen der Klöster in Gang brachte, brachen die Strukturen und das Reich wankte. Napoleon wollte es beseitigen. Kaiser Franz II. kam ihm zuvor und legte die Krone am 6. August 1806 nieder. Seitdem liegen die Kaiserinsignien in der Wiener Hofburg und werden nie für Ausstellungen herausgegeben – gehütet wie der heilige Gral.


Adolf Hitler sprach am 15. März 1938 zum ersten Male von der Rampe der Wiener Hofburg. Foto: Deutsches Bundesarchiv. wikimedia commons

Der 13. März 1938 – der Anschlusstag – war ein schauerliches Ereignis, die Szenen auf dem Wiener Heldenplatz sind eintätowiert in die Gedächtnishaut der Österreicherinnen und Österreicher, aber auch der Deutschen. Auf diesen Tag lief eine Entwicklung zu, die man gerne verdrängt und die doch Deutschland und Austria verbindet, verbindet im Schrecken: der austrofaschistische Staat unter Seyß-Inquart besiegelte am 13. März die staatliche Vereinigung mit Deutschland durch das von der Bundesregierung beschlossene Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich. Damit endete die rechtliche Existenz des diktatorischen österreichischen Bundesstaates und seine Bundesbürger wurden rückwirkend zu deutschen Staatsbürgern. Der Begriff „Wiedervereinigung“ passte indes 1938 genauso wenig wie am 3. Oktober 1990, als die DDR sich der Bundesrepublik Deutschland anschloss. Am 27. April 1945 wurde der sogenannte Anschluss als ex tunc, also als von Anfang für nichtig erklärt; die Rote Armee hatte Wien erobert und bestand darauf – und forderte vom demokratischen Österreich die immerwährende Neutralität.
 
Ich habe mich zwar hingegeben, doch nur weil ich gemußt.
Geschrien habe ich nur aus Angst und nicht aus Liebe und Lust.
Und daß der Hitler ein Nazi war – das habe ich nicht gewußt
 
Der Dichter Erich Kästner brachte es auf den Punkt. Gedichte wissen oft mehr. Österreich als Opfer des NS-Terrorstaats Deutsches Reich? Geschichte ist immer Gegenwart und stets Teil der Politik, welche die Wahrnehmung historischer Ereignisse steuert, genau, ungenau und oft auch verfälschend. Putin ist ein Beispiel: Er sieht die russische Welt ist „dem Westen“ überlegen, dem Heiligen nah.
Ja, und im Österreich der Gegenwart breiten sich Sorgen aus. Politische Befürchtungen, die in der Geschichte wurzeln. Die FPÖ ist vom SS-Führungsleuten gegründet worden, was schon bemerkenswert ist. Wichtiger und ein Indikator für das Österreich der nahen Zukunft ist die Sprache der Politik, also das, was Herr Kickl sagt, verbunden mit dem erkennbar Ungesagten.

Erstellungsdatum: 29.01.2025