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Ein Kommentar

Muskierte Bilder

Matthias Buth


Tabernakel im Frankfurter Dom St. Bartholomäus. Foto: Bernd Leukert

Es geht um das Menschenbild, das zu erstreben die Bildung rechtfertigt. Und es ist immer Menschenverachtung im Spiel, wenn Plutokraten politische Empfehlungen abgeben. Wie beides miteinander, mit Sprache, Literatur und Deutschland zusammenhängt und welche Rolle die Wahrheit dabei spielt, sieht in seinem Kommentar Matthias Buth.

 

Das Wort Bildung schließt das Wort Bild ein, ist also immer Projektion und wird umrissen von unserem Vorstellungsvermögen. Der Mystiker Meister Eckhart (1260-1328) hat diesen Begriff (auch in diesem Wort wird das Bild vom Greifen der Hände angesprochen) geprägt. Eckhart bezog sein Denken immer auf Gott, dem er als Mensch ähnlich oder gar ebenbildlich werden wollte. Demnach habe der Mensch keinen Einfluss auf die Bildung, denn diese geschehe nach dem Abbild Gott und werde an ihn herangetragen. Sich selbst bilden könne der Mensch nicht. Insofern heißt für Eckhart Bildung Bildwerdung.

Das sind kühne Gedanken. Sie scheinen fern und reichen doch in die Gegenwart. Grundtext der Christen ist das Johannes-Evangelium, wonach im Anfang das Wort war, von Gott kam und Wort und Fleisch eins wurden. Ein noch kühneres Sprachbild. Es sagt uns, dass alle Sprachen aus Bildern bestehen, so wie die Hieroglyphen ja Bilder waren, die dann in die Zeichenhaftigkeit der Schrift wechselten.

„Die Wahrheit ist etwas so Erhabenes, dass, wenn Gott die Wahrheit verleugnen könnte, ich die Wahrheit anbeten würde und Gott nicht.“ Auch dieser Leitsatz des deutschen Mystikers erstaunt. Denn er stellt gedanklich Gott zur Disposition, nur um konkludent zu betonen, dass Gott die Wahrheit ist, die Schwester der Liebe.

Solche sprachlichen Höhenzüge ziehen auch Personen an, die sich heute zu Erscheinungen der Welt äußern und mit einem absoluten Wahrheitsanspruch ausstatten.

Zu Verkündern höherer Einsichten ins Weltgeschehen haben sich Donald Trump und sein williger Vollstrecker Elon Musk ausgerufen.

„Nur die AfD kann Deutschland retten“. Ein Satz wie ein Axiom und so mit höchster gedanklicher Autorität ausgestattet. Die Zeitung „Welt am Sonntag“ hat ihn fataler Weise veröffentlicht. Er empört, denn er greift Sprachbilder auf, die in uns schlummern und die uns eigentlich in Ruhe lassen sollen. Deutschland, da spricht der ferne Mann aus den USA von Deutschland. Was ist das denn für ein Begriff? Der Bundespräsident hat diesen schon lange aufgegeben, auch in der Weihnachtsansprache zum 24.12.2024, in der er beständig vom Land, in dem wir leben, von unserem Land sprach, aber den Namen des Staates, den er repräsentieren soll, tunlichst vermeidet. „Deutschland, ein Land aus dem Ausland“ , heißt es in einem Gedicht zur „deutschen Wende“, in einer Anthologie, die der Kölner Germanist Karl Otto Conrady 1993 herausgab. Musk leuchtet noch tiefer in unser Bewusstsein hinab, als er die Lebenspartnerin von Frau Weidel anspricht, also deren lesbische Beziehung und dann keck fragt: „Klingt das für Sie nach Hitler? Ich bitte Sie!“ Das ist es, was wir nicht hören wollen und doch 1000 Jahre bleiben wird: Deutschland = Hitler. 55 Millionen verloren ihre Leben – durch Deutschland. Die Sowjetunion beklagte 23 Millionen Tote zwischen 1941 und 1945. Und Putin sieht sich als Rächer dieser Toten – nach dem verlorenen Kalten Krieg von 1990/91. Weidel und andere haben wenig Bildung und stehen nicht für das Land, das erst durch die Sprache und das Recht zu Deutschland geworden ist, in dem alle erst mal Nicht-Deutsche waren. Denn Deutschland ist ein Sprachbild und keine Ethnie. Und immer stehen wir alle immer noch „draußen vor der Tür“. Borcherts Hörspiel, das zum Theater wurde, sagt es uns. Die derzeitige Aufführung im Düsseldorfer Schauspielhaus folgt so ganz der Begriffsverweigerung des Bundespräsidenten und kappt den Dichtersatz, den Satz der Unteroffiziers Beckmann im Heimkehrer-Drama von 1947. Denn Borchert schrieb vom Prolog und im Stück den berührenden Satz „Ein Mann kommt nach Deutschland“, und eben nicht wie das Düsseldorfer Regietheater „Ein Mann kommt nach Hause“. Von den Musks und Trumps sollten wir uns nicht sagen lassen, was Deutschland ist, und schon gar nicht, wer es „retten“ kann. Stauffenberg – erst Nazi, dann Umstürzler aus edler Gesinnung und dem Naturrecht verpflichtet – wollte retten und die „Majestät des Rechts“ wiederherstellen. Im Bendlerblock hängt die Tafel der Verschwörer. „Sie starben für Deutschland.“

Der Bundeskanzler verneigte sich am 20. Juli 2024, sprach aber nicht von dem Begriff, der uns so schwer über die Lippen geht.

Die Musks und Weidels der Gegenwart wissen nichts. Sie wiegeln auf. Und wo sind die Dichter der Gegenwart? Im PEN kein Licht. Und Hölderlin ist zu lange tot.

Erstellungsdatum: 31.12.2024