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Aliette de Laleus „Komponistinnen. Frauen, Töne & Meisterwerke“

Mozart war eine Frau

Kerstin Lücker


Die Komponistin Ethel Smyth, um 1916. Foto: Olive Edis/wikimedia commons

Es überrascht nicht zu lesen, dass Frauen in der Menschheitsgeschichte im Vergleich zu Männern stets benachteiligt waren. Evident ist auch, dass die Ungleichheit nicht naturgegeben ist. Es fehlt nicht an Nachweisen, dass das, was Männer können, Frauen ebenso zu tun in der Lage sind. Kerstin Lücker hat sich nun mit einem Buch beschäftigt, das sich den Komponistinnen in Geschichte und Gegenwart widmet.

 

Seit Jahren geht mir ein Begriff durch den Kopf, den ich gelesen zu haben glaube: Die Musikgeschichte, schrieb meiner Erinnerung nach der amerikanische Musikwissenschaftler Richard Taruskin, habe sich lange Zeit auf Italien, Frankreich und Deutschland konzentriert. Wer Substantielles zu ihrer Entwicklung beigetragen hatte, der war auf einem dieser Schauplätze aufgetreten. In dicken Bänden, in denen diese Geschichte ausgebreitet wird, fänden sich alle anderen Komponisten in Kapiteln wieder, die Taruskin „Ghetto Chapters“ nennt. Grieg, Janáček, Elgar, Bartok sperrte man zwischen die Seiten solcher Ghetto-Kapitel ein, ohne Verbindung, ohne nennenswerten Beitrag zur Entwicklung der Musikgeschichte. Ähnlich ergeht es bis heute den Frauen. Was immer sie historisch als Musikerinnen und Komponistinnen geleistet haben, wird unter dem Label „Frauen“ verkauft.

So auch das 2024 erschienene Buch Komponistinnen der französischen Musikwissenschaftlerin Aliette de Laleu. Es ist ein übersichtliches, gut lesbares Werk, in dem de Laleu uns Lesern eine große Zahl von mehrheitlich kaum bekannten Komponistinnen und Musikerinnen nahebringt. Eindrucksvoll rollt sie die Geschichte komponierender und musizierender Frauen von der Antike bis zur Gegenwart auf; erzählt von Barockkomponistinnen in Italien, die sich gegen alle Widerstände durchsetzten, von der Blüte der „weiblichen“ Oper während der französischen Revolution. Von den Tricks, mit denen Frauen sich Gehör verschafften, und natürlich den Diffamierungen, die sie durch alle Jahrhunderte hindurch erlebten. Auch wirft sie einen Blick auf die Darstellung von Frauen in Opern (unglücklich, untreu, hysterisch) oder die geschlechtsspezifische Festlegung von Instrumenten („Trompeten werden nur von Männern gespielt“). Und, was besonders schön ist: Sie beendet jedes Kapitel mit einer Liste von Werken der Komponistinnen und Interpretinnen, von denen sie erzählt, und nennt Beispielaufnahmen zum Nachhören.

Aliette de Laleu liefert mehr als eine Aneinanderreihung von Frauenbiografien, indem sie diese immer wieder mit Reflexionen durchbricht. Und dennoch untergräbt auch dieses Buch das jahrzehntelange Bemühen um eine Korrektur der Musikgeschichte. Das beginnt mit dem deutschen Titel Komponistinnen. Frauen, Töne & Meisterwerke. Diese unfassbar lahme Übersetzung des deutlich ansprechenderen französischen Originals: Mozart était une femme. Histoire de la musique classique au féminin verweist auf ein grundsätzliches Problem, das darin besteht, dass solche Monografien, ganz gleich, wie sie geschrieben sind, die Frauen in Ghetto Chapters der Musikgeschichte einsperren und damit eben nicht leisten, was notwendig wäre, um sie dem Vergessen zu entreißen: Obwohl sich Musikwissenschaftlerinnen schon vor einem halben Jahrhundert durch die Archive wühlten und die Biografien tausender vergessener Komponistinnen und Musikerinnen ans Licht brachten, wurden sie nahezu alle, mit wenigen Ausnahmen, nicht in die allgemein bekannte Musikgeschichte aufgenommen. Es ist bis heute kaum gelungen, weibliche Musikerinnen aus jenen Sonderkapiteln und Bibliotheksregalen zu befreien, in die sie wegen ihres Geschlechts einsortiert werden. So entgehen sie auch im Buch von Laleu nicht dem Gefängnis seiner Struktur, die im Kern eben doch in einer Aneinanderreihung von Frauenbiografien besteht. Vermutlich aber werden Frauen erst dann wirklich sichtbar, wenn sie dort auftauchen, wo von Männern die Rede ist.

 

 

Aliette de Laleu
Komponistinnen. Frauen, Töne & Meisterwerke
Aus dem Französischen von Petra Willim
173 S., geb.
ISBN: 978-3-15-011470-4
Verlag Reclam, Ditzingen 2024
 
 
 
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Erstellungsdatum: 08.09.2025