Es soll auch gute Nachrichten geben. Am Sonntag, den 28. September 2025, 11:30 Uhr, wird im Kino Traumstern in Lich der Licher Literaturpreis verliehen. Er geht diesmal an Sissi Tax für „das abc der sissi tax. wörterbuch“. Tax kommt aus der Steiermark, lebt aber seit über 40 Jahren in Berlin. Ihre Prosa fällt unter die Kategorie Experimentelle Literatur. Und damit entspricht sie den Vorgaben des Licher Literaturpreises, der von dem früheren Anabas-Verleger Günther Kämpf und Vilma Link-Kämpf gestiftet wurde. Bernd Leukert hat das Wörterbuch mit großem Vergnügen gelesen.
Gleich vorneweg: Dies unterhaltsame Buch wird man nicht auf den Paletten der Großbuchhandlungen finden. Es bedient das Publikum nicht mit Familien- und Seelendramen. Es erzählt überhaupt keine erlebten oder ersonnenen Geschichten und gibt auch nicht vor, dergleichen zu versuchen. Unter dem Buchtitel „das abc der sissi tax“ steht „Wörterbuch“. So heißt hintersinnig ein Buch voller Wörter wie auch – im engeren Sinne – ein Buch, in dem Form und Bedeutung der Wörter deutscher Sprache erklärt werden. Es ist also beides, wobei die Erklärung implizit geschieht. Denn es ist die Fortspinnung des Wortes zur Wortreihung, die es selbst erklärt. Formal ist der Text tatsächlich alphabetisch strukturiert, wobei das Wort mit dem zuständigen Anfangsbuchstaben adverbial ummantelt auftritt: „vom ach betört“ oder „des anfangs enthoben“.
Wer an eine Neuauflage von Inger Christensens Gedicht „Alfabet“ denkt, liegt also nicht so ganz richtig. „das abc der sissi tax“ – die Kleinschreibung ist Prinzip und erlaubt keine Ausnahmen – hat mit der Fibonacci-Reihe oder anderen formalen Ordnungskriterien nichts zu tun. Im Gegenteil: Systematik ist Nebensache. Im abc fehlt schon mal das c, aber auch zu e, t und p gibt es keinen Eintrag, von anderen, wie vom „oxymoron“, werden unergiebige Buchstaben absorbiert. Da gibt es nichts zu rechten. Es geht ohnehin um anderes.
Sissi Tax, die im steirischen Köflach aufwuchs, studierte in Graz und Berlin Germanistik und Pädagogik. Bis zu ihrer Promotion (mit einer Arbeit über Marieluise Fleißer, die als „schreiben. überleben. ein biographischer versuch“ 1984 bei Stroemfeld erschienen ist) war sie Redakteurin der Literaturzeitschrift manuskripte. 1982 zog sie nach Berlin, wo sie als Verlagslektorin und Herausgeberin arbeitet und 1986 bis 1988 stellvertretende Leiterin des Literaturhauses war.
Sicher hat die Arbeit in der Redaktion der manuskripte, dem Medium des Forums Stadtpark und der Grazer Gruppe („eine Gruppe von Einzelgängern“), die Autorin vom sicheren Pfad der Konventionen weggeführt. Wohin sie sie geführt hat, dafür gibt es bisher – glücklicherweise – noch keine literaturwissenschaftliche Definition. Prosa, das wäre so korrekt wie nichtssagend. Es sind Sprachkunstwerke mit einem starken poetischen Einschlag. Was Sissi Tax‘ Prosa ausmacht, ist schon der Eingangspassage zu entnehmen, in der das a sogleich mit dem b als Einspruch, als Lemma aber genommen ist:
dem aber entkommen, kommt abel ins spiel. kein anderer. auch kein abracadabra und kein menetekel. woher das wohl kommen mag. womit das wohl zu begründen sein mag. wem das wohl zu verdanken sein mag. wer das wohl angestiftet haben mag. wodurch das wohl ausgelöst worden sein mag. was das wohl bedeuten mag. wie das wohl zu deuten sein mag. wohin das wohl führen mag. wohin das wohl sich ergießen mag. wie das wohl ausufern mag. ins uferlose oder ins gnadenlose oder ins bargeldlose. abel, uferlos. abel, gnadenlos. abel, bargeldlos. was wäre wohl das angemessene los.
Über Abel hinaus kommen über Ähnlichkeiten und inhaltlichen Bezügen eben Wörter ins Spiel, deren Bedeutungsfelder miteinander ins Singen und Schwingen kommen. Dazu kommt: Sissi Tax pflegt einen heiteren Umgang mit der Sprache. Genauer gesagt, sie sucht sich den Grat, auf dem der ernste und der unernste Charakter der Wortentdeckungen in eins fallen. Gegen Ende, wir sind beim Buchstaben w und beim Stichwort wind, scheint alles, was sie im wörterbuch ausprobiert, zusammenzukommen:
dem wind hingegeben, geht es um etwas. um haut und haar. um haaresbreite. um kopf und kragen. um den fingerzeig. Um einen deut, um zwei deuts. um drei deutungen. um das alles und um das nichts. Das heißt, um die dicken gedanken wie die dünnen gedanken, die sich ranken um das, worum es geht, sich auch winden und girlanden um jenes etwas, um das es geht. wie dies geht und worum es sich dabei dreht, bleibt zur zeit ein rätsel. ein rätsel der natur, der kunst und der kunstnatur. natürlich.
Das ist, so leicht und rhythmisch bedacht es daherkommt, in eigener Sache gesprochen. Die Fülle der „Möglichkeitsblitze“, die Sissi Tax mit spürbarem Schreibvergnügen aufscheinen läßt, kann nicht das erhellen, worum es geht, nämlich, wie beim verschleierten Bild zu Saïs, um die Wahrheit. Aber sie kann den Blick lenken auf die offene oder verborgene Schönheit in den Girlanden der Sprache, die sich gleichsam humanistisch grundiert, wenn es beim Buchstaben m, der den Menschen aufruft, heißt:
dem menschen verschrieben, lässt menschenverstand grüßen. allerdings bloß von fern, aus der ferne, der fernsten ferne und doch so nah, da ja mensch und verstand miteinander verbandelt sind. wenn auch auf vertrackte weise…
Wer also Verstand und Lust an der Sprache hat, der wird seine Freude an dem Buch haben. Seine volle Wirkung entfaltet es, wenn man die Einträge laut liest – oder vorliest.
Anmerkung der Redaktion
Der Autor dieses Beitrags ist Mitglied der Jury des Licher Literaturpreises.
Sissi Tax
das abc der sissi tax. wörterbuch
96 S., brosch.
ISBN: 978-3-85415-685-7
Ritter Verlag, Klagenfurt, Graz und Wien 2025
https://www.ritterbooks.com/produkt/das-abc-der-sissi-tax-woerterbuch/
Erstellungsdatum: 17.09.2025