„Stets habe ich daran glauben wollen, dass Kraft und Schönheit auf ein und derselben Linie liegen“, bemerkte Oscar Wilde. Dass sich das im Sport manifestiert, besonders wenn die Konzentration aufs Spiel die Aufmerksamkeit des Menschen für seine eigene Performance löscht und er sich selbst vergisst, weil er unbeirrt sein Ziel verfolgt, haben schon antike Autoren beschrieben. Der Tennisspieler Matthias Buth hat den Faden wieder aufgenommen.
Wir wissen es längst, haben dieses Wissen aber noch nicht ganz ins innere Bewusstsein durchtropfen lasen: Der Tennisplatz ist eine Bühne. Dort werden wir verhandelt. Auf dem roten Sand öffnen wir uns existentiell und lassen so hineinblicken in das, was uns im Innersten zusammenhält. Mein alter Vater, dessen gelben Lacoste-Pullover mit V-Ausschnitt und Zopfmuster ich aus den 1960-er Jahren des letzten Jahrhunderts gerettet habe und bei Meden-Spielen zum Erstaunen meiner Mitspieler gern trage, sagte immer: Wenn Du einen Menschen kennenlernen willst, schau ihm beim Tennisspielen zu. Seine Schläge, sein Defensiv- und Offensivspiel, sein Gang und die ganze Körpersprache auf den Platz, auch beim Seitenwechsel, beim Rückstand und erst recht bei den Big Points, legen dessen Innerstes frei.
So wie eine, so wie einer spielt, so ist sie, ist er. Schon Altmeister Friedrich Schiller wusste es. 1795 schrieb er in seinem Essay „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“: Der Spieltrieb solle nicht bloß Sachtrieb sein. Der Mensch solle nur mit der Schönheit spielen.
Ist das nicht herrlich.
Spiel und Schönheit sind verschwistert, bedingen sich. Und dies in allen Lebensbereichen, nicht nur im Spiel mit dem Ball. Und dann kommt Schiller zum Kern in der Feststellung: „Denn um es endlich einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Das klingt heroisch und auch herausfordernd. Das erkannte Schiller und fügte seinem existentiellen Diktum an: „Dieser Satz, der im ersten Augenblicke vielleicht paradox zu sein scheint, wird eine große und tiefe Bedeutung erhalten, wenn wir erst dahinter seyn werden, ihn auf den doppelten Ernst der Pflicht und des Schicksals anzuwenden.“ Und dann schwingen die schillerschen Gedanken weiter zu den alten Griechen und weben den „Zwang des Sittengesetzes“ mit jenem Zwang der Naturgesetze zusammen.
Das klingt vielleicht etwas anstrengend. Doch die Verbindungslinien erhellen sich, wenn wir auf das Tennisspiel des Schweizers Champion Roger Federer schauen.
Dieses war deshalb so faszinierend, weil sich Eleganz und Kraft, Körperlichkeit und Sinnlichkeit so ereigneten, dass man mit den Augen mitspielte, bei manchen Passagen des Matches in seinem Spiel war, sich als Mensch in ihm korporierte. Und wem das als verstiegen klingen mag, sollte sich an die schönen Sätze erinnern, die unsere deutsche Weltgeigerin Anne Sophie Mutter zum Federer-Spiel gesagt hat, dass diese beiden überragend talentierten Menschen befreundet sind und so, dass uns das Spiel von Geige und Schläger doch etwas sagt und uns zum Eigentlichen: dem existentiellen Befund des Menschseins hinführt, getragen von der Schönheit, die sich im Spiel eröffnet. Magische Momente eben.
Wir lesen den andern im Spiel und zugleich uns selbst. Und immer bleibt die Sehnsucht nach dem perfekten Schlag, die uns aus dem tiefen Gemüt zuruft: Versuche es. Trotz allem. Doch in der Regel wird nichts draus, bleiben wir ein Sisyphos vergeblicher Schläge. Und spielen doch weiter.
Albert Camus schreib 1942: „Der Kampf gegen den Gipfel mag ein Menschenherz auszufüllen“ und schleuderte uns die Erkenntnis in den Alltag: „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen“. Ja, das trifft. Der Vergeblichkeit das Feld nicht überlassen, immer wieder das Gleiche tun und doch zu wissen, dass der Fels wieder ins Tal stürzt, der Ball, der Schlag eben nicht gelingt und wir nicht aufgeben, uns nicht, das Spiel nicht: Das ist es, was das Leben ausmacht. Schiller und Camus waren Existentialisten und Idealisten zugleich. Sie glaubten an den Menschen, an seine Duldsamkeit und an das innere Brennen, das nie erlischt.
Und der Platz ist die Bühne, auf der dies alles geschieht. Wir sind die Spieler unseres Stückes. Immer wollen wir aufsteigen, irgendwohin, uns nicht selbst schlagen, sondern das für einen Wimperschlag erleben, was das Geheimnis des Spiels ist: Glück.
Erstellungsdatum: 29.07.2025