MenuMENU

zurück

Textland: Video-Interview mit Jovana Reisinger

Überleben im Patriarchat

Jovana Reisinger


Jovana Reisinger. Foto: Alexander Paul Englert

Humor kann uns in Distanz zu den eigenen Schieflagen bringen und das Absurde bewusst machen. Zum Thema „Humor als Widerstand“ hat das Literaturfest Textland kurze Video-Interviews mit einigen Autor:innen geführt. Jovana Reisinger weiß Humor ganz besonders zu schätzen, wenn sie über etwas „Gewaltvolles, Drastisches oder Schmerzvolles“ schreibt. „Humor sorgt für eine Pointe, die aufatmen lässt. Als Leser:in oder als schreibende Person kann man dann aus der geschilderten Situation heraustreten.“

 

Kommst du beim Schreiben ohne Humor aus?

Nein. Humor ist in meiner Schreibarbeit ein wichtiges Werkzeug und Element, weil ich davon überzeugt bin, dass man sich durch Humor sehr viel besser mit politischen oder politisch motivierten Inhalten auseinandersetzen und sie auch vermitteln kann. Dabei kann das berühmte Lachen schon mal im Halse stecken bleiben. Auf gar keinen Fall darf sich der Humor in meinen Texten über andere Personen oder Gruppen erheben und sich über sie lustig machen. Es wird weder nach oben noch nach unten getreten.

 

Welche Funktion hat Humor in deinem Schreiben?

Zum einen hat Humor die Funktion des Comic Relief: Wenn ich über etwas Gewaltvolles, Drastisches oder Schmerzvolles schreibe, sorgt Humor für eine Pointe, die aufatmen lässt. Als Leser*in oder als schreibende Person kann man dann aus der geschilderten Situation heraustreten. Wenn man witzig schreiben kann, kann man sich über die banalsten Umstände auf sehr elegante Art und Weise lustig machen und trotzdem die Geschichte als Vehikel für eine Botschaft nutzen. Das ist die berühmte Alltags- und Situationskomik, mit deren Hilfe man – zum anderen – Gesamtgesellschaftliches oder was auch immer drastischer beschreiben kann. Innerhalb dieses Spektrums ist der Humor bei mir angesiedelt. Manchmal machen es sich Kritiker*innen sehr einfach, wenn sie sagen: Sie kommt aus Österreich, sie ist witzig, das ist wohl der österreichische Humor. Ja, aber dieser österreichische Humor hat etwas Selbstentlarvendes, Zynisches, Satirisches, er ist oft sehr schmerzhaft und seziert sich die ganze Zeit über selbst. Der Humor in meinen Büchern ist keiner, der sich auf billige Art über andere stellt, das wäre mir viel zu einfach, sondern er muss sehr klug und intelligent sein und tut deshalb manchmal sehr weh.

 

Haben persönliche Krisen Einfluss auf dein Schreiben?

Ja, meine persönlichen Krisen haben großen Einfluss auf meine Werke, wie meine Leser*innen wissen. Irgendwann habe ich festgestellt, dass Autorinnen häufig mit ihren Figuren verwechselt werden. Das liegt an der sexistischen Literaturrezeption. Deshalb habe ich mir gedacht, warum soll ich mir so große Mühe geben und mir ständig Figuren ausdenken, die ganz anders situiert sind als ich, wenn doch die häufigste Frage lautet: Wie groß ist der autobiografische Anteil? Weil ich davon genervt war, habe ich es zur Methode gemacht, eine Figur zu erschaffen, die genau so ist wie ich, und mir mit ihr Geschichten auszumalen. Im Zuge dessen kam mir dann der Gedanke: Wenn ich diese mir gleichende Figur schon erschaffe, kann ich mich doch auch selbst fiktionalisieren und einfach alles, was ich hier an Leben habe, kommerzialisieren, kapitalisieren und komplett ausbeuten. Es hat was, die persönlichen Katastrophen auf diese Weise auszuschöpfen. Da bleibt einem gar nichts anderes übrig, als sie komplett zu sezieren. Irgendwann muss man dann über sie lachen. Man hat gar keine andere Chance mehr, weil sie zu Fiktion werden. Das eigene Scheitern gut zu nutzen und zu fiktionalisieren – auch das ist mit diesem selbstentlarvenden Humor gemeint.

 

Was machen gesellschaftliche Krisen mit deinem Humor?Lähmen sie ihn?

Mich befeuern sie eher. Ich sage schon seit vielen Jahren, dass Wut der Motor meiner Arbeit ist, und diese Wut ist immer gesellschaftlich befeuert. Das hat mit dem Versuch politischen Widerstands zu tun. In meinem Roman Spitzenreiterinnen zum Beispiel lautete das Oberthema „Überleben im Patriarchat“ als Frau, als weiblich gelesene Person. Zwei Jahre lang habe ich Material gesammelt, Szenen und Figuren entwickelt. Es war erschreckend, wie schnell und wie einfach ich ein sehr großes Repertoire zusammenhatte – seien es Übergriffe verbaler oder körperlicher Natur oder andere Dinge. Obwohl das der Stoff war, den ich zum Arbeiten brauchte, war ich während des Schreibprozesses extrem wütend und sauer. Nicht nur war ich dabei, zu bewältigen, was mir, meinen Freundinnen und anderen Leuten passiert, sondern jetzt musste ich daraus ein Produkt herstellen, um den Leser*innen etwas an die Hand zu geben, was sie befähigt, mit alldem umzugehen. Ich war wirklich furios während dieses Schreibprozesses, weil ich selten so schlecht gelaunt und so wütend war. Herausgekommen ist aber ein sehr lustiges Buch. Wenn man sich als politische Schriftstellerin versteht, kommt man gar nicht umhin, sich dem auszusetzen. Zumindest in meinem Fall ist es so.

 

Gibt es unpolitische Literatur?

Ich weiß nicht genau, ob es unpolitische Literatur gibt oder ob nicht selbst die Literatur, die unpolitisch sein will, politisch ist, weil sie sich so sehr abzuschirmen versucht, weil man sich dabei als Autor*in der Verantwortung entzieht, die man als öffentliche Stimme hat. So betrachtet, würde ich jetzt bezweifeln, dass es wirklich unpolitische Kunst gibt.

 

Was erwartest du von Literatur?

Literatur, die ich freiwillig lese, muss auf jeden Fall unzuverlässige Erzählstrukturen haben und mich anstrengen. Ich liebe Texte, die entweder eine sehr kalte, klare Sprache haben, ein bisschen edgy sind, nicht alles auserzählen und mich daher fordern oder aber absurd sexy und richtig hot sind. Wenn ich Literatur schreibe, weiß ich am Anfang gar nicht, für wen. Sie muss mir selbst etwas bringen, sonst kann ich den Prozess nicht durchziehen. Ich muss also selbst etwas dabei lernen. Dabei denke ich jetzt nicht an Selbsterkenntnis, sondern eher daran, Dinge zu begreifen und erfahrbar zu machen. Meine Texte sollen durchaus unterhalten, das ist mein Anspruch an sie. Auch ich möchte, wenn ich lese, unterhalten werden. Wenn aus einer Anti-Haltung heraus gesagt wird, auch Langeweile sei Kunst, dann entgegne ich: Das mag ja sein, aber ich muss das nicht ertragen.

 

 


Erstellungsdatum: 11.06.2025